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[Film] Sumpf der lebenden Toten (1981)

Der Horror! Der Horror!! Was hätten der Ehrenwerte Ef und meine Wenigkeit nicht gestern alles schauen können: den vielversprechenden CANNIBAL WOMEN IN THE AVOCADO JUNGLE OF DEATH zum Beispiel. Oder den mexikanischen Krawallfilm THE CURIOUS DR. HUMPP. Aber zu unserem Unglück lag auch noch SUMPF DER LEBENDEN TOTEN herum, der im Englischen schlichtweg ZOMBIES‘ LAKE heißt, und bei dem es um Nazizombies geht.

„Nazizombies“! Allein das Wort ließ alle Alternativen verblassen! Welch unglaublich abgründige Auseinandersetzung mit dem nicht zur Ruhe kommenden Nationalsozialismus versprach uns dieser Film, beziehungsweise meine Zusammenfassung: „Da geht es um Nazisoldaten, die aus einem See wieder aufstehen“. Wir haben sie uns tollkühn angesehen, und ich habe zuvor sicherheitshalber die Fenster geschlossen, um bei meinen Nachbarn nicht den Verdacht der etwaigen Wiederbetätigung aufkeimen zu lassen.

Letztere Maßnahme war natürlich völlig übertrieben: Der SUMPF DER LEBENDEN TOTEN ist so aufregend wie ein Sack Mehl. Drei Publizistikstudenten mit Pfandflaschenbudget und Jörg Zimmermann in allen Hauptrollen würden einen besseren, kompetenter inszenierten Film auf die Beine stellen können. Jede Bibliotheksaufsicht ist spannender als dieser Zombieangriff. Und auch wenn der folgende Satz als Empfehlung mißverstanden werden könnte, muß er doch aufrichtig ausgesprochen werden: Wir haben schon lange nicht mehr so viel Spaß beim Filmschauen gehabt.

Der Vorspann läßt uns wissen, daß offenbar auch die Macher des Films seinen Qualitäten eher skeptisch gegenüberstanden: Regisseur Jean Rollin nennt sich forsch „J.A. Laser“, Drehbuchautor und Vollzeiterotomane Jess Franco tritt als „A.L. Mariaux“ auf, und selbst die Schauspieler verbergen sich teilweise hinter schwungvollen Pseudonymen wie „Robert Foster“. Eventuell ging man aber auch davon aus, daß kein Mensch die Credits lesen würde, weil sich während des Vorspanns eine Frau im Wald nackt auszieht.

Die nette Nackte schwimmt dann ein wenig im See, und mit beinahe gynäkologisch anmutenden Unterwasseraufnahmen sehen wir die Gute plantschen. Daß die Unterwasseraufnahmen in einem Swimmingpool gedreht wurden und daher teilweise Lichter, eine Poolwand oder sogar ein Hinweisschild im Bild zu sehen sind, findet freilich kaum Beachtung, weil sich eine mobile Wasserleiche flugs an der guten Frau zu schaffen macht. „Vorsicht Nazi!“, rufe ich noch, aber es ist natürlich zu spät.

Im Ort sorgen sich derweil der Bürgermeister und ein pfeiferauchender Bewohner um den Verbleib der Frau. Der Bürgermeister zieht in Erwägung, die Polizei einzuschalten. Ein paar Schnitte später liegt der See auf einmal nicht mehr im Wald, sondern direkt am Stadtrand, und ein gewaltlüsterner Nazizombie steigt aus dem Wasser und kaut an einer vorbeilaufenden Bäuerin herum. Daß ihr Hals keine Bißspuren aufweist, sondern nur rote Farbe, verliert an Relevanz, weil man vorher schon gesehen hat, wie dem Zombie die grüne Farbe abblättert. Daß das giftig-grüne Zombie-Makeup nur bis zum Kinn geht und den Hals nicht mit abdeckt, monieren freilich nur blockbusterverwöhnte Kinogänger, die keine Ahnung von den Schwierigkeiten unterbudgetierter B-Filmereien haben.

Nun tragen drei vom Tod der Frau eher unbeeindruckte Bürger ihre Leiche durch die Stadt und legen sie dem Bürgermeister vor die Tür. Der Film könnte sich jetzt zu einem Höhepunkt aufschwingen, wenn der Bürgermeister sagen würde: „Oh nein, schon wieder ein Opfer der Nazizombies“. Lange Zeit läßt uns sein steinern-müder Gesichtausdruck und die prinzipielle Qualität der filmischen Vorgänge auch glauben, daß er diesen Satz jetzt von sich geben wird, aber er grübelt nur ein wenig, daß merkwürdige Dinge vor sich gehen.

Eine Reporterin taucht im Dorf auf und will das Geheimnis des Sees lüften, obwohl bislang ja nur wir Zuseher wußten, daß es da überhaupt eines gibt. Der Mann mit der Pfeife schickt die rasende Reporterin zum Schloß, in dem der Bürgermeister jetzt auf einmal wohnt, und dort sehen wir nicht nur einen Kameramann im Spiegel, sondern erfahren von dem netten Herren auch in langwierigen Sequenzen die Geschichte des Sees. Also: Es war einmal der Krieg. Und da waren Soldaten. Die haben mal geschossen, mal nackte Frauen im Heu vernascht. Letztere Sequenz dauert übrigens sehr, sehr lange, und es stellt sich die Frage, woher der Bürgermeister diese Information überhaupt hat. Nur neun Monate später jedenfalls ist ein Kind da, und ein deutscher Soldat, den wir aus offensichtlichen Gründen einfach „den blonden Hans“ genannt haben, schaut sich wortlos das Kind, dann seine Frau an und zieht dann wieder in den Krieg. Recht bald wird die Nazieinheit von der französischen Resistance erschossen (beziehungsweise: die Soldaten brechen einfach zusammen, obwohl überhaupt keine Art von Schußverletzung gezeigt wird) und in den See geworfen. Dort gehen die deutschen Soldaten dann unter wie die Steine, obwohl sie gar nicht beschwert wurden: Das Problem des Nationalsozialismus wiegt eben an und für sich schon sehr schwer.

