[Artikel] Ein Tag im Leben eines Studienrichtungsvertreters

Uncategorized / 17. September 2001

Viele von unseren Kollegen wissen nicht, wie sich die Tagesroutine eines Studienrichtungsvertreters gestaltet – einige wissen nicht einmal, daß es uns gibt. Tieftraurig ob unseres Schattendaseins präsentieren wir Euch im folgenden einen detaillierten Insider-Bericht über die aufopfernde Tätigkeit, deren Bürde wir tagtäglich zu tragen bereit sind. Nicht jeder Tag ist absolut identisch, weswegen wir uns bemüht haben, einen streng durchschnittlichen Tag herauszugreifen. Wir hoffen, somit unsere Arbeit transparenter darstellen zu können und wünschen viel Vergnügen bei den folgenden Enthüllungen.

07:14 Erstes verschlafenes Blinzeln, als man schon wieder vom Putzmann geweckt wird, nachdem man erneut eine Nacht vor dem Computer verbracht hat. Diese Computerspiele werden aber auch immer schwieriger!

08:00 Das Institutsgebäude wird aufgesperrt. Endlich können wir den Pedell um Wechselgeld anpumpen: Wir brauchen unbedingt einen Kaffee und wieder einmal freut es uns nicht, die Kaffeemaschine schmutzig zu machen. Der Automatenkaffee ist wäßrig, aber immer noch besser als die Brühe, die unsere Mitarbeiterinnen kochen.

08:43 Die neuen Infobroschüren der ÖH werden geliefert und vor dem Haus aufgetürmt.

10:15 Die einzige Vorlesung, die wir in diesem Semester besuchen, fängt an. Ohne uns, natürlich.

10:56 Kurzer Höflichkeitsbesuch in der obengenannten Vorlesung. Da uns das Thema eigentlich gar nicht interessiert, gehen wir nach 10 Minuten wieder und winken dem Professor beim Verlassen des Hörsaals freundlich zu. Dieser zwinkert zurück und wir wissen: Der Schlußtest ist unter Dach und Fach.

11:15 Wir sind äußert verwirrt und durcheinander, da die Meldung umgeht, daß die Institutsbibliothek geöffnet sei und sich sogar Studenten in selbiger um Bücher bemühen. Hat denen noch niemand erklärt, daß jedes Paper aus dem Internet gezogen werden kann? Wer schreibt denn heute seine Referate noch selber??

11:25 Nachdem wir beruhigt feststellen konnten, daß wir einem Gerücht aufgesessen sind, erhalten wir einen Anruf vom Lieferanten der ÖH-Broschüren, der uns darauf hinweist, daß die „Dinger nicht von alleine die Stiegen zu unserem Büro rauflaufen“ würden. Wir schauen aus dem Fenster und stellen fest: Tatsächlich, die Broschüren lungern bewegungslos vor dem Eingang.

11:35 Ein freudiges Ereignis: Das neue SuperDukeDoom’Em 24 ist vollständig aus dem Internet heruntergeladen und wird von uns in einer ausgiebigen Sitzung wissenschaftlich analysiert. Die Schußlaute werden per radauoptimierter Beschallungsanlage an die Kollegen in den anliegenden Büros weitergegeben – da soll noch mal einer behaupten, wir würden sie ignorieren. Unsere Mitarbeiterinnen bereiten einstweilen das Essen zu.

12:13 Wir unterbrechen die Sitzung für ein ausgiebiges Mahl. Satt und zufrieden sinken wir in die Couch und ruhen uns ein Stündchen aus, da wir ja nachts nicht genug Schlaf bekommen haben. Die Kolleginnen sind inzwischen so nett, sich um den Abwasch zu kümmern.

13:30 Ein Professor kommt in unser „Büro“ und bettelt um eine Tasse Kaffee. Da wir unsere Maschine ja nicht schmutzig machen wollen, schicken wir ihn zum Automaten hinunter und bestellen bei Gelegenheit noch jeweils einen Becher für uns selbst. Seinem Widerwillen wirken wir schnell mit der Drohung entgegen, bei der nächsten Studienkommissionssitzung einer Verlängerung seines Dienstvertrages entgegenzustimmen.

14:15 Der wöchentliche Institutskaffeeklatsch in Form einer sog. „Studienkommissionssitzung“ raubt uns wieder einmal wertvolle Zeit, die wir zu Studien vor dem Computer verwenden könnten.

14:30 Aufgrund seiner pädagogisch wertvollen Leistungen wird der Kaffeeholer von uns weiterempfohlen.

15:30 Wir wachen am Ende der Sitzung auf und hoffen, nicht zu laut geschnarcht zu haben. Da außer dem Vorsitzenden die Kollegen ebenso in Morpheus’ Armen lagen, wird unsere Konzentrationsschwäche allerdings nicht wirklich aufgefallen sein.

15:32 Unter dem Punkt „Allfälliges“ merken wir noch an, daß der Kaffee bei der nächsten Sitzung stärker sein sollte.

15:45 Wir teilen dem Kaffeeholer den Ausgang der Sitzung mit und lassen uns von ihm zu einem Champagner-Umtrunk breitschlagen.

16:33 Der Umtrunk wird von einem hilfesuchenden Studenten unterbrochen, der dringende Informationen zu den neuen Studienplänen benötigt. Leicht verärgert ob dieser Störung lassen wir ihn drei Runden ums Haus laufen; als er danach immer noch auf Auskunft beharrt, schicken wir ihn zum Pedell, der eine Anlaufstelle für die interessantesten Adressen ist.

16:57 Des Studenten entledigt, beginnen wir eine Diskussion, warum gerade uns immer alle um Auskunft anhauen. Wieso glaubt eigentlich jeder, daß wir die Studienpläne LESEN? Wir stimmen doch nur darüber ab!

17:12 Das Telefon klingelt und ein Kollege einer anderen Studienrichtungsvertretung berichtet uns entsetzt, daß der Pedell einen Studenten an sie verwiesen hätte, da sie angeblich Auskunft erteilen könnten. Wir sind beruhigt, da wir offensichtlich nicht die einzigen sind, die unter fürchterlichem Streß leiden.

18:34 Es ist Zeit für ein wenig Bewegung. Wir fordern die wenigen Professoren, die noch am Institut weilen, zu einem Hockeymatch auf dem Korridor auf. Damit das Ganze etwas spannender wird, gibt es einen hohen Einsatz: Der Sieger darf die Noten sämtlicher Studenten im nächsten literaturwissenschaftlichen Seminar bestimmen.

18:39 Wir spielen nicht unbedingt fair, aber man muß ja hin und wieder etwas für die studierenden Kollegen tun; die entstehenden Sachschäden werden von den Privatversicherungen der Professoren abgedeckt. Die von uns eingesetzte (hin und wieder übertriebene) Härte (wir bevorzugen die Bezeichnung „sportlicher Ehrgeiz“) wird von den Vortragenden aber gerne in Kauf genommen, da diese sich durchaus über ein paar Tage Krankenstand freuen.

18:50 Wir gewinnen mit einem Tor Vorsprung, da kein Professor mehr in der Lage war, den Schläger zu halten – den anfänglichen Rückstand von 20 Toren konnten wir durch gut durchdachten Einsatz von Gewalt ausgleichen.

19:01 Wir fangen unseren täglichen Countdown an: In 59 Minuten wird das Institut endlich wieder abgesperrt und gehört uns alleine, so daß wir uns ohne weitere Störungen wieder unserem Streben nach Weltherrschaft hingeben können.

19:59 Bevor der Pedell das Haus absperrt und verläßt, pumpen wir ihn wiederum um Kleingeld an, da wir schließlich auch in der Nacht Verpflegung aus den Lebensmittelreplikatoren benötigen.

20:00 Das Haus ist zu und unser!

20:01 Anruf beim Pizzalieferanten. Wie gut, daß die Uni ein Kundenkonto hat!

20:30 Obwohl sich der Lieferant nicht damit anfreunden kann, geht der Pizzadeal durchs Kellerfenster vonstatten. Das Fenster ist zwar klein, aber wir haben ja schließlich keine dreistöckige Torte bestellt. Das überlassen wir dem zu Dankbarkeit verpflichteten Kaffeeholer.

21:12 Da unsere amerikanischen Kollegen an ihren Universitäten nun schön langsam aufwachen, beginnen wir den internationalen Erfahrungsaustausch per ICQ-Chat. Wir freuen uns darüber, daß die Welt trotz großer Entfernungen und kultureller Barrieren eigentlich ein kleines Dorf ist.

22:03 Das Schwärmen der US-Korrespondenten über die neuesten Computerspiele weckt in uns wieder die Lust, unseren eigenen Forschungen nachzugehen und unseren naturgegebenen Spieltrieb zu besänftigen. Da wir diese Session nicht unterbrechen möchten, decken wir uns vorzeitig mit Kaffee aus dem Automaten ein.

23:59 Der Kaffee ist schon wieder alle und wir stehen vor einem Hauptgegner. Bevor wir diese Hürde anpacken, gehen wir nach unten, um den Kaffeevorrat aufzustocken.

00:17 Wir erholen uns von dem Schock, am Gang dem lange totgeglaubten Emeritus zu begegnen. Das Mysterium um sein Verschwinden fand allerdings eine banale Lösung: Auf der Suche nach dem Kaffeeautomaten hat er sich in den Schutzräumen im Keller verlaufen.

00:25 Nachdem wir das letzte Zittern abgeschüttelt haben, wird unsere Motorik und die Auge-Hand-Koordination wieder durch die neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften auf dem Gebiet der Computertechnik gefördert: Das Spiel wird schneller und schwerer, aber wir sind ja auch nicht zum Spaß an der Uni.

03:56 So beißen wir uns durch, bis wir mit von Erschöpfung rotgeränderten Augen (was durch die billigen Monitore verstärkt wird) einschlafen und mit dem Kopf auf die Tastatur knallen.

07:14 Erstes verschlafenes Blinzeln, als man schon wieder vom Putzmann geweckt wird …..

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Stefan Stingl und erschien ursprünglich in der Ausgabe November/Dezember 2001 der Studentenzeitschrift Aktion.

——————
4 8 15 16 23 42






Avatar-Foto
Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".