[Film] Porno Holocaust (1981)

Uncategorized / 16. April 2007

Stimmen werden laut. Wildfremde Menschen organisieren Sitzstreiks auf dem Rasen vor meiner Wohnung, und zu den geschmeidigen Klängen italienischer Schundfilmsoundtracks werden große Banner hochgehalten: Die Menge fordert eine Rezension zu PORNO HOLOCAUST, einem der berüchtigsten Machwerke aus der Schmiede des Trash-Auteurs Aristide Massaccesi, der auch die unlängst hier sezierte Melange aus weichgezeichnetem Urwaldgebalze und richtig ekligem Innereienspektakel mit dem verlockenden Titel NACKT UNTER KANNIBALEN zu – jawollja: – verantworten hat. Weil die Sex-und-Gewalt-Verquickung so manchen Lire einspielte (trotz für uns nicht nachvollziehbarer Abwesenheit bei der damaligen Oscarverleihung), dachte sich Massaccesi weitere Schnittmengen zwischen – man verzeihe mir das Vokabular – Fürchten und Ficken aus, was uns direkt zu dem hier begutachteten Werk PORNO HOLOCAUST führt – einem der irritierendsten Titel der Filmgeschichte, der in seiner Unglaublichkeit eigentlich nurmehr von Sergio Garrones LAGER SS-ADIS KASTRAT KOMMANDANTUR übertroffen wird, dessen Übersetzung sich jeder selber zusammenreimen mag (Rezensionsexemplare bitte in unauffälligen braunen Umschlägen an die Redaktion schicken).

Betrachten wir uns diesen Titel, der da ängstliche Ahnungen von einem Film in unsere Köpfe setzt, der die Grenzen der Vorstellungskraft (und ebenso die des guten und schlechten Geschmacks) sprengt. Der Titel besteht aus zwei Schlüsselwörtern: Da wäre zunächst einmal „Porno“, und das gibt uns ja schon einmal einen zarten Hinweis darauf, was die Figuren machen werden und wieviel wir davon sehen. Da ist aber auch noch das Wort „Holocaust“, das uns Bilder eines Massenexodus‘, der totalen und systematischen Vernichtung, suggeriert, und – sofern wir mit dem öfter auftauchenden Wort „Holocaust“ in italienischen Schundfilmen vertraut sind – grenzwertige Ekeleffekte in liebreizenden Nahaufnahmen verspricht. Wie die beiden assoziationsreichen Worte miteinander zu verbinden sind, scheint unvorstellbar: Ist „Porno“ hier eventuell als Modifikator zu verstehen? Mit anderen Worten: Unterscheidet sich ein „Porno Holocaust“ grundlegend von einem „Jungle Holocaust“, so wie das bei „Hochschule“ und „Baumschule“ der Fall ist? Oder verrät uns der „Holocaust“ etwas über den „Porno“ – werden wir eventuell Zeugen von totalem und systematischem Vernichtungssex? Dreht sich die Handlung vielleicht um eine geheime Kopulationswaffe, wo der Zeugungsakt ins Gegenteil verkehrt wird?

Schön durchatmen. Lassen wir doch der Story des Films einfach freien Lauf. Der erste Part des Plots ist schnell erklärt: Eine Forschungsexpedition soll unheimliche Vorkommnisse auf einer Insel in der Karibik untersuchen, auf der vor 20 Jahren Atomtests durchgeführt wurden. Monströse Krabben wurden gesichtet, und die Fischer in den umliegenden Häfen geben abergläubischen Spuk über ein mordendes Monster zum Besten. Zunächst lernen wir Leutnant Maurice kennen, der die Wissenschaflter auf die Insel bringen soll. Am Swimming Pool plaudert Maurice ein wenig mit zwei Akademikerinnen, die beide offenbar beim überstürzten Aufbruch den Großteil ihrer Kleidung vergessen haben. Annie, die schwarze Schönheit ohne Gesichtsmimik, ist Kernphysikerin – manchmal sieht man das den Leuten wirklich nicht an! – während die burschikose Contessa, deren cremefarbener Bikini aussieht wie ein kleiner Smiley, Biologin oder Zoologin oder Radiologin oder eine sonstige –login ist (merken für zukünftige Reviews: Notizen machen, um wichtige Handlungsdetails wiedergeben zu können).

Annie geht mit Maurice essen, und dann schmusen sie ein wenig am Strand. Warum genau sie das machen, war mir nicht exakt nachvollziehbar, da der gute Leutnant Maurice ungefähr so aufregend wirkt wie Teig, aber andererseits paßt er damit gut zu Annie, die weniger Ausdruck hat als meine Bratpfanne. Maurice liebt die Positionen „Hündchen“ und „69“, was Schauspieler Mark Shanon sicherlich in seiner Vita unter „Besondere Fähigkeiten“ gelistet hat – diese beiden Stellungen werden wir noch einige Male zu sehen bekommen. Wer sich im Zuge der Gleichbehandlung stets darüber geärgert hat, daß im Film immer nur das Gesicht der Frau beim Orgasmus zu sehen ist, wird sich hier sicherlich darüber freuen, daß wir im entscheidenden Moment des Leutnants verkrampftes Gesicht bewundern dürfen.

Die Contessa ist derweil auch nicht ganz untätig. Ein Satz Ohrfeigen im Austausch mit einer dritten Wissenschaftlerin, Simone – die wir zuvor von ihrem Ehemann sträflich vernachlässigt sahen – führt zu einem intimeren Diskurs. Danach führt sie der Forschungsdrang in ein Freudenhaus, wo sie sich von zwei großen Schwarzen beglücken läßt. Einer der beiden hat schwere Erektionsprobleme, der andere checkt kurz vor dem Finish noch einmal mit Blick in die Kamera, wo er denn jetzt seinen Lebenssaft dekorativ hintröpfeln soll. Wenigstens glaubt der Komponist, daß das Vergnügen hocherotischer Natur ist, und so wird auch in dieser Hinsicht forsch geflötet.

Irgendwann schafft es die ganze Expedition doch noch, ihrem anatomischen Forschungsdrang Einhalt zu gebieten, und skippert auf die Insel. Verfolgt werden sie dabei von einem mysteriösen Reporter, der vom Regisseur selbst gespielt wird. Auf der Insel angekommen, setzt sich der heitere Reigen fort: Maurice gibt wieder die 69 und dringt in die Kernphysik ein, während die Contessa und Simone aneinander lecken (dazu reibt sich die Contessa ihre Schamlippen an dem Baumstamm, auf dem sie sitzt, was ich mir schmerzhafter vorstelle, als es uns der Film weismachen will). Allein ein bärtiger Forscher arbeitet ein wenig und stellt fest, daß überhaupt keine Strahlung mehr vorliegt. Die Kernphysikerin wundert sich, daß es auf der Insel keine Insekten, keine Vögel und keine Nagetiere gibt, und wir wundern uns angesichts der Tatsache, daß beständiges Vogelgezwitscher zu hören ist, einmal mehr darüber, wie einfach es doch heutzutage ist, einen Uni-Abschluß zu bekommen.

Wo bleibt der Holocaust? Gemach, liebe Zuseher, schließlich ist der Porno ja vorangestellt. Aber nach nur einer Dreiviertelstunde kündigt sich das Grauen schon an: Unsere Forschungsexpedition wird stets aus den Büschen heraus beobachtet, was wir im wackligen POV einer Handkamera unter ominösem Brummen des Soundtracks miterleben. Ist es ein Tier? Ein Monster? Ein atomar verseuchtes Holocaust-Opfer gar? Eine wirklich witzige Auflösung wäre es ja einmal, wenn es sich herausstellen würde, daß das Team von einem derangierten Kameramann beobachtet würde, der mit wackliger Handkamera durch das Gebüsch stolpert, aber den Gefallen tut uns der Film nicht.

Nach nur 70 Minuten Film und allerlei wissenschaftlich motivierter Penetration tritt das Monster endlich in Erscheinung. Simone und ihr Mann haben gerade noch eine Fünf-Sekunden-Nummer geschoben (Endlich! Ein realistischer Porno!), da stolpert ein großer schwarzer Zombie aus dem Gebüsch und ertränkt den Mann im Wasser. Eventuell handelt es sich nicht um einen Zombie, sondern um ein mutiertes Monster, aber eigentlich ist das herzlich egal. Der Riese stapft zu Simone herüber, läßt seine Hosen herunter und zwingt sie zum Oralsex. Weil seine Gerätschaft recht groß ist, gerät sie dabei auch ein wenig in Atemnot.

„This is what it’s about. The maximum combination of horror and sex!“, freute sich der Regisseur im Interview mit Jay Slater. Tatsächlich ist ein triebgesteuerter Zombie, der armen Frauen sein Gehänge aufzwingt, weder gruselig noch erotisch – es ist eine stupide Derbheit, eine völlig sinnfreie Perversion, die dem gleichen Problem anheim fällt wie auch schon NACKT UNTER KANNIBALEN: Das Nivellieren der (in diesem Falle sogar Hardcore-)Sexszenen mit der anschließenden Gewalt hebt den Effekt beider Teile auf und läßt den Film zu einer beklemmenden Qual werden. Es wirkt tatsächlich so, als sollte selbst die Vergewaltigung durch einen Zombie stimulierend wirken!

Ab diesem Punkt geht es dann, soweit man sich das überhaupt vorstellen kann, bergab mit dem Film. Der einsame Zombie schlägt ein paar Teammitgliedern den Schädel ein, was dann so aussieht, als hätten sie ein ganzes Glas Marmelade im Gesicht. Er entführt Annie in seine Höhle, die präzise deduziert, daß der Zombie durch die Atomtests mutiert ist und seine Familie verloren hat. Obwohl sie nur an den Händen gefesselt ist, kommt sie leider nicht auf die Idee, wegzulaufen – aber im Porno läuft man ja auch nicht, da sitzt man und wartet auf die Action. Die Contessa quengelt Maurice an, daß sie noch einmal Sex haben möchte, bevor sie stirbt, und er erfüllt ihr seufzend den Wunsch mit Hündchen-Stellung vor den Augen eines anderen Teammitglieds. Der Zombie schnappt sich die Contessa, schlägt sie nieder und vergnügt sich mit der Bewußtlosen am Strand, bis sie blutig ist – dabei schafft er es erstaunlicherweise sogar, unten zu liegen. Maurice und Annie können in einem kleinen Boot entkommen, aus Freude machen sie wieder Hündchen, und dann kommt ein Schiff vorbei, das beide rettet.

Das war er, der PORNO HOLOCAUST. Sehr viel Porno, ganz wenig Holocaust, aber trotzdem eine ganz üble Mischung, die bestenfalls ungläubiges Kopfschütteln hervorruft. Autor und Schauspieler George Eastman – der es die ganze Zeit schafft, die Klamotten anzubehalten – gab in einem Interview zu Protokoll, daß der Film – zusammen mit den drei Filmen, die mit der gleichen Crew auf der gleichen Insel und teilweise mit den gleichen Schauspielern gedreht wurden! – prinzipiell dazu da war, dem Team einen möglichst unanstrengenden Karibikurlaub zu finanzieren. Hoffen wir mal, daß der Trip vergnüglich war – der dabei entstandene Film ist wie ein im Delirium entstandener Unfall, bei dem es völlig unverständlich ist, wie er irgendwem zu irgendeinem Zeitpunkt wie eine gute Idee erscheinen konnte. Früher hat man sich auf dem Jahrmarkt Menschen angesehen, die lebendigen Hühnern den Kopf abbeißen, heute gibt es Filme, die wahrscheinlich aus dem gleichen Grund Geld bringen: Man faßt es einfach nicht.

Porno Holocaust (Italien 1981)
Originaltitel: Holocausto porno
Regie: „Joe D’Amato“ (= Aristide Massaccesi)
Drehbuch: Tom Salina (=George Eastman)
Musik: Nico Fidenco
Produktion: Kristal Film
Darsteller: Mark Shanon, Dirce Furnari, Annj Goren, George Eastman, Lucia Ramirez
Länge: 110 Minuten
FSK: 18

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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