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EINE FRAU NAMENS HARRY: Körpertausch mit Thomas Gottschalk

Nachdem sein Filmkollege Mike Krüger ja schon 1985 schwanger wurde, konnte Thomas Gottschalk im Geschlechterwirrwarr kaum hintenanstehen. Außerdem hatte sich mit ZÄRTLICHE CHAOTEN und ZÄRTLICHE CHAOTEN II schon gezeigt, daß Menschen beinahe reflexartig ins Kino gehen, sobald sein blonder Lockenkopf irgendwo zu sehen war. So erschien also 1990 eine wieder von der unermüdlichen Lisa-Film produzierte Klamotte namens EINE FRAU NAMENS HARRY, in der eine benachteiligte Frau sich wünscht, endlich mal ein Mann zu sein, und am nächsten Morgen als Thomas Gottschalk aufwacht. Ein veritabler Albtraum für alle, die nicht Wolfgang Lippert heißen.

Harriet Olson, unsere leidgeprüfte Protagonistin, ist eine von diesen Frauen, die mit zartem Stimmchen sprechen, lieb gucken und auf Seminare gehen, wo sie Sprüche für das Selbstbewußtsein lernen. Sie hat von den Autoren sogar ein Charaktermerkmal spendiert bekommen: Sie ist brillante Computerprogrammiererin – das wissen wir, weil es jemand sagt, und nicht etwa, weil wir sie je vor einem technischen Gerät jeglicher Art sitzen sehen. Leider hat Harriet zu Beginn des Films gleich mal einen ganz miesen Tag: Am Firmenparkplatz schnappt ihr ein männlicher Kollege den Parkplatz weg, der Chef feuert sie, weil ihm die Idee „Aschenputtel als Computerspiel“ nicht gefällt, und dann gibt ihr ihr Vollhonk von Freund auch noch (nach dem Sex!) den Laufpaß. Da hilft wirklich nur noch eins: Eine Überdosis Schlaftabletten. (Es ist erstaunlich, daß Frauen angesichts solcher Schicksalsschläge überhaupt älter als zwanzig werden!)

Einmal Blofeld, immer böse: Charles Gray mixt einen
satanarchäolügenialkohöllischen Gender-Bender-Punsch.

In ihrem Abschiedsbrief hält sie fest, daß sie ihre Seele verkaufen würde, um ein Mann sein zu können. Prompt steht auch schon der Teufel mit einem entsprechenden Angebot auf dem Plan – gespielt von Ex-Blofeld Charles Gray, der hier so aussieht, als hätte man fälschlicherweise in den 16:9-Modus gewechselt. Harriet sieht also vom Selbstmordversuch ab und schluckt stattdessen die Brühe, die Satan ihr anbietet.

Verständlicherweise ist sie irritiert, als ihr morgens Thomas Gottschalk aus dem Spiegel entgegenblickt. Ihre Freundin Catherine kann sie dank intimer Details über deren Lover zum Glück schnell davon überzeugen, daß sie in dem Männerkörper steckt. Einen kurzen Besuch beim Frauenarzt und beim Psychiater später landet Harriet in der Klapse – kann aber schnell von Catherine herausgeholt werden, die Anstaltsleiter Eddi Arent mithilfe einer mitgebrachten Flasche Tequila davon überzeugen kann, daß der alte Harry im Suff halt manchmal nicht mehr weiß, ob er Männlein oder Weiblein ist.

Von Ober-Playboy Gottschalk könnte selbst Hugh Hefner noch lernen:
Erstmal vernascht er Stephanie Beacham vom DENVER-CLAN …

Harry/Harriet beschwert sich bei Satan und möchte alles wieder rückgängig machen – und der macht ihm/ihr ein Angebot: Er/Sie (so fühlt man sich also beim permanenten Gendern!) soll als Mann bei der Softwarefirma anheuern, ein Computerspiel für 300.000 Mark verkaufen und das Geld bis Ende des Monats an den Teufel zahlen – als Unkostenbeitrag. „Du redest wie ein Showmaster“, beschwert sich Harry bei Satan, was natürlich völliger Unsinn ist, aber als Aufhänger für folgenden Meta-Knüllerschmäh dient: Satan antwortet, „Dafür siehst du aus wie einer“. Oh Witz, oh Schenkelklopfer! Die ältere Dame, die in der vordersten Reihe Tränen lacht, könnte Mike Krüger sein.

