Neuer als alt

BAYWATCH: Von schönen Menschen und sonniger Zeitlupe

Das neue BAYWATCH-Team

Ich habe die Serie BAYWATCH nie gesehen. Sicher, irgendwann muß ich einmal eine halbe bis ganze Folge erwischt haben – das ließ sich ja kaum vermeiden, nachdem die Show ganze elf Staffeln zusammenbrachte (neun in Kalifornien, zwei weitere auf Hawaii) und auch noch den Ableger BAYWATCH NIGHTS abwarf (nochmal zwei Staffeln). Ich weiß, daß es da viele formschöne Frauen in schicken Badeanzügen gab, die meistens in Zeitlupe den Strand entlangliefen. Ich weiß, daß Pamela Anderson, Carmen Electra und Nicole Eggert zu diesen Frauen gehörten (eine kürzlich erworbene Playboy-Sonderausgabe gibt gewissermaßen lexikalischen Überblick über die weibliche Besetzung). Ich weiß auch, daß David Hasselhoff den Bademeister spielte, aber weil er kein sprechendes Auto fuhr und auch nicht in seine Uhr geredet hat, interessierte mich seine neue Serie seinerzeit nicht allzu sehr. Ich war 12.

Die sechs Autoren, die im Vorspann zur Kinoversion von BAYWATCH genannt werden (sowie die ungenannten Script-Doktoren, die vermutlich ins Wasser gezerrt wurden), haben BAYWATCH gesehen. Das merkt man daran, daß gleich zu Beginn die hinreißende Blondine CJ über den Strand läuft, während die ebenso hinreißende Brünette Summer kommentiert: „Wieso sieht es immer so aus, als würde sie in Zeitlupe laufen?“ Man merkt es auch daran, daß in einer Szene Kriminalfälle aufgezählt werden, mit denen sich die Rettungsschwimmer schon auseinandergesetzt haben, woraufhin eine Figur anmerkt: „Alles, worüber ihr hier redet, klingt nach einer sehr unterhaltsamen, aber ziemlich weit hergeholten TV-Serie“. Und man merkt es daran, daß David Hasselhoff und Pamela Anderson Gastauftritte kriegen – obwohl ihre Figuren eigentlich von ganz anderen Leuten gespielt werden.

Kelly Rohrbach als Zeitlupen-Läuferin CJ Parker
Kelly Rohrbach sollte Model für Bademode werden.

Damit haben sich die augenzwinkernden Anspielungen auf die Tatsache, daß hier eine alte TV-Serie aufgefrischt ins Kino gehievt wird, aber auch schon wieder erledigt: Der BAYWATCH-Kinofilm ist keine Parodie, sondern eine Actionkomödie mit viel Sonne und ein paar Explosionen. Die tapferen Bademeister dürfen sich mit der Obergaunerin Victoria Leeds anlegen, die am Strand eine kriminelle Verschwörung mitsamt Drogen und Mord inszeniert – und weil die lokale Polizei die auftauchenden Leichen offenbar ganz alltäglich findet, müssen die Rettungsschwimmer eben auf eigene Faust nachforschen.

Dabei haben die schönen Strandgänger eigentlich schon ihre eigenen kleinen Probleme zu lösen: Oberaufseher Mitch Buchannon (Dwayne „The Rock“ Johnson) muß sich mit dem respektlosen und aufschneiderischen Newcomer Matt Brody (Zac Efron) herumplagen, der seinen Job nicht allzu ernst nimmt. Der unscheinbare Rettungsschwimmeranwärter Ronnie (Jon Bass) ist entzückt von der liebreizenden CJ Parker (Kelly Rohrbach), aber weiß nicht, wie er an sie herankommen soll. Und die Badenixen Summer Quinn (Alexandra Daddario) und Stephanie Holden (Ilfenesh Hadera) haben … nunja, sicherlich auch irgendeinen Kummer, den ich aufgrund ihrer knappen Badeanzüge wohl einfach übersehen oder, noch schändlicher, wieder vergessen habe.

Priyanka Chopra als Obergangsterin Victoria Leeds
So schön und doch so böse: Obergangsterin Victoria Leeds (Priyanka Chopra).

Die Namen der Protagonisten sind identisch mit denen einiger Figuren, die durch die Serie liefen – aber das Wort „Figur“ sollte man hier vielleicht nur in dem Kontext verwenden, welche selbige die Herren und Damen in ihrer Badekleidung machen. The Rock und Efron führen Muskelpakete an der frischen Luft spazieren, als würden sie selbst ihre Steuererklärung von der Pressbank aus machen. Von den Damen ist vor allem das Model Kelly Rohrbach gar lieblich: Sie ist so zuvorkommend, stets einen Ausschnitt bis zum Bauchnabel zu tragen, und wirkt dabei gleichzeitig so bodenständig und freundlich, daß sich jeder nervöse Jüngling trotzdem trauen würde, sie nach ihrer Telefonnummer zu fragen.

In seinen 121 Minuten Laufzeit durchlebt der durchaus amüsante Film die eine oder andere Identitätskrise. Manchmal wähnt man sich zum Beispiel in einer heiteren Achtziger-Sexkomödie wie SCREWBALLS: Als sich Ronnie einmal verschluckt, wendet CJ ganz hilfsbereit die Heimlich-Methode an, um ihm zu helfen – was ihm zwar das Leben rettet, aber auch andere Teile seiner Anatomie in Aufruhr bringt. Er wirft sich also vornüber auf eine Liege, um seine Erektion vor CJ zu verbergen – und klemmt sich dabei sein bestes Stück sehr schmerzhaft zwischen den Holzlatten ein. Dann setzt plötzlich der Ekelhumor ein, wenn sich unsere Rettungsschwimmer bei Nachforschungen in einem Leichenschauhaus in den Kühlzellen neben den toten Körpern verstecken müssen und Zac Efron dabei eine undefinierbare Flüssigkeit in den Mund tropft. Und irgendwann drohen die sechs Autoren sogar die Tatsache zu vergessen, daß sich niemand BAYWATCH wegen der Handlung angesehen hat.

Summer Quinn (Alexandra Daddario) und Matt Brody (Zac Efron)
„Worum ging es gleich wieder in der fünften Staffel von BAYWATCH?“

Aber als Freund diverser Strandkomödien ist man etwas Kummer ja gewohnt – und richtet den Blick ganz entspannt auf das Wesentliche. Hoffentlich muß ich jetzt keine elf Staffeln BAYWATCH schauen, um herauszufinden, was das ist.

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Baywatch (USA 2017)
Regie: Seth Gordon
Buch: Jay Scherick, David Ronn, Thomas Lennon & Robert Ben Garant (Story), Damian Shannon & Mark Swift (Drehbuch)
Kamera: Eric Steelberg
Musik: Christopher Lennertz
Darsteller: Dwayne Johnson, Zac Efron, Priyanka Chopra, Alexandra Daddario, Kelly Rohrbach, Ilfenesh Hadera, Jon Bass, Yahya Abdul-Mateen II, Hannibal Buress, David Hasselhoff, Pamela Anderson

Alle Bilder (C) Paramount.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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