ZÄRTLICHE CHAOTEN: Romantik aus einem bizarren Paralleluniversum

Film / Retrospektive / 7. Mai 2015

„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, sagte einst Ingeborg Bachmann. Wohlan, hier ist die knallharte Wahrheit über unsere Film- und Popkulturgeschichte: In den Achtzigern war Thomas Gottschalk mal so richtig cool. Als Heranwachsender war es beinahe Pflicht, seine Filme wieder und wieder zu sehen, vor allem die mit Mike Krüger – von Albernheiten mit flapsiger Sprücheklopferei konnte man damals eben gar nicht genug kriegen. Und deshalb sah man auch brav alles, was Thomas ohne seinen Supernasenpartner produzierte, und hielt das auch für richtig tolles Kino. Zum Beispiel die Komödie ZÄRTLICHE CHAOTEN, die 1987 gleich drei Millionen Menschen ins Lichtspielhaus lockte. Wir werden späteren Generationen so einiges zu erklären haben.

ZÄRTLICHE CHAOTEN wurde ganz nach dem üblichen Strickmuster der Lisa-Film hergestellt: Man nehme diverse populäre Menschen – egal, für was sie eigentlich bekannt sind – fahre mit ihnen zum Wörthersee und lasse Witz vom Himmel regnen. Und wenn der nicht einsetzt, werden halt Slapstickszenen aus der Steinzeit aufgewärmt und zur Not auch schon mal ein Erzählwitz zur Filmszene ausgeweitet – im vorliegenden Fall, soweit dürfen wir schon vorgreifen, ist es dieser hier: „Herr Ober, warum ist denn Ihr Daumen auf meinem Schnitzel?“ – „Ich wollte verhindern, daß es nochmal runterfällt.“

Das Objekt der Begierde: Dey Young.

Der Ober wird in diesem Fall von Helmut Fischer gespielt, der seinerzeit mit seiner Serie MONACO FRANZE höchst beliebt war. Vervollständigt wird das Triumvirat der titelgebenden Chaoten von Michael Winslow, der in der Serie POLICE ACADEMY als lustiger Geräuschemacher bekannt wurde und hier mit Eddie-Murphy-Synchro so tun darf, als würde er verstehen, was Gottschalk und Fischer so von sich geben.

Die drei lernen sich am Set eines Winnetou-Films kennen (so kriegt man auch Pierre Brice in seinen Film), wo sie allesamt gefeuert werden – Gottschalk, weil er als Ersatzschauspieler nichts taugt, Fischer, weil er als Set-Runner ahnungslos durchs Bild läuft, und Winslow, weil seine Sprengladungen nicht zünden. (Das kann man beinahe 1:1 auf ihre Mitwirkung in ZÄRTLICHE CHAOTEN übertragen.) Sie tingeln also durch die Gegend und gabeln die blonde Rosi auf, die mit dem Auto liegengeblieben ist. Sofort entflammen die drei Herren für die Frau ohne Eigenschaften, die aber immer nett lächelt und die plumpen Baggerversuche der Männer un-glaub-lich, geradezu wahn-wit-zig charmant findet.

Herbert Fux schaut diesmal schicker aus als sonst!

So bahnt sich also eine Wette zwischen den drei Freunden an: Alle dürfen baggern, nur einer wird die holde Hübsche erringen. Leider ist die holde Hübsche nach nur kurzer Zeit schwanger, weiß aber nicht, von wem der drei – aber als Tatzeit, äh, Liebesnacht kommt nur ein Abend in Frage, an dem die drei bei ihr in der Wohnung waren und sich ins Delirium gesoffen haben. Solche Szenarien kennt man ja eigentlich aus ganz anderen Filmen, in denen die Darsteller ähnlich gut spielen, aber weniger Kleidung tragen.

