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Otto, der Pflaumenpflücker (1973)

Wir lernen aus Wikipedia: Die Pflaume gehört zu der Familie der Rosengewächse und ist ein Oberbegriff für den Formenkreis der Art Prunus domestica. Es gibt weltweit circa 2000 verschiedene Sorten, die teils rund, teils oval geformt sind. Die Pflaume vereint den doppelten Gensatz aus Schlehdorn und Kirschpflaume, letztere regional auch unter dem Namen „Türkenkirsche“ bekannt, weil sie im Balkan beheimatet ist. Zentrum des Pflaumenhandels war Damaskus, Hauptstadt von Syrien, und es soll ein Verdienst Karl des Großen gewesen sein, daß Pflaumen in Mitteleuropa angebaut wurden. Aber schon der Römer Martial schrieb: „Nimm Pflaumen für des Alters morsche Last, denn sie pflegen zu lösen den hartgespannten Bauch.“ Mit solcherart überblicksartig zusammengelesenem Wissen können wir uns also gezielt dem heutigen Film widmen, der den Titel OTTO, DER PFLAUMENPFLÜCKER trägt.

Allein die Abwesenheit von Pflaumen jeglicher Art in besagtem Film läßt mich stutzen. Otto, der titelgebende Protagonist, wird nämlich nicht nur nie gezeigt, wie er Pflaumen pflückt, er konsumiert auch zu keinem (gezeigten) Zeitpunkt welche, und er wird schon zu Beginn als schlitzohriger Gebrauchtwagenverkäufer eingeführt, der einen unbedarften Kunden flugs mal davon überzeugt, daß der Lack eines angepriesenen Modelles von Picasso aufgemalt wurde. Möglicherweise soll es darum gehen, daß Otto gar keine Zeit hat, um sich mit Pflaumen zu befassen, weil er mit gleich vier Frauen beschäftigt ist, die alle seiner eingehenden Aufmerksamkeit bedürfen: Schon zu Beginn klingelt es an seiner Tür, und eine brünette Frau namens Juliette erklärt ihm, daß er sie als ersten Preis in einem Preisausschreiben gewonnen hat. Während sie sich schon auszieht, fragt er noch, was denn die anderen Preise gewesen wären, aber die Aussicht auf einen lebendigen General, mit dem er Waterloo hätte nachspielen können, überzeugt ihn dann doch von den positiven Aspekten seines Gewinnes, und er wälzt sich zu säuselnden Klängen noch während des Vorspannes mit Juliette durch die Laken.

Frau Nummero zwei wird beim Fortgehen aufgerissen. Die heißt Monique und unterscheidet sich von Juliette hauptsächlich dadurch, daß sie schwarzhaarig ist. Während sich Monique und Otto dann nicht nur die Hände schütteln, liegt Juliette daneben und schläft, aber am nächsten Morgen wachen sie alle drei gleichzeitig auf und stellen fest, daß nicht nur viele Brettspiele mit mehr als zwei Mitspielern lustiger werden. Otto muß dann leider zur Arbeit, aber die beiden Mädels knuddeln einfach weiter, und das machen sie quasi den ganzen Film lang, wenn sie nicht gerade überlegen, wie sie Otto davon überzeugen können, sie nicht aus der Wohnung zu werfen, weil der nämlich jetzt die Rückkehr seiner verreisten Verlobten erwartet und zudem mit seinen Eltern Probleme kriegt, weil sich da nackte Frauen durch die vom Vater bezahlte Wohnung räkeln. Auch jetzt sind weit und breit keine Pflaumen in Sicht.

Mit der Verlobten, also Frau III, die sich Francoise nennt und zwar ebenfalls schwarzhaarig ist, aber dankenswerterweise eine andere Frisur trägt als Monique, zieht er dann entweder in ein Hotel oder zu ihr in die Wohnung (diese wichtige Handlungsinformation habe ich schändlicherweise verpennt), weil in der eigenen Bude ja noch die beiden anderen hocken und sich gerade gegenseitig einseifen oder sonst irgendetwas tun, was überhaupt nichts mit dem Pflücken von Pflaumen zu tun hat. Aber ach! Otto ist ja noch viel beschäftigter: Seine neue Sekretärin Cristal, die im Gegensatz zu den anderen drei Mädels von der Italienerin Malisa Longo gespielt wird, hat sich nach nur 24 Stunden Arbeitszeit schwer in ihren Chef verliebt und bezieht schon bald mit Otto eine neue Wohnung, wo sie dann im Zuge ihrer Arbeit nicht nur die Briefmarken leckt.

Otto kommt nun also ein wenig ins Schleudern, weil er die Terminpläne seiner vier Liebschaften jonglieren muß, aber auch, weil jede von den Damen einen ehemaligen Liebhaber in seinem Bekanntenkreis hat, die allesamt finden, daß Otto endlich die Finger von den Damen lassen sollte. Vielleicht, um sich endlich dem Pflaumenpflücken widmen zu können. Obwohl jeder der drei anderen Herren auch noch anderweitige Frauenbekanntschaften hat (einer zum Beispiel mit einer esoterisch angehauchten Frau, die Sätze wie „Komm und sei mein Vulkan“ von sich gibt – die würde ich ja auch umtauschen wollen), tun sie sich also zusammen, um ihre Mädels zurückzuerobern beziehungsweise Ottos Vielweiberei auffliegen zu lassen. Wobei ja, wenn ich mich recht entsinne, zum Beispiel dieser Mechaniker Max mit Juliette nur mal am Rande zusammengekommen ist, weil die ihren Freund eifersüchtig machen wollte, der sich nur mit seinem Motorrad beschäftigt. Das war entweder bevor oder nachdem sie bei Otto als Hauptgewinn in die Wohnung eingezogen ist, und … ähm … also, der Motorradfahrer verschwindet dann sowieso mit irgendwelchen Firmengeldern und … also … ach, lassen wir das.

Daß die Sexfarce nach nur 67 Minuten schn aus ist, liegt weniger an der Zurückhaltung der Filmemacher, als an der Tatsache, daß der Film von ursprünglich circa 89 Minuten (Lauflänge der französischen DVD) holprig zusammengeschnitten wurde. Ob das Gerangel in der Originalfassung expliziter war, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden – vermutlich war es immer noch Softsex, aber dafür viel längerer Softsex. Auch auf 67 Minuten bleiben aber noch genug blanke Brüste und Hintern im Bild, aber obwohl das simulierte Begegnungskomödchen ziemlich harmlos bleibt, schaffte es der Film trotzdem, keinerlei Jugendfreigabe zu erhalten. Eventuell sollte verhindert werden, daß Eltern ihren Kindern den Film geben, um sie zum Obstessen anzuregen.

Die französisch-italienische Coproduktion ist zwar komplett banal und bescheuert, aber immerhin kurzweilig und flott genug, um die Zeit schnell vergehen zu lassen – wer sich mal durch ebenso knapp 70 Minuten faden Softsexgerangels durchgequält hat, ist ja schon dankbar, wenn man bei diesem Film nicht dauernd auf die Uhr schaut, nur um festzustellen, daß man erst bei Minute 13 ist. Und auch wenn nur Malisa Longo so richtig sexy ist, muß ebenso lobend erwähnt werden, daß beim Anblick von Brüsten niemals Geräusche ertönen, wie es in deutschen Lederhosenfilmen stets und beharrlich geschieht: Da wird nicht gehupt, gemuht, gebimmelt, geboingt oder auf die Pauke gehauen (die besten französischen und italienischen Filmemacher hatten ja schon immer ein Gespür für Realismus).

Die meisten Punkte bekommt der Film allerdings für die Synchro: Da wird mal wieder flapsig gewitzelt, daß es schon gar nicht mehr weh tut. „Der Wagen ist Ihnen wie auf den Bauch geschneidert“, preist Otto da einem Kunden einen Gebrauchtwagen an und erklärt dann seiner Verlobten: „Ich muß weg, meinen Hamster vom Zahnarzt abholen“. Wenn dem deutschen Dialogregisseur noch ein Witz eingefallen wäre, in dem eine Pflaume vorgekommen wäre, hätte ich mich glatt noch zu einem Sternchen hinreißen lassen können.

Otto, der Pflaumenpflücker (Frankreich/Italien 1973)
Originaltitel: Prenez la queue comme tout le monde
Regie: Jean-Francois Davy
Drehbuch: Jean-Francois Davy, Daniel Geldreich
Kamera: Roger Fellous, Georges Strouvé
Musik: Raymond Ruer
Produktion: Bayern Film
Darsteller: Philippe Gaste, Anne Libert, Malisa Longo, Monique Vita, Karine Jeantet
Länge: 67 Minuten
FSK: Keine Jugendfreigabe

Dieser Text erschien zuerst bei mannbeisstfilm.de.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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