Ab sofort wird die Handlung ein wenig konfus. Ein rein weibliches Volleyball-Team fährt im VW-Bus zum See, zieht sich dort kollektiv aus und wird ebenso gemeinschaftlich von den Nazizombies verspeist. Nur eine nackte Frau kann entkommen und berichtet im Dorf von den Ungeheurlichkeiten, woraufhin der Bürgermeister endlich die Polizei anruft. Die schickt zwei Inspektoren, die im Dorf sofort blöd angeredet werden und die einzige Augenzeugin selbstverständlich nicht mit einer einzigen Silbe verhören, sondern stattdessen selber zum See herausfahren, wo sie ebenfalls von den Nazis zerkaut werden. Die Nazizombies bewegen sich zwar sehr langsam und steif, aber sie tauchen dafür einfach immer dann auf, wenn gerade jemand mit dem Rücken zum See steht. Der Nationalsozialismus fordert seine Opfer.

Jetzt laufen die Nazizombies ins Dorf! Jetzt ist auf einmal Tag! Die Nazizombies laufen wieder in den See! Die Bürger bewaffnen sich! Eine nackte Frau wird von einem Nazizombie verspeist! Es ist auf einmal wieder Nacht! Der blonde Hans besucht seine mittlerweile zehnjährige Tochter und schenkt ihr einen Umhänger! Jetzt ist auf einmal wieder Tag, oder Nacht, oder sonstwas, und die Bürger schießen ein wenig auf die unbeeindruckten Zombies, aber dann kommt ein Schnitt, es ist wieder Tag, oder Nacht, oder wasauchimmer, und die Zombies sind wieder im See. Starthilfe für angehende Drehbuchautoren: Die Seiten nummerieren.

Glücklicherweise sind alle Figuren im Film ständig komplett unbeeindruckt und haben exakt einen Gesichtsausdruck auf Lager („Wann kriege ich meinen Scheck?“). Daß ständig wer stirbt oder gefressen wird, kratzt eigentlich niemanden so recht, und irgendwann raufen sogar die Zombies untereinander, weil der blonde Hans seine Tochter beschützen will. Wenn ich „raufen“ sage, meine ich natürlich „langsames Herumwälzen am Waldboden unter rapidem Tag-/Nacht-Wechsel“. Wahrscheinlich fühlen sich die anderen Zombies vernachlässigt, und finden, daß Hans zu wenig Zeit mit seinen Kumpels verbringt und seiner Arbeit nicht mehr ernsthaft nachgeht. Richtig niedlich dann das Bild, als Töchterchen mit Hans an der Hand an der Stadtmauer entlanggeht: Als würde Hans mitkommen zu einem dieser „Was arbeitet mein Papa“-Tage in der Schule. „Ich bin Hans. Ich bin Nazizombie und fresse Menschen“.

Irgendwann hat die Reporterin eine Idee, die sie dem Bürgermeister auch prompt unterbreitet: „Napalm“. Der Mann mit der Pfeife, von dem ich irgendwie geglaubt hatte, er sei bei dem nächtlichen Zombieangriff ums Leben gekommen, weist darauf hin, daß ohnehin ein Flammenwerfer zur Verfügung stehe, und so wird die randalierende Nazimeute dann einfach abgefackelt. Also, genaugenommen sieht man ein paar Sparflammen an den Klamotten, aber wir wissen ja, was gemeint ist.

Es mag natürlich sein, daß es bislang noch nicht deutlich gesagt wurde, weswegen wir noch kurz dezidiert darauf hinweisen müssen: Der Film ist nicht gut. Die Schauspieler sind absolute Trantüten, die Effekte sind lachhaft, die Kontinuität ist dermaßen abhanden gekommen, daß wir in einer Einstellung nackte Frauen bis zu den Knien im Wasser stehen sehen und dann in einer Unterwassereinstellung metertiefes Gewässer vorgesetzt bekommen. Der Energielevel des Ganzen ist ungefähr vergleichbar mit dem von Rudolf Scharping, den man um drei Uhr nachts aus der Narkose geweckt hat. Alleine steht man den Schund nie im Leben durch.

Fans der Nazizombies dürfen sich freuen: Jess Franco, der hier ursprünglich auch Regie führen sollte, hat kurz darauf seine eigene Variante des Themas inszeniert. Natürlich bei gleichbleibendem Niveau. Der Verdacht drängt sich auf: Vielleicht gibt es gar keine guten Filme über Nazizombies.

Sumpf der lebenden Toten (Frankreich/Spanien 1981)
Originaltitel: Le lac des morts vivants
Regie: „J. A. Laser“ (= Jean Rollin)
Drehbuch: „Julius Valery“ (= Julián Esteban), „A.L. Mariaux“ (= Jess Franco)
Produktion: Eurociné
Darsteller: Howard Vernon, Youri Rad (= Youri Radionow), Pierre-Marie Escourrou, Nadine Pascal, Anouchka, Robert Foster
Länge: 71 Minuten (geschnitten), 84 Minuten (ungeschnitten)

Hinweis: Die auf Amazon angebotene FSK16-Version ist geschnitten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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