Es soll tatsächlich eine Romantic Comedy sein, die hier über die Leinwand flimmert – so richtig was mit Herz und Zwerchfell und Gefühl und Freundschaften und so. Viel wahrscheinlicher ist aber, daß das Drehbuch (von Thomas Gottschalk höchstselbst geschrieben!) in einem bizarren Paralleluniversum angesiedelt ist, in dem Frauen es unglaublich entzückend finden, wenn wildfremde Männer nur Sekunden nach dem Kennenlernen permanent Blumen zücken, sich wortwörtlich als Fußabtreter anbieten, banale Komplimente säuseln und Wetten abschließen, bei denen sie immer nur in Gegenwart der anderen beiden baggern dürfen. Laut Schlußpointe – jaja, Spoiler und so – haben übrigens alle drei in der besagten Nacht mit der Dame kopuliert. Vielleicht wären die drei ja auch ohne Frau sehr glücklich miteinander, aber etwaige homoerotische Untertöne können nur erahnt werden, weil uns der romantische Reigen das Rudelbumsen mit Rosi zum Glück erspart.

Da fällt mir jetzt keine lustige Bildunterschrift ein, aber Ottfried Fischer und Michael Winslow in Frauenkleidern sind ja so schon superlustig.

Weil das Geld knapp ist und die werdende Mama Unterstützung braucht, verdingt sich Fischer, siehe oben, als Kellner und serviert dem belgischen Torwart Jean-Marie Pfaff ein dreckiges Schnitzel. Nebenher tritt er in einen Zweikampf mit Küchenchef Ottfried Fischer, der sich damals noch bewegen konnte. Um ihn hereinzulegen, darf sich Michael Winslow ins Tina-Turner-Outfit werfen und ihn gewissermaßen verführen, nur um dann als eifersüchtiger Freund aufzutauchen und Fischers Delikatessenschrank auszuräumen. Was dieser Szene an Witz fehlt, macht sie dafür an Länge und Lautstärke wieder wett.

Winslow darf außerdem versehentlich ein Hotelzimmer zertrümmern, und das sieht ungefähr so aus, als hätte sich jemand an diesen schönen Loriot-Sketch erinnert, aber leider nicht mehr auf dem Zeiger gehabt, wie man sowas witzig inszeniert. Oh, und so richtig sympathisch wird Winslow dann, als er ein Babyspielzeug im Einkaufszentrum klaut – der ist ja arm und schwarz und viel cooler als die Kaufhauskapitalisten und so! – und dann bei der Flucht vor den Securitymenschen die halbe Einrichtung beschädigt. Er wird dann dazu verdonnert, den Schaden zu bezahlen, und da kommt auch schon der nächste Verdacht auf Paralleluniversum: Im Park sehen unsere drei Pfeifen ein gigantisches Schild, auf dem für die Ergreifung eines Exhibitionisten 10.000 Mark versprochen wird – weshalb Winslow und Fischer gleich mal Gottschalk bei der Polizei abliefern, um die Belohnung einkassieren zu können. Gottschalk macht bei dem Plan übrigens freiwillig mit. Habe ich schon erwähnt, daß alle drei komplette Vollpfosten vor dem Herrn sind?

Die Ausstattung ist detaillierter als in den anderen Filmen mit drei Kerlen und einer Frau.

Für die Romantik sorgt übrigens der alte Schmachtfetzen „Without You“ – genau, „I can’t liiiiiive if living is without you“, der eigentlich schon einziges Mal unerträglich ist und deshalb zur Sicherheit gleich sieben Mal im Film gespielt wird. Fairerweise darf man anfügen: Im Abspann sind diverse Songs von den Supremes und den Temptations und anderen klassischen Acts gelistet, die im Film nie zu hören sind – eventuell kamen die in der Kinofassung zum Tragen, waren dann aber als Lizensierung für die TV- und DVD-Fassung zu teuer und wurden allesamt durch „Without You“ ersetzt. Warum gibt es zu diesem Thema eigentlich keine ausführlichen Publikationen von Filmwissenschaftlern?

Zärtliche Chaoten (Deutschland 1987)
Regie: Franz Josef Gottlieb
Buch: Thomas Gottschalk
Kamera: Klaus Werner
Musik: Gerhard Heinz
Darsteller: Thomas Gottschalk, Helmut Fischer, Michael Winslow, Dey Young, Pierre Brice, Jean-Marie Pfaff, Harald Leipnitz, Herbert Fux, Ottfried Fischer, Ossy Kolmann, Ernst H. Hilbich

Alle Screenshots: (C) 2002 Marketing Film






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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