DJINN – DES TEUFELS BRUT: Horror in und aus den Emiraten

Uncategorized / 5. September 2015

Das Ehepaar Khalid und Salama leidet unter dem Verlust des Kindes, das im Alter von nur wenigen Monaten starb. Auf Anraten einer Therapeutin ziehen die beiden aus New York zurück in ihre Heimat Abu Dabhi, wo Khalid ein aussichtsreiches Arbeitsangebot annehmen kann. Salama findet dort aber keine Ruhe: In dem Hochhaus, in das sie einziehen, gehen merkwürdige Dinge vor sich – unter anderem hört Salama wiederholt Kindergeschrei aus den Lüftungsschächten. Vielleicht haben die Vorgänge etwas mit der Legende zu tun, die Salamas Mutter ihr immer erzählte: In dem Dorf, wo jetzt das Hochhaus steht, zog einst der Djinn Um Al Duwais, eine Art Dämon der islamischen Mythologie, auf der Suche nach ihrem Kind umher. Das war halb Mensch, halb Djinn, und wurde in ein fernes Land geschickt, wo es elternlos aufwuchs, ohne etwas von seiner dämonischen Seite zu wissen …

Es ist lange her, daß man von Tobe Hooper einen neuen Spielfilm sah: Sein letzter Kinofilm MORTUARY liegt mittlerweile zehn Jahre zurück, danach kamen nur noch zwei Episoden für die TV-Anthologie MASTERS OF HORROR in den Jahren 2005 und 2006. Hooper verfolgte Projekte, die nicht zustande kamen, darunter die King-Verfilmung FROM A BUICK 8, und schrieb einen Roman namens MIDNIGHT MOVIE, der 2011 herauskam. Im selben Jahr drehte er auch einen neuen Film: DJINