Die Tochter vom Weihnachtsmann (2003)

Uncategorized / 17. Dezember 2007

Weihnachten, wie Alfred Dorfer einmal so schön erklärt hat, ist die Zeit, in der völlig normale und intelligente Menschen urplötzlich in den Irrsinn abdriften. Aufgebrachte Menschenmassen schieben sich durch die mit Abermillionen Lämpchen behangenen und mit George Michael dauerbeschallten Einkaufszentren, um unnützen Schwachsinn für Menschen zu kaufen, denen sie zu anderen Jahreszeiten die Haustür nur von außen zeigen. Sämtliche Medien der Welt verfallen in den Irrglauben, daß es ab Anfang November kein dringlicheres Thema mehr gibt als Geschenktips für Mann, Frau, Kind und Hamster, und selbst auf sparsam frequentierten Webseiten versuchen gebremst intellektuelle Zyniker mit ihrem schönsten Doktor-Best-Lächeln, Feststimmung unter das gestreßte Volk zu streuen. Auch dieses Jahr fällt Weihnachten wieder auf den 24. Dezember – was praktisch ist, weil die Tage zum Fest somit akkurat auf die Anzahl von Türchen in einem Adventskalender passen – und wenn dann endlich der Geburtstag des Weihnachtsmannes gefeiert werden konnte, ist die hernach eintretende Entspannung bis zum nächsten Septemberanfang und der damit verbundenen Mahnmalaufstellung per Supermarktlebkuchen wahrhaftig verdient.

Nach diesen schönen einleitenden Worten wollen wir nun – denn damit beschäftigen wir uns ja primär auf dieser Website: An erster Stelle stehen die Filmkritiken und erst an zweiter Stelle die Beschwörung des Weihnachtsgeistes! – auf einen Weihnachtsfilm hinleiten, der Titel und Verpackung nach zu urteilen hervorragend zum Fest der Liebe paßt: DIE TOCHTER VOM WEIHNACHTSMANN. Sind Weihnachtspornos eigentlich schon ein von den Videotheken anerkanntes Subgenre? Stehen in der „Nur ab 18 und mit im Mantel verstecktem Gesicht zu betreten“-Abteilung vielleicht mit Lametta behangene, ähem, Ständer mit einschlägigem Material? Eine schöne Vorstellung eigentlich, wie der Manager der Videothek den jungen Praktikanten mit den Worten „Wir brauchen noch einen Weihnachtsständer“ in die Pornoecke schickt. Aber wir schweifen ab.

Fassen wir doch die Handlung kurz zusammen: Die schöne Freundin von Maurizio stirbt bei einem Autounfall, er wird zum Alkoholiker und landet in der Gosse. Dann erscheint ihm ein Engel im Weihnachtskostüm, der exakt so aussieht wie seine Freundin, und zeigt ihm irgendwelche festlichen Besteigungen von wildfremden Menschen, um in ihm wieder die Lust auf das Leben zu wecken (beziehungsweise auf sexuelle Aktivitäten, die ja aber freilich eng mit dem Leben verknüpft sind und in Genrefilmen unbesorgt mit dem Leben gleichgesetzt werden können). Meine Rekapitulation in diesem Absatz fällt übrigens geringfügig detaillierter aus als die tatsächliche Handlung im Film, die mit der erzählerischen Ausführlichkeit einer Kleinanzeige abgehakt wird.

Es drängt sich schon zu Beginn der Verdacht auf, daß das Weihnachtsthema eine eher untergeordnete Rolle spielt: Maurizio liegt an seinem Pool und erfreut sich im Voice-Over des Lebens, während seine Freundin durch den Pool paddelt und auf Kommando mit ihm im Schlafzimmer verschwindet, wo sie – zu unweihnachtlicher Musik irgendwo zwischen Chill-Out-Club und Super-Mario-Bonusrunde – immerhin einen Teilaspekt des Festes der Liebe beleuchten. Ich persönlich liege ja zu Weihnachten eher selten am Pool, aber eventuell spielt der Film ja in einer dieser Gegenden, wo es auch im Dezember warm ist: Los Angeles zum Beispiel, oder im Kongo.

Na gut. Direkt nach dem Abtröpfeln informiert uns Maurizio im Voice-Over über den oben erläuterten Fortlauf der Geschichte, und dann liegt er alkoholisiert in irgendeiner Gosse und der Weihnachtsengel erscheint ihm. „Du darfst dich nicht so gehen lassen, du brauchst wieder andere Frauen“, ermuntert ihn der Engel und führt ihn von Tür zu Tür, wo Maurizio dann verschiedene Sexszenen mitansehen darf. Daß sich die erste dieser Sequenzen in Schwarzweiß abspielt, ist höchstwahrscheinlich als künstlerische Entscheidung seitens der Filmemacher zu werten: Die Begegnung zweier Frauen unter Zuhilfenahme von Früchten, Joghurt und einem Schuh offenbart hier Details, die in den anderen großen Schwarzweiß-Filmen der vergangenen Jahrzehnte (MANHATTAN, GOOD NIGHT AND GOOD LUCK und natürlich SCHINDLERS LISTE) unbehandelt blieben.

Sehr schön ist auch die Sequenz, in der sich ein zerknittert aussehender älterer Herr mit drei jungen Damen vergnügt – hier werden nämlich die Schwierigkeiten der Reizüberflutung thematisiert. Der Mann zeigt sich hierbei höflich: Er reiht die drei Damen nebeneinander auf, springt von einer zur anderen und erspart ihnen allen somit den Streß, sich beständig aktiv dem darwinistischen Kampf um eine Stellung an der Pole Position (je später der Abend, desto komplexer die Kalauer) zu unterwerfen. Weil die thematische Tiefe des Vorgangs in dieser Sequenz noch nicht hinreichend ausgelotet wurde, folgt sogleich ein weiterer Part mit demselben Herren und zwei weiteren seiner Lieblingsfreundinnen. Es folgt ein Twist zum Schluß, den ich in meiner Rezensentenehre natürlich nie verraten könnte – wie da ein Happy End mit ominöser Vorahnung kombiniert eingesetzt wird! Raffiniert!

Mehrfach wurde ich bereits von einem Kollegen darauf angesprochen, daß in meinen Kritiken zu einschlägigen Naturfilmen eher selten auf die zu begutachtenden Stellungen eingegangen wird (zur Verteidigung darf ich meine auch in dieser Hinsicht ausführliche Auseinandersetzung mit PORNO HOLOCAUST anführen). Daß ich auch hier auf eine detailliertere Beschreibung der Vorgänge verzichte, liegt natürlich daran, daß hier auch anständige Damen anwesend sind und zulesen: Denen gegenüber sollte man die entsprechenden Aktivitäten nur dann anschaulich nachskizzieren, wenn sie selber schon an einer gemeinsamen Ausführung interessiert sind. Begnügen wir uns mit der Feststellung, daß der Film minimal weniger akrobatisch-sportlich orientiert ausfällt wie vergleichbare Produkte.

Aber vergessen wir doch über den ganzen nüchternen Betrachtungen nicht das Wesentliche: Den Weihnachtsgehalt des Films. Schon oben wurde erläutert, daß das Festthema eine eher sekundäre Rolle spielt – genaugenommen weist außer dem roten Weihnachtskostüm des erscheinenden Engels rein gar nichts auf eine Verbindung mit dem Fest der Liebe hin. Nicht einmal der Weihnachtsmann selber tritt auf! Trotz bislang fehlender Vergleichsmöglichkeiten ist DIE TOCHTER VOM WEIHNACHTSMANN (man beachte übrigens die Umschiffung des ohnehin aussterbenden Genitivs) ein sehr enttäuschendes Exemplar der Kategorie „Weihnachtsporno“. Was wäre da nicht alles möglich gewesen! Lauter lustige Elfen, die sich frohlockend mit Geschenkbändern einschnüren! Und mitten drin die Tochter von Santa Claus, die sich guten Herzens der unartigen Jungs annimmt, während im Hintergrund friedlich die Rentiere äsen! Unterm Weihnachtsbaum packen neugierige Menschen interessantes Spielzeug aus! Und der olle Weihnachtsmann selber könnte vor dem Kaminfeuer freche Mädchen über 18 auf seinem Schoß sitzen lassen. Die Möglichkeiten sind quasi unbegrenzt und werden doch nicht ausgelotet! Thesenansätze zur Erörterung der Frage „Warum haben Pornoautoren so wenig Phantasie?“ bitte an die Redaktion der Brigitte senden.

Wir sehen: Auch Pornoproduzenten feiern Weihnachten. Fast so wie wir, nur nicht so schön. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

Die Tochter vom Weihnachtsmann (Frankreich 2003)
Originaltitel: Une pute pour Noël
Regie: Nicky Ranieri
Drehbuch: Nicky Ranieri
Produktion: Marc Dorcel Production
Darsteller: Bambola, Katsumi

Dieser Text erschien zuerst am 17.12.2007 bei mannbeisstfilm.de.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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