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Eragon – Music from the Motion Picture (2006)

Fantasy 101
Patrick Doyle und ein grundsolider Fantasy-Score: ERAGON, der Soundtrack.

Die großen Ereignisse der wirklichen Welt gehen einmal mehr spurlos an mir vorüber: Da schreibt so ein 15jähriger Stöpsel ein Amalgam aus seinen Tolkien-Träumen und starkem Star-Wars-Konsum, erobert damit die Bestsellerlisten und findet seine Geschichte nur wenig später als Blockbuster auf den Kinoleinwänden wieder. Mama Genzel, ein steter Quell des Wissens, informiert mich dahingehend, daß das betreffende Buch und sein Nachfolger sehr zu empfehlen seien. Die gute Elisabeth – rund 40 Jahre jünger, aber nicht minder belesen – verrät mir, daß sie beide Bücher liebe, obwohl das erste eigentlich total schlecht sei. Das zeugt zwar von einem großen Herzen, ist aber für diese Kritik eigentlich völlig irrelevant. Denn bis Redaktionsschluß war keine der genannten Expertinnen zu erreichen, um mich über die Meriten der ERAGON-Verfilmung aufzuklären.

Dann ziehen wir eben aus dem vorliegenden Soundtrack Rückschlüsse und behaupten einfach mal folgendes: Wenn Film und Musik eine Einheit bilden, dann ist ERAGON eine solide, straighte Fantasygeschichte ohne Überraschungen, aber dafür mit jedem Eckpfeiler, den man von einem solchen Spektakel erwartet. Patrick Doyle – der dem vierten HARRY-POTTER-Film (war das nun der Freudenkelch oder doch der Gefangene in der Achterbahn?) düstere Klänge angedeihen ließ – muß in einer geheimen Bibliothek (oder beim Libro) ein Buch entdeckt haben, das die Entstehung eines Fantasy-Scores in zwölf Schritten anhand der großen Meister erklärt.

Erstens: Wir brauchen ein eingängiges, melodiöses Thema. John Williams macht das immer so. Zweitens: Wir brauchen großen Bombast, episches Orchesteraufkommen, wild aufpeitschende Bläser. Wer war Hans Zimmer doch gleich? Drittens: Gefahr wird am besten durch musikalische Schwere suggeriert. Fragt mal Howard Shore. Viertens: Wenn auf der Leinwand viel Action zu sehen ist, dürfen Dissonanzen ins Spiel kommen – Ausmaß bleibt der Intuition überlassen. Gott hab Jerry Goldsmith selig. Fünftens … aber lassen wir das.

Doyles Score ist also ein heiteres Gebräu aus allem, was das große Blockbuster-Kino und die einschlägigen Fantasy-Abenteuer-Scores hergeben. Der Neid muß ihm auch lassen, daß er die Musik wirklich gut im Griff hat: Es ist zwar alles irgendwoher zusammengeklaubt, klingt aber trotzdem wie aus einem Guß. Dramatisch fiedeln die Streicher, immer wieder nimmt das Orchester Anlauf zu einem weiteren Höhenflug, alles klingt wie nach großem Epos. Extrem bildstark ist das Spektakel ohne dazugehörigen Film nicht, aber es ist eigenständig hörbar. Als musikalische Untermalung zum Lesen von Fantasyromanen oder zum Spielen von alten PC-Rollenspielen funktioniert der Score wunderbar; zum sinnfreien MySpace-Surfen und dortigem Friends-Sammeln weniger. Die schwindelerregende Brillanz von Basil Poledouris‘ CONAN-Score – der in seiner Auseinandersetzung mit verschiedenen musikalischen Epochen und klanglichen Texturen einen ganz originären Klang besitzt – wird nie erreicht, aber schlecht ist an Patrick Doyles Score natürlich auch nichts.

Hinten auf der CD finden sich noch zwei Songs, die nicht hinter den ganzen Orchesterwupp passen – aber wie oft ärgert man sich als Soundtrack-Käufer über Musik, die im Film zu hören ist, nicht aber auf der dazugehörigen CD. Avril Lavigne – mit ihrem bisherigen Oeuvre ungefähr so unterhaltsam wie über die Tafel kratzende Kreide – hat einen irgendwie okay-en Song namens „Keep Holding On“ beigesteuert, danach leitet Jem noch mit „Once in Every Lifetime“ heraus, der ebensowenig Reaktionen hervorruft. Nett, danke, schon gut.

An dieser Stelle wäre sicher noch ein weises, pointiertes Schlußwort angebracht. Es will sich aber gerade nicht zusammenbrauen. Hätte jemand noch gerne eine Kaufempfehlung? Bitte, gerne: Ich will auch gar nicht vom Album abraten. Wo die meisten Scores das Problem haben, ohne Film kaum von Interesse für den gemeinen Hörer zu sein, kann der ERAGON-Score auch als reine Musik gefallen. So, und jetzt ist auch ohne Schlußwort Schluß.

Dieser Text erschien zuerst am 5.1.2007 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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