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Wenn die tollen Tanten kommen (1970)

Kultur und kein Ende: Beim jüngst berichteten Ramschkistengestöber im freudlosesten Elektromarkt Salzburgs (hier nachzulesen) beförderte das Schicksal eine ganze DVD-Box mit sagenhaften drei Filmen für fünf Euro in meine gierigen, geizigen Hände, und so darf ich ab sofort jedem Besucher meine Kollektion der TOLLE-TANTEN-Filme zeigen, in denen Rudi Carrell und Ilja Richter dem Irrglauben aufgesessen sind, daß sie komisch sind, und dabei auch dem Mißverständnis anheim fielen, daß Männer in Frauenkleidern immer lustig sind. Aber Irren ist bekanntlich menschlich, und menschlich sind auch die Irren, und beides kombiniert ergibt Filme wie WENN DIE TOLLEN TANTEN KOMMEN, die durch ihr Wörthersee-Setting schon eine gewisse Vorahnung bezüglich ihres Niveaus zulassen. Natürlich nur, wenn man Induktivist ist.

Weil Ilja Richter die Vertragsverlängerung mit dem Schloßhotel in Velden vertüttelt, wird er von seinem Chef zusammen mit Rudi Carrell, der diesmal einen Holländer namens Rudi spielt, ebendorthin geschickt, um die Angelegenheit ins Reine zu bringen. Auf der Reise gehen den beiden aber Auto, Pässe, Geld und Kleidung verloren – letzteres nach einem unmotivierten Plantschbad in einem dahergelaufenen See, das Freunden homoerotischer Untertöne gewissermaßen Zündstoff bieten dürfte – aber plötzlich poltert ein Koffer mit Frauenkleidern (und praktischen Perücken) auf die Straße, und im Schloßhotel halten alle Tante Rudi für eine steinreiche Reisebüroleiterin, was in eine Verwechslungskomödie der hochkomplexen Art mündet.

Es gibt verschiedene Subplots und Nebenfiguren, die der Geschichte die richtige Würze verleihen: Chris Roberts schießt mit schnellem Motorboote über den Wörthersee und schmettert mit wehendem Haar „Du bist nicht mit Gold zu bezahlen“. Christian Anders darf gleichermaßen herumsülzen, und wie im Schlagerrevuefilm der Fünfziger geben sich die – ähem – Musiker die Klinke in die Hand. Eine Blasmusikkapelle spielt einen Song mit dem schönen Refrain „Mensch Meier, hab ich heut‘ wieder Chancen / Mir g’fällt a jede, sogar a Blöde“, und von den anderen Menschen, die sich hier in die Gehörgänge einschmeicheln wollen, mag ich gar nicht anfangen. Hubert von Meyerinck spielt Iljas Chef ungefähr so, als würde ihm jeden Moment der Kopf explodieren, und Gunther Philipp – Entschuldigung, Dr. Gunther Philipp, soviel Zeit muß sein – fuchtelt sich mit augenrollenden Grimassen durch das Geschehen. Vergessen wir nicht den finsteren Gangster Jochen Busse, der für den Besitzer des Hotels gehalten wird, während Inspektor Rainer Basedow einigermaßen beschränkt herumtrottelt. Und ganz zu Beginn kasperlt kurz Hans Terofal mit, dessen Begeisterungspotential nur von meiner Fähigkeit übertroffen wird, sein Gestottere täuschend echt nachzuahmen.

Aber, ach, es muß doch kurz ein kritisches Wort gesprochen werden. Der Film ist nämlich nicht wirklich so gut, wie er sich anhört. Carrell und Richter sind in ihren Oma-Kleidern durchweg überzeugend – solange man blind, taub und autistisch veranlagt ist. Die verschmumpfte „Handlung“ schafft es leider nicht, ihre eigenen idiotischen Verwechslungsgags auszukosten, und hangelt sich von einer Musikdarbietung zum nächsten abgestandenen Witz – eine Feststellung, die freilich keine allzu verblüffende Überraschung darstellt. Und während technische Mängel selten Einzug in meine Elaborate finden und in diesem Falle auch eine Blu-Ray-Angeber-Digital-Überbit-Meister-Propper-Version das Vergnügen nicht wirklich gesteigert hätte, darf noch erwähnt werden, daß das Bild verwaschener aussieht als meine alten Geschirrtücher, die 90 Minuten lang anzusehen ähnlich erbaulich ist.

Vielleicht hatte es doch einen Grund, daß die DVD in der Ramschkiste lag.

Wenn die tollen Tanten kommen (Deutschland 1970)
Regie: F.J. Gottlieb
Drehbuch: Kurt Nachmann, August Rieger
Kamera: Heinz Hölscher
Produktion: Lisa Film
Darsteller: Rudi Carrell, Ilja Richter, Gunther Philipp, Chris Roberts, Christian Anders, Hubert von Meyerinck, Ulli König, Gaby König, Hans Terofal
Länge: 90 Minuten
FSK: 6

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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