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[Film] Ohne Limit (2011)

Eddie Morra ist ein Verlierer. Er zieht im abgehalfterten Grunge-Look durch die Bars und erzählt den Leuten von seinem Roman, an dem gerade arbeitet – nur daß sein Konzept dafür pure Schwafelei ist und er dank Faulheit und träger Disziplin noch nicht ein einziges Wort dafür zu Papier, beziehungsweise zu Monitor, gebracht hat. Und dann gibt ihm auch noch seine Freundin den Laufpaß, und auf die Frage nach dem Warum kann er von ihr nur einen gleichzeitig vorwurfsvollen wie mitleidigen Blick ernten. Der Mann ist ein sinkendes Schiff.

Dann trifft er auf der Straße einen alten Bekannten – den Bruder der Frau, mit der er zu College-Zeiten kurz verheiratet war. Der war damals Drogendealer und schiebt Eddie jetzt eine durchsichtige Pille zu, die die Lösung seiner Probleme sein soll: Das Wundermittelt hilft dabei, statt der üblichen 20% die kompletten 100% des Gehirns verwenden zu können. Und das funktioniert fast wie ein Lichtschalter: Nach Einwurf der Droge kann sich Eddie an alles erinnern, was sein Gehirn je irgendwo registriert hat; er kann alle notwendigen Schlußfolgerungen in Sekundenbruchteilen ziehen; er tippt seinen Roman in nur vier Tagen herunter und schafft einen genialen Bestseller; er lernt in kürzester Zeit Sprachen, kann komplexe Mathematik anwenden und sich in nur ein paar Stunden Börsenwissen aneignen, das ihn zum vielfachen Millionär macht.

Die Prämisse ist brillanter Eskapismus: Natürlich ist es eine reizvolle Vorstellung, solche Bestleistungen mühelos stemmen zu können, ohne all die Jahre voller Erfahrung und Arbeit hineinstecken zu müssen, die auch nur Teile davon eigentlich benötigen. Und freilich lebt man Eddies aufregenden Rausch genußvoll mit, der ihm alle Wünsche erfüllt und ganz nebenher erlaubt, die Menschen um ihn herum mit seinem Wissen und seinem unbekümmerten Charme einzuwickeln: Da tauchen die lukrativsten Jobangebote plötzlich wie von selbst auf, während sich die schönsten Frauen Eddie praktisch vor die Füße werfen und auch die enttäuschte Ex-Freundin staunend ihre Entscheidung überdenkt und prompt mit Eddie zusammenziehen will.

Dabei stört es kaum, daß die Grundidee eigentlich Humbug ist: Es wird viel Gewicht auf die plötzliche Erinnerungskraft gelegt, obwohl eine pure Speicherung von Daten niemanden zum Genie macht – es wäre die Anwendung und Einordnung der Daten, ohne die man ja auch Fehlinformationen für bare Münze nehmen würde. Und genausowenig würde alle Intelligenz der Welt die plötzliche Tippwut nicht zum großen literarischen Wurf machen, der ja nicht rein aus einer kognitiven Leistung heraus entsteht, sondern aus dramaturgischem Gespür, Sprachgefühl, Erzähltalent, kreativem Impuls und – nun ja – Erfahrungswerten, die eben nur über die Zeit gesammelt werden können. Ganz mal abgesehen davon, daß die 20%-Geschichte (üblicherweise wird ja von 10% geredet) New-Age-Quatsch ist, der gerne von Scientologen erzählt wird, um zu zeigen, daß wir höhere Bewußtseinsstufen erreichen könnten.

Es ist dem Film hoch anzurechnen, daß man über derlei Grundprobleme flott hinwegsieht – zu süß ist der anfängliche Rausch und zu spannend ist der Thriller, der sich nur wenig später daraus entwickelt: Den Ex-Schwager, der ihm die Droge verschafft hat, findet Eddie nämlich nach kurzer Zeit tot auf, und obwohl er einen enormen Vorrat an Tabletten mitnehmen kann, bevor die Polizei auftaucht, ist doch klar, daß hinter dem Stoff Menschen her sind, die über Leichen gehen. Zumal bei Eddie plötzlich Aussetzer festzustellen sind – er hat quasi Blackouts und muß feststellen, daß sein Körper ohne die Droge lebensbedrohliche Entzugserscheinungen zeigt.

Neil Burgers Inszenierung fängt Eddies Trip in aufregenden Bildern ein. Im Normalzustand ist die Welt in trübe, blaugraue Töne getaucht, aber nach eingeworfener Tablette erstrahlt alles in warmem Licht und Eddies blaue Augen leuchten in die Kamera. Auf Droge bewegt sich alles, die Schnitte sind hart, der Technoscore pumpt – und überall versetzen visuelle Kniffe uns in Eddies Kopf hinein: zum Beispiel eine rasante Kamerafahrt durch die Straßen von New York, die im Prinzip nur ein nie aufhörender schneller Zoom in ein sich bewegendes Bild ist, oder golden herabregnende Buchstaben, wenn Eddie seinen Roman schreibt, die teilweise wie Schneeflocken auf Tisch und Regal liegenbleiben. Der Look alleine ist das Ansehen wert.

Und dann ist da noch Bradley Cooper, der lange als aufrechter Sidekick durch die Serie ALIAS lief und danach in jedem zweiten Kinofilm als blitzeblanker Schönling auftauchte, und der darf als Eddie endlich einmal seine schauspielerischen Muskeln etwas spielen lassen: Ob als schlurfender Loser, als charmanter König der Welt, als kranker Junkie auf Entzug oder als leere Hülle im Geld- und Machtrausch – Coopers Leistung ist absolut ansehnlich. Er beeindruckt mehr als der in einer Nebenrolle auftauchende Robert De Niro, der einmal mehr wie auf Autopilot spielt – obwohl selbst jetzt, wo er nur noch ein Schatten der Legende ist, die er als Schauspieler einmal war, gelegentlich eine Ahnung von seiner einstigen Größe durchfunkelt: Da genügt dieses kurze freundliche Gesicht, bei dem die kalten Augen nicht mitlachen, und schon wünscht man sich, De Niro würde endlich einmal aus seinem darstellerischen Winterschlaf aufwachen und ein kraftvolles Alterswerk abliefern.

Ganz grenzenlos ist die Kreativität der Filmemacher natürlich nicht: OHNE LIMIT tariert nicht vollständig aus, was ein Mensch mit vierstelligem IQ leisten könnte, oder was vielleicht die wahren Probleme sind, die jemand belasten würden, der sich an alles erinnert und nichts mehr vergißt. Aber der Film ist ein cleverer Thriller mit aufregender Prämisse und durchweg spannendem Look. Im Herzen ist er freilich ein Moralstück – soviel Gewinn an Macht und Fähigkeiten hat einen Preis – aber auch da geht er nicht den zu erwartenden Weg: Eddie wird nämlich kein reuender Sünder. Er wird Politiker.

Ohne Limit (USA 2011)
Originaltitel: Limitless
Regie: Neil Burger
Drehbuch: Leslie Dixon
Darsteller: Bradley Cooper, Abbie Cornish, Robert De Niro
Länge: 105 (Kinofassung) / 106 (unrated cut)
FSK: 16

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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