Ab sofort passiert im Film nichts Spannendes mehr, was nur recht und billig ist, weil ja vorher auch nichts Spannendes passiert ist. Gottschalk startet als neuer Stardesigner bei der Softwarefirma, deren Chef ganz begeistert ist von seinen Ideen (vor einen Computer setzt sich Harry/Harriet deswegen trotzdem nicht). Als Assistenten kriegt er Überprogrammierer Michael (Heinz Hoenig) zur Seite gestellt – der Rüpel, der Harriet einst den Parkplatz wegschnappte! Nun ist Heinz Hoenig als Computergenie in etwa so glaubwürdig wie Inge Meysel als Femme Fatale, aber dafür entpuppt sich der hübsche Mann als richtig romantischer Typ (der seiner Freundin zum Geburtstag scharfe Dessous kauft).

… dann Fiona Fullerton aus dem Bond-Film A VIEW TO A KILL …

Weil Harriet ja aber nun ein Mann ist, läuft mit dem schönen Michael nichts – stattdessen darf Harry eben eine Reihe anderer Weiber flachlegen: Zunächst mal die reiche Christine Petersen, die das Spiel kaufen soll (Stephanie Beacham aus DIE COLBYS und DER DENVER-CLAN). Dann die beste Freundin Catherine (Fiona Fullerton aus dem Bond-Film IM ANGESICHT DES TODES), die sich prompt in Harry verliebt hat. Und dann auch noch Michaels Mittlerweile-Ex-Freundin Regina (Andrea Schober aus DER LANDARZT), der wohl die Dessous nicht gefallen haben und die sich schon gleich zu Beginn an Harry rangeschmissen hat. Tja, der Thommy ist halt unwiderstehlich.

EINE FRAU NAMENS HARRY zeigt einmal mehr, daß man bei der Lisa-Film nicht einmal dann einen brauchbaren Film zusammenklopfen kann, wenn man ein Konzept an der Hand hat, wo sich das Skript im Prinzip fast von alleine schreiben würde. Schon ZÄRTLICHE CHAOTEN II fuhr mit futuristischer Satire und Zeitreisekonzept auf, nur um dann 95% der Laufzeit mit banalem Klamauk zu füllen, der überhaupt nichts mit dem Zukunft-und-Gegenwarts-Thema zu tun hat. Auch EINE FRAU NAMENS HARRY macht das so: Körpertausch, Geschlechterrollen, Männer- und Frauen-Klischees – aber stattdessen wird die meiste Filmzeit damit verbracht, einen schnarchigen Gefühlsverwirrungsreigen zu erzählen, der ohne Frau-im-Männerkörper-Konzept ebenso funktionieren würde.

… und der Gründlichkeit halber auch noch Heinz Hoenig. Das dann
zum Glück nicht mehr im Gottschalk-Look.

Warum der Film als geeignetes Vehikel für unsern Thommy gesehen wurde, bleibt völlig rätselhaft. Gottschalk kann keine Sekunde lang eine Frau im Männerkörper erzählen, hat keinerlei darstellerische Fähigkeit, um die Gefühlswelt einer noch so flachen Figur glaubwürdig darzustellen. In seinen vorigen Filmen blieb das noch berücksichtigt – er spielte halt einfach sich selber, den jugendlichen Sonnyboy, der immer den Entertainer gibt. In den Komödien mit Mike Krüger funktionierte das noch, gerade weil Gottschalk so ein Anti-Schauspieler ist – da arbeitete das „Ich bin eben ich“ für ihn. Aber EINE FRAU NAMENS HARRY gönnt dem Mann nicht mal mehr die lahmen Sprüche, die er zumindest noch in ZÄRTLICHE CHAOTEN von sich geben durfte. Selbst Peter Alexander, selber nicht das hellste Schauspiellicht im Lampenhimmel, schaffte seinen Graf-Bobby-Rollentausch mit mehr Esprit.

Zum Schluß – falls sich jemand sorgt – wird übrigens alles gut. Das Spiel wird ein Hit, Harry kann Satan das Geld zurückzahlen, kauft Michael ein Boot und läuft dann als Harriet in Michaels Arme. Hoffentlich finden sie mit dem Kahn auch überall einen Anlegeplatz, sonst greift die gute Frau bald wieder zu den Tabletten …



Eine Frau namens Harry (Deutschland 1990)
Regie: Cyril Frankel
Buch: Frank Lenart
Kamera: Heinz Hölscher
Darsteller: Thomas Gottschalk, Heinz Hoenig, Mandy Perryment, Stephanie Beacham, Fiona Fullerton, Charles Gray, Eddi Arent, Jochen Busse, Heinz Marecek, Andrea Schober, Maria Perschy, Käte Jaenicke, Otto W. Retzer

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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