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Karate Tiger 2 (1988)

Die seligen Achtziger, die Dekade der aus dem Boden sprießenden Videotheken und des ihre Regale füllenden Billigschrotts. Wöchentlich trudelten Dutzende von schnell heruntergekurbelten Filmchen ein, deren Budget das dieser Website locker unterbieten dürfte, und deren Videocover meist das Aufregendste am ganzen Film waren. Weil findige Verleiher feststellten, daß manche Titel offenbar besser ziehen als andere, wurden in beinahe stochastischer Kombinatorik beliebige Titel zusammengeschustert, die gleichsam Aufregung und Altvertrautes suggerieren sollten. Besondere Schlüsselwörter rund um die aus heutiger Sicht recht behäbigen amerikanisierten Martial-Arts-Filme blieben stets „Ninja“, „Tiger“, „Karate“, „American“, „Dudikoff“ sowie „Fighter“, „Kickboxer“ oder „Schwergewichtsweltmeister dritter Klasse im Feng Shui“. Irgendwie muß man das Fußvolk ja dazu kriegen, sich den Mist auszuleihen.

Das vorliegende Exponat KARATE TIGER 2 ist allein deshalb ein paar Absätze wert, weil es eigentlich gar keine Filmreihe namens KARATE TIGER gibt. Oder dann doch, obwohl die einzelnen Filme eigentlich gar nichts miteinander zu tun haben. Mal von vorne: 1985 kam ein billiger Film namens KARATE TIGER in die Videotheken, der der Welt einen belgischen Muskelmann namens Jean-Claude Van Damme bescherte. Der Film, der im Original NO RETREAT, NO SURRENDER heißt, war erfolgreich genug, daß Produzent Ng See Yuen ein Sequel hinterherschieben sollte. Während die Handlung mit dem Erstling rein gar nichts zu tun hat, hätten doch Van Damme und der Hauptdarsteller des vorigen Films, Kurt McKinney, wieder als Gegenspieler mitgewirkt. Van Damme hat allerdings nachgedacht (wer hätte gedacht, daß diese Worte einmal geäußert würden) und befand, eine Fortsetzung würde seine Karriere nicht fördern. Kurzerhand sprang er ab und überzeugte McKinney, ihm zu folgen. Ohne Darsteller des ersten Teils und fortlaufende Handlung kam also NO RETREAT NO SURRENDER 2: RAGING THUNDER, beziehungsweise eben KARATE TIGER 2.

So weit, so überschaubar. Loren Avedon, der Hauptdarsteller von Nummer Zwei, unterschrieb gut gelaunt einen Vertrag über drei Fortsetzungen, die – jetzt war’s ja auch schon egal – überhaupt nichts mit den anderen Filmen zu tun haben würden. Van Damme drehte derweil einen Streifen namens KICKBOXER, den der deutsche Verleih relativ ungeniert als KARATE TIGER 3 – DER KICKBOXER unters Volk warf. Als nun NO RETREAT, NO SURRENDER 3 mit dem Untertitel BLOOD BROTHERS erschien, entstand nach und nach ein wundervolles Durcheinander, dessen Entwirrung dem geneigten Rezensenten einen Platz in der nächsten Quizshow sichern dürfte: Teil 3 kam hierzulande als KICK BOXER 2 – BLUTSBRÜDER auf den Markt, wurde anderswo aber freilich noch als KARATE TIGER 3 gehandelt. Die Fortsetzung von Van Dammes KICKBOXER wurde hierzuladen ebenfalls als KICKBOXER 2 veröffentlicht, mit dem Untertitel DER CHAMP KEHRT ZURÜCK.

Und jetzt wird’s spannend. Der deutsche Verleih sah ja, daß die Filme ohnehin keinerlei Verbindung zueinander aufwiesen, und kaufte einen völlig anderen Martial-Arts-Film namens BEST OF THE BEST, den sie als KARATE TIGER 4 in die Videotheken stellten. Der vierte Teil der NO SURRENDER-Reihe mit dem Titel KING OF THE KICKBOXERS (gerne auch ohne das NO SURRENDER-Präfix gelistet) wurde zu KARATE TIGER 5 – DER KÖNIG DER KICKBOXER (blieb aber in anderen Ländern KARATE TIGER 4). Teil 5 wurde gar nicht in die Reihe mit aufgenommen, sondern wurde zu AMERICAN SHAOLIN, aber zum Glück gab es ja noch KICKBOXER 3: THE ART OF WAR, der nun zu KARATE TIGER 6 – ENTSCHEIDUNG IN RIO wurde. Machen wir’s kurz: Teil 7-9 der vermeintlichen Serie sind völlig andere Produkte, Teil 4 und 5 der KICKBOXER-Reihe hießen auch bei uns entsprechend, und um den Spaß zu verdichten, gibt es völlig andere Filme mit den Titeln AMERICAN KARATE TIGER, BLOOD BROTHERS, AMERICAN KICKBOXER und so weiter und so fort.
So. Wer bis hierhin gelesen hat, dürfte auch einigermaßen interessiert sein an der Handlung des Streifens, um den es hier eigentlich gehen soll – Beschwerden über das Ausufern obiger Auseinanderklamüsereien bitte an die Chefredaktion leiten, die den anderen Rezensenten dann aufgrund nachlässiger Recherche das Gehalt halbieren dürfte. Wo waren wir? Ach ja: Ein Amerikaner namens Scott reist frohen Mutes nach Bangkok, um dort seine Verlobte Sulin zu besuchen. Weil er nicht weiß, daß Sulin steinreich ist und in einem Haus wohnt, in dessen Wohnzimmer eine ganze Golfanlage Platz hätte, haust er in einem heruntergekommenen Hotel mitten in der Stadt, wo aufdringliche Zuhälter einem im Minutentakt sich langweilende Frauen auf’s Zimmer schicken. Nach kurzem romantischem Dinner mit Sulin und Affenhirnsuppe wird im Hotel geschmust, aber dann krachen finstere Rabauken durch die Tür und nehmen das Prinzeßchen mit. Weil Scott selbstverteidigenderweise ein paar seiner Angreifer zu grob behandelt, wird er von der thailändischen Polizei hops genommen und wegen Mordes angeklagt.

Lassen wir das, die Handlung nachzuerzählen ist einerseits zu mühsam und andererseits total überflüssig. Lassen wir den gefesselten Zuseher doch schlicht in dem Wissen, daß Scott sich Unterstützung eines weiteren Amerikaners namens Mac und einer jungen Cynthia Rothrock holt, nach Kambodscha ins Dschungelcamp fliegt und dort ordentlich austeilt. Ab der Hälfte des Films treffen wir auch den finsteren Obergeneral, dessen Name sich nicht wirklich festgesetzt hat, der aber vom deutschen Hünen Matthias Hues (in seinem Leinwanddebüt) gespielt wird. Hues sieht exakt so aus wie ein Endgegner in einem Videospiel und hat seine DOUBLE-DRAGON-Recherchen sicherlich sehr oft unterbrochen, um böse Grimassen vor dem Spiegel zu üben. Bei den Sequenzen, wo er schauspielerisch überfordert war, hat man eventuell aber auch sein Gesicht schräg gegen eine unsichtbare Glasscheibe gepreßt – den Unterschied merkt keiner. Den Humoristen in mir freut es, daß auch Hues noch so richtig lachen kann, weil heutige Bösewichter einfach immer als sehr freudlose Menschen dargestellt werden.

Hues landet übrigens im Alligatortümpel, in den er Sulin und Cynthia versenken wollte, aber was exakt ihn erledigt hat, bleibt offen: Die hungrigen Krokodile, der Jeep, der ihm auf den Kopf fällt, oder die Explosion selbigen Fahrzeugs. Cynthia kann irgendwann nicht mehr mitkämpfen, weil sie einige zwanzig Kugeln im Körper hat, aber Mac ist zuversichtlich: „Sie wird durchkommen“.
Erwartet jetzt noch jemand eine ernsthafte Beurteilung der Qualitäten von KARATE TIGER 2? Hihihihihiiiiihihihhiiiiihihihiiihhii. Pardon me while I have a strange interlude. Aber sind wir mal ganz ehrlich: Man kann sich schlimmere und langweiligere Filme antun.
Inszeniert hat den Kracher übrigens Corey Yuen, der dann später bei X-MEN und LETHAL WEAPON 4 die Kampfchoreographien geleitet hat und derzeit im Kino als Regisseur Holly Valance und ein paar andere Darstellerinnen (wir verwenden den Begriff in seiner losesten Definition) in DEAD OR ALIVE durch einige Turnübungen schickt. Und aus!

Karate Tiger 2 (Hongkong/USA 1988)
Originaltitel: No Retreat, No Surrender 2: Raging Thunder
Regie: Corey Yuen
Produktion: Seasonal Film Corporation
Darsteller: Loren Avedon, Max Thayer, Cynthia Rothrock, Matthias Hues
Länge: 90 Minuten
FSK: 16

Dieser Text erschien zuerst am 20.11.2006 bei mannbeisstfilm.de.
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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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