AMERICAN CARNAPPING: Verkehr mit Verwandten

Film / Wühlkiste / 19. Juni 2020

Als Low-Budget-Connaisseur ahnt man natürlich, dass, wenn auf dem Cover der preiswerten DVD ein „action geladenes High-Speed Spektakel“ versprochen wird, nicht nur ein paar Bindestriche fehlen. Aber hilfreich wäre es trotzdem, wenn man schon im Vorfeld wüsste, dass Action, Highspeed und Spektakel hier nur aus weiter Ferne winken: AMERICAN CARNAPPING wirkt, als hätte Jim Jarmusch als Auftragsarbeit eine Kriminalstory verfilmt.

Vielleicht wäre es auch eher Jim Jarmuschs Bruder. Die Besetzungsliste des Films winkt nämlich, siehe Cover, „mit dem Rennfahrer und Sohn des legendären Schauspielers Steve McQueen und dem Bruder von Patrick Swayze“. Es handelt sich dabei um Chad McQueen und Don Swayze, aber der zuständige Texter dachte sich wohl, dass man den Zuseher nicht mit zu vielen Informationen belästigen sollte.

Gnadenloser als GHOST, ehrlicher als DIRTY DANCING: Scott (Don Swayze).

Die beiden beinahe prominenten Burschen spielen in AMERICAN CARNAPPING die Nichtsnutze John und Scott, denen zufällig ein Koffer mit fünf Millionen US-Dollar in die Hände fällt: Ihr Kumpel Kevin hat bei seinem ersten (und gleichzeitig) letzten Tag als Wachmann per Video beobachtet, wie ein Gangster das Geld in einem Auto versteckt hat, und sich den wertvollen Koffer flugs selber gekrallt. Er stellt ihn bei John und Scott unter und gibt den beiden seinen Segen, dass sie gerne schon mal etwas davon ausgeben können.

Und ja, das machen die beiden. Mit Wonne. Flugs werden neue Klamotten gekauft, zwei schicke Sportwagen dazu, eine Villa am Meer wird angemietet, und eine Reihe offenherziger Damen wird herangekarrt (darunter Penthouse-Pet und B-Movie-Königin Julie Strain). Wer aufgrund des Titels AMERICAN CARNAPPING davon ausgeht, dass womöglich das eine oder andere Auto geklaut wird, glaubt eventuell auch an den Bruder des Weihnachtsmanns: Natürlich ist das nur ein sinnbefreiter „deutscher“ Verleihtitel, eigentlich heißt der Film SQUANDERERS (to squander = verprassen) oder auch alternativ MONEY TO BURN. (Bei uns läuft der Streifen mittlerweile als FAST CARS & DIRTY DEALS, was sicherlich dem Bruder von Vin Diesel eingefallen ist.)

Chad McQueen schaut zu ernst für eine lustige Bildunterschrift.

Angesichts des Originaltitels macht es wohl Sinn, dass das Ausgeben des Geldes den Großteil der Laufzeit des Films füllt. John und Scott schmeißen derart mit der Kohle um sich, dass man davon ausgehen muss, das sie noch vor Ende der Woche wieder pleite sein dürften. Es wirkt manchmal wie eine Wunscherfüllungsphantasie von Regisseur John Sjogren und seinem Co-Autoren und Produzenten Scott Ziehl (man beachte die Vornamen der beiden Protagonisten), aber gleichzeitig belächelt der Film die beiden Dösbattel auch ziemlich: Ihren Bekannten und ihrer Familie gegenüber kommen sie mit immer noch lahmeren Ausreden, wie sie zu dem teuren Luxus kommen, und nebenbei wundern sie sich ein wenig, warum sich ihr Kumpel Kevin einfach nicht mehr meldet. Es liegt daran, wie sie irgendwann feststellen, dass der schon längst vom eigentlichen Eigentümer des Geldes über den Jordan geschickt wurde.

Gelegentlich schneidet der Film zu einem Polizisten, der von Joe Estevez gespielt wird – ganz richtig: der Bruder von Martin Sheen (und damit Onkel von Charlie Sheen und Emilio Estevez). Der sitzt sehr ausgiebig an einem Schreibtisch, auf dem das größte Namensschild aller Zeiten angebracht ist, und runzelt die Stirn, während er sich Überwachungstapes ansieht, um dem Verbleib des Geldes auf die Schliche zu kommen. Irgendwann hat er eine Eingebung: Das Tape wurde von Kevin geschnitten! Angesichts der heftigen Bildstörung, die man sieht, und dem Sprung, den der Mann auf dem Video daraufhin macht, möchte man dem Ermittler – sicherlich der Bruder von Inspektor Columbo – herzlich gratulieren.

Joe Estevez spielt konzentriert einen Cop, der wie der Bruder von Martin Sheen aussieht.

In den letzten zwanzig Minuten droht der gemütliche Film, plötzlich ein „action geladenes High-Speed Spektakel“ zu werden. John und Scott werden von dem Gangster aufgespürt, der sein Geld wiederhaben will und deswegen während einer Autoverfolgungsjagd mehrere Passanten erschießt – zur Sicherheit wahrscheinlich. Auch der knarzige Ermittler ist jetzt mit dem Auto unterwegs und erhält einen Hilferuf von John, dass ihnen ein Killer im Genick sitzt – aber der Lieutenant ist da wenig beeindruckt: John und Scott sollen bitteschön zum nächsten Revier fahren und dort gefälligst das Geld abgeben.

AMERICAN CARNAPPING mag billig sein, aber es steckt durchaus ein Reiz in seiner Gemächlichkeit. Er wirkt mitunter wie eine Satire der uramerikanischen Phantasie von Geld und Freiheit, die von ganz unten her erzählt ist: Sex, Crime, Verlierertypen, ein paar Schüsse und eine Explosion. Und er kommt dank seiner beschränkten Helden mit einer Dosis absurden Humors daher, den Sjogren später beispielsweise auch in seinem Kriminaldrama CHOKE hat aufblühen lassen.

Das aufregende Finale will ich nicht verraten, aber mein Bruder wäre begeistert. Wenn ich einen hätte.

 

American Carnapping (USA 1996)
Originaltitel: Squanderers
Alternativtitel: Money to Burn / Fast Cars & Dirty Deals
Regie: John Sjogren
Buch: John Sjogren & Scott Ziehl
Kamera: Marty C. Reder
Musik: Nigel Holton
Produktion: Scott Ziehl
Darsteller: Chad McQueen, Don Swayze, Joe Estevez, Sydney Lassick, Julie Strain, Chuck Zito, Melanie Good, Ashlie Rhey

Alle Screenshots stammen von der DVD (C) MMVIII Atlanta Video Service GmbH/VZ Handels GmbH.






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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