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ROSEN IM HERBST: Effi Briest und der Heimatfilm

Mit dem Titel ROSEN IM HERBST positioniert sich die zweite Verfilmung von Theodor Fontanes Gesellschaftsroman EFFI BRIEST (nach DER SCHRITT VOM WEGE von 1939) schon im Vorfeld im Heimatkino der Wirtschaftswunderjahre, verweist aber auch schon auf seine pessimistischeren Absichten: Im Gegensatz zu Titeln wie TAUSEND ROTE ROSEN BLÜHN oder WENN DIE ALPENROSEN BLÜH’N stehen die Blumen hier schon symbolisch kurz vor dem Verwelken. Und doch ist Rudolf Jugerts Version aus dem Jahr 1955 von der Ästhetik und vom Duktus her zunächst ganz dem Heimatdrama dieser Dekade verschrieben, von der Inszenierung über die Bildsprache bis hin zur Dramaturgie.

Das liegt natürlich zum Teil daran, daß Fontanes Geschichte unfreiwillig gut in die rigide Darstellungsweise paßt, die dem Heimatgenre zu eigen ist. Im Roman steckt die junge Effi Briest in einer unerfüllenden Ehe mit dem viel älteren Baron von Innstetten, der sie zugunsten seiner Karriere als Landrat oft vernachlässigt; sie findet kurzfristig Trost in den Armen des unkonventionelleren Major von Crampas, aber als die Affäre Jahre später ans Licht kommt, bringt der Baron seinen einstigen Nebenbuhler im Duell um und verstößt Effi, der er auch die gemeinsame Tochter entreißt. Letztlich sind es die gesellschaftlichen Konventionen und Zwänge, an denen Effi zugrundegeht – und eben solche Konventionen sind ja fixer Bestandteil der Erzählmuster des Heimatfilms, wenn nicht gar seiner ganzen Weltsicht. Zu Fontanes Zeit wurde ebensowenig über Sexualität geredet oder einer Frau freier Handlungsspielraum zugestanden, wie das im Heimatkino der Fall war.

Nun blickt Fontane aber kritischer auf die Gegebenheiten seiner Zeit, als Jugert dies im Hinblick auf die Rahmenbedingungen des Heimatgenres macht – oder machen kann. Aufgrund der Erzählweise dieser Filmart verschieben sich die Beziehungen unter den Figuren ein wenig: Der Handlung gemäß zeigt von Innstetten seiner Frau gegenüber wenig Gefühl, ihre Ehe ist leidenschaftslos – aber weil die beiden hier so förmlich agieren, wie man das auch von anderen Filmen des Genres gewohnt ist, wirkt ihr Zusammenleben ganz normal. Crampas dagegen wirkt vor allem anfangs fast noch väterlicher als der Baron; später bekommt er mit seiner Zudringlichkeit einen unangenehmen Beigeschmack, der aber auch ganz im Modus üblicher Romanzen der Zeit steht: Der Mann macht kontinuierliche Avancen, die Frau ziert sich erst und schmilzt dann dahin.

Die gesellschaftlichen Zwänge, die Fontane mit seiner Geschichte anvisiert, werden in ROSEN IM HERBST eher zweitrangig: Wo im Roman die Konventionen den Figuren – nicht nur Effi, sondern auch dem Baron oder beispielsweise Effis Eltern, die sie nach der Schande des Fehltritts ebenfalls verstoßen – ihren Handlungsspielraum nehmen (ob tatsächlich oder nur so wahrgenommen, sei dahingestellt), entwickelt sich die Tragödie dieser Filmversion eher aus persönlichem Schicksal. Wo von Innstetten im Roman noch die Wahrnehmung der anderen als Grund für sein Duell mit Crampas anführt, ist es hier der eigene Schmerz, der ihn dazu treibt: Er erklärt, wie sehr er Effi liebt, und wie sehr sie ihn mit ihrer Untreue verletzt hat. Es ist interessant, wie nicht nur durch diese Verlagerung der Baron hier als durchaus sympathischer Mensch gezeichnet wird – einerseits paßt die Tatsache, daß der Figur hier mehr Verständnis entgegengebracht wird, in das Weltbild der Fünfziger Jahre, wo die Geschichte gewissermaßen als Moralstück über die Gefahr der Sittenwidrigkeit verstanden werden kann (Effi muß für ihren Seitensprung letztlich sterben), aber andererseits ist es eine Blickweise, die sich von üblichen Lesarten wegbewegt, in denen der Baron die Rigidität der Gesellschaft vertritt.

Erwähnenswert ist auch der Fokus auf das Spukmotiv im ersten Teil des Films – es heißt, daß im Haus des Barons ein vor langer Zeit verstorbener Chinese herumspukt, hinter dessen Tod auch eine verbotene Liebesaffäre gestanden haben soll. Jugert spielt hier intensiv mit dem Motiv des Unheimlichen – wenn Effi bei Kerzenschein alleine durch das Haus schleicht, der Wind die Vorhänge ominös durch das Zimmer wehen läßt, ein ausgestopftes Krokodil sich während einer Kamerafahrt ins Bild schiebt und eine Art Buddhastatue mit verzerrter Fratze zu sehen ist, offenbart der Film eine Kehrseite der sonst so idyllischen Häuslichkeit. Diese Bilder für Effis Gefühlszustand übernimmt Jugert aus der ersten Verfilmung, wo sie schon angelegt sind (die Statue ist im Film von 1939 ebenso zu sehen), gibt ihnen aber hier mehr Raum und Gewicht.

So ist ROSEN IM HERBST eine Verfilmung, die ganz ein Produkt ihrer Zeit ist – aber auch wenn die Inszenierung primär dem braven Auflösungsmuster des Heimatfilms verbunden ist und gerade aus der zeitlichen Distanz heraus fast künstlicher wirkt als Fassbinders formstreng gehaltene Schwarzweiß-Verfilmung von 1974, zeigt der Film doch den Versuch, Fontane nicht nur mit bunten Farben zu bebildern, sondern einen Blick auf den Stoff zu entwickeln. Wo Fassbinder sich seine ästhetischen Regeln freiwillig selber auferlegt, muß sich Jugert in seiner Version zwangsläufig mit von außen gegebenen Richtlinien arrangieren – und die machen seine Verfilmung vielleicht nicht zum besseren Film, aber dafür zu einem interessanten Gegenstück.



Rosen im Herbst (Deutschland 1955)
Regie: Rudolf Jugert
Buch: Horst Budjuhn, nach dem Roman „Effi Briest“ von Theodor Fontane
Kamera: Werner Krien
Musik: Franz Grothe
Darsteller: Ruth Leuwerik, Bernhard Wicki, Carl Raddatz, Paul Hartmann, Lil Dagover, Lotte Brackebusch, Günther Lüders

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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