Film-Stöckchen: 5 Fragen, 5 Antworten

Uncategorized / 24. April 2012

Der Intergalactic Ape-Man vom Nachbarblog Intergalaktische Filmreisen hat mir ein Stöckchen zugeworfen – mit nicht ganz einfachen Fragen. Werfen wir uns gleich mal rein ins Vergnügen, diese zu beantworten:

Warum ist Film nie Wirklichkeit?

„Film is life with the boring parts cut out“. Sagt man so. Aber ich glaube ja, daß Film auch immer überzeichnet, zuspitzt, ausdehnt, romantisiert und plastischer macht. Und das paradoxerweise im Versuch, irgendwie an die Intensität bestimmter (wirklicher) Gefühle heranzukommen. Gewissermaßen reicht Film nicht an die Wirklichkeit heran und ist doch oft „wirklicher“.

Natürlich ist für mich Film auch nie Wirklichkeit, weil ich selber Filmschaffender bin und daher – egal, wie versunken ich in eine Filmwelt bin – stets den ganzen „Illusionsapparat“ dahinter sehe.

Wie würde sich das Leben verändern, wenn Personen ein eigenes Thema hätten und jede Situation durch einen passenden Score unterstrichen würde?

Es wäre vor allem mal sehr laut. Da jeder in seinem Leben die Hauptfigur ist und eigene Probleme, Wünsche, Hoffnungen und Geschehnisse hat, würden sich überall Dutzende von verschiedenen Scores überlagern und zur Kakophonie werden.

Je nach Komponist dieses Scores würden die Leute aber auch freundlicherweise informiert werden, was jetzt gerade passiert. Ominöses Brummen könnte da eine Menge Leben retten!

Wie sehr muß man sich mit schlechten Filmen beschäftigen, um die Qualität der guten Filme schätzen und relativieren zu können und welchen Effekt hat dies auf die Kanonisierung?

Naja, müssen … müssen muß man ja zunächst mal gar nichts. Jeder darf das schauen, was ihm Spaß macht. Von daher mag ich die Unterteilung in „gute“ und „schlechte“ Filme auch gar nicht, weil mir gerne mal das, was als „schlecht“ gilt, mehr Vergnügen bereitet – zugegebenermaßen oft auf anderer Ebene – als das, was ich für „gut“ zu halten habe. Das hängt ja auch immer damit zusammen, was ich zu einem gegebenen Zeitpunkt von einem Film „bekommen“ will. Ein „schlechter“ Film kann immens interessant sein. Oder „schlecht“ nur in einem Sinne und brillant gemacht in einem anderen. „Movies are so rarely great art, that if we cannot appreciate great trash, we
have very little reason to be interested in them“, sagte die Filmkritikerin Pauline Kael (was ich ja auch als Motto über meine Sparte „Stranger than Cinema“ geschrieben habe) – und meinte damit vermutlich trotzdem nicht Filme wie GALACTIC GIGOLO – GEMÜSE AUS DEM ALL.

Kubrick sah sich ja gerne „schlechte“ Filme an, weil er aus ihnen mehr gelernt hat als aus den „guten“. Den Effekt kenne ich auch, weil ich sehe, was mir mißfällt – bestimmte Wendungen, bestimmte Inszenierungen – und daraus herausschäle, was ich selber (hoffentlich) besser machen würde.

Kanonisierungen halte ich generell für problematisch, weil da gerne Meinungen vererbt werden, welche Werke als „meisterlich“ gelten und dabei immer weniger Raum für einen unvorbelasteten Blick bleibt (wobei ich den meistens derart kanonisierten Werken ihre Brillanz gar nicht abstreiten will). Außerdem mag ich die Reduktion auf bestimmte einzelne Werke eigentlich nicht. Aber ja, mir ist schon klar, daß in einer Auswahl immer viele „verdiente“ Werke beiseite fallen. Es wäre natürlich lustig, wenn in einem Kanon auch komplett schiefgegangene Gurken wie GIGLI zu finden wären – aber nein, man muß den nicht gesehen haben, um dagegen ein richtig brillantes Meisterwerk schätzen zu können. Von daher: Wenn es ein solcher Kanon erlaubt, problematische Filme wie HEAVEN’S GATE neu ansehen und wertschätzen zu können, dann ja – aber mit TROLL 2 und anderem Käse braucht so eine „Übersicht“ nicht angefüttert zu werden.

Welches Filmzitat würde auf deinem Grabstein stehen?

Lustig wären natürlich die Pythons mit der KOKOSNUSS: „Es geht mir schon viel besser … ich möchte spazierengehen!“

Aber attraktiver wäre dann doch beispielsweise der in LISBON STORY zitierte Fernando Pessoa: „In broad daylight, even the sounds shine.“

Es ist 19:00 Uhr. Du befindest dich in einer Pizzeria. Bei dir sind Sybil Danning in ihrem Werwolfskostüm aus HOWLING II, Heinz Erhardt und Mutter Theresa. In deinem Jutebeutel befinden sich eine Flasche Whiskey, eine Salatgurke, eine Rolle Ducktape, eine Clownsnase, ein ausgestopftes Rebhuhn, zwei Bibeln, ein Füllfederhalter und ein getragenes Kondom. In deiner Hand hältst du eine Kamera, denn du wurdest eingesperrt, um einen Film zu drehen, welcher den Sultan belustigen soll. Was passiert in dem Werk, welches du ihm am nächsten Morgen vorführst und womit hast du dies erreicht?


Puh. Mutter Theresa fungiert als Allround-Crewersatz, und aus der Güte ihres Herzens heraus wird sie sicherlich keine Gage haben wollen. Den ganzen Krempel schmeiße ich weg. Nach einem Vorfilm, in dem Sybil Danning das Kostüm ablegt, kommt dann ein Live-Video von Heinz Erhardt, der sein Comedy-Programm abspult. Was sonst würde man wohl zur Belustigung brauchen?
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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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