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Kick-Ass (2010)

Kennt ihr das? Da sitzt man im Kino und schaut durchaus mit Vergnügen den Film, als einem plötzlich das Zweifelnde Ich auf die Schulter tippt und sagt: „Ich hab‘ Angst, uncool zu sein, wenn mir das hier jetzt nicht alles gefällt“. Und dann vergnügt man sich ein bißchen weiter und fragt sich, ob man wirklich so bedingungslos begeistert ist, wie es der Film gerne hätte.

Ich glaube, allzu uncool bin ich nicht, jedenfalls nicht im Hinblick auf KICK-ASS, der mir durchaus jede Menge Spaß gemacht hat. Allerdings halte ich die erste Hälfte des Films für wesentlich gelungener als die zweite. (Ich kenne die Vorlage nicht. Muß ich auch nicht, mich interessiert der Film primär als eigenständiges Werk.)

Die Geschichte entspinnt eine schöne Fantasie: Der Highschoolschüler Dave fragt sich, warum es im echten Leben eigentlich keine Superhelden gibt, und weil er selber ein völliger Normalo mit den typischen Teenagerproblemen ist – keine Freundin, wenig Selbstbewußtsein, als Nerd belächelt – kauft er sich einen albern aussehenden Neoprenanzug und streift ab sofort als Superheld „Kick-Ass“ durch die Gegend. Nur hat er freilich trotz neugefundenem Enthusiasmus keinerlei Superkräfte und wird dementsprechend zusammengeschlagen und mit einem Springmesser verwundet, was ihn keinesfalls davon abhält, weiterhin sein Glück zu versuchen und sein Umfeld als „positive Leitfigur“ zu überzeugen. Dann kreuzt er die Wege von Big Daddy, einem ehemaligen Polizisten, der seine 11-jährige Tochter zum „Hitgirl“ ausgebildet hat und mit der er einen blutigen Rachefeldzug gegen einen städtischen Mafiaclan führt.

Das Reizvolle am ersten Part der Geschichte ist der parodistische Blick auf die Superheldengeschichte und auf maskulin geprägte Erzählmuster: Gleich zu Beginn breitet ein auf einem Hochhaus stehender Mann seine selbstgebauten Flügel aus und springt in die Tiefe, wo Menschen begeistert applaudieren – bis er unten ankommt und auf einem Auto sein jähes Ende findet. „Das bin ich nicht“, erklärt Dave im Off, „das war nur irgendsoein Spinner.“ So wird auch jeder Versuch von Dave, männlich und heldenhaft zu wirken, mit der ironischen Brechung quittiert: Der Superheldenanzug ist selbst am Ende des Films noch gnadenlos albern; seine bewaffnete Konfrontation mit zwei Straßenpunks endet damit, daß er blutend von der Ambulanz abtransportiert wird; und als sich die angeschwärmte Schulschönheit endlich für ihn interessiert, stellt sich heraus, daß das nicht etwa an seiner neuen heroischen Haltung liegt, sondern daran, daß sie glaubt, er sei schwul.

Diese ironische Haltung federt auch die harte Gewalt und den zur Schau gestellten Zynismus wunderbar ab: In einem Film, wo ein Vater seiner Tochter zum Training eine kugelsichere Weste überzieht und dann liebevoll dreimal auf sie schießt, bevor er mit ihr zum Eisessen geht, ist der Absurditätslevel hoch genug, daß es kaum übertrieben grausam wirkt, wenn die Mafiaschläger einen Mann in eine lebensgroße Mikrowelle stecken und der dann zerplatzt, weil er durch das schalldichte Fensterglas die an ihn gestellte Frage gar nicht hören kann. Stets wird das Überzeichnete mit dem Banalen kombiniert: Im Hintergrund hören wir einen Mann schreien, weil ihm gerade die Finger abgezwackt werden, aber im Bild sehen wir den Mafiaboß, der mit seinem Sohn darüber diskutiert, ob sie noch rechtzeitig ins Kino kommen. Natürlich ist vieles sehr brutal, aber auch immer wieder clever gebrochen.
Leider nimmt der Film in der zweiten Hälfte seine Ironie fast durch die Bank wieder zurück. Dave bekommt letztendlich doch das Mädchen, und er mausert sich vielleicht nicht zum Superhelden, aber doch zum Retter des Tages, als er nach den ganzen maskulinen Initiierungsriten – sprich: oft genug die Fresse poliert bekommen – ausreichend Mumm entwickelt, sich ein paar Waffen umschnallt und den Mafiaboß mit einer wohlplazierten Bazooka-Rakete ins Jenseits befördert. Die Idee, daß ein nettes kleines Mädchen eine eiskalte Killerin ist, wird nur anfangs für ungewöhnliche Situationen verwendet: Wenn ihr beispielsweise ihr Vater ein Butterfly-Messer zum Geburtstag schenkt und sie so flink das Ding durch die Luft wirbelt, daß man dem Dialog kaum zuhören kann, weil man ständig in pädagogischer Sorge auf ihre Finger schaut. Später zieht sie dann als perfekte Mordmaschine in den Krieg, und ihr Rachefeldzug zieht alle Register der stilisierten Actioninszenierung. Wenn sie die Schergen des Mafiachefs im Sekundentakt umbringt und dazu der völlig abgenudelte Song „Bad Reputation“ von Joan Jett aus den Lautsprechern dröhnt, passiert da keinerlei Brechung mehr – da will der Film nur noch bedingungslos für seine Coolness geliebt werden und wirkt dabei kurioserweise wie ein kleiner Hund, der schwanzwedelnd an einem hochspringt.

Und genau da verspüre ich dann eben den Stich, uncool zu sein, und gar nicht so zu jubeln, wie Regisseur Matthew Vaughn das vielleicht aus mir herauskitzeln will. Dabei habe ich nicht einmal großartige moralische Probleme mit der Gewaltdarstellung im Film – meine Güte, wir reden hier von einer völlig absurden Comicverfilmung, und ich kann sogar den ultra-reaktionären Chuck-Norris-Streifzügen einen heiteren Abend abgewinnen. (Allerdings regt sich bei mir gelegentlich im Hinterkopf die Frage, ob ein Film mir nichts Interessanteres sagen kann als fünf neue Wege, es möglichst lässig aussehen zu lassen, wie jemandem der Schädel weggepustet wird.) Eigentlich bin ich nämlich nur ein wenig enttäuscht, daß der Film seine zuerst aufgebauten Versprechen nicht einlösen kann. Sicher, da ist Witz und Tempo in der zweiten Filmhälfte, und vergnüglich war die Sache von vorne bis hinten – aber trotzdem ist es schade, wenn nur vorgetäuscht wird, sich über Männlichkeitsklischées lustig zu machen, die dann im Anschluß allesamt vollauf bestätigt und runtergeschluckt werden.

Also vielleicht doch uncool. Oder einfach nur zuviel nachgedacht. Mal wieder!

(Ich freue mich trotzdem auf ein erneutes Ansehen.)

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    2 Comments

    1. i hob den kick-oasch voi subba gfundn.

    2. der wird bei mir wohl bis in die videothek warten müssen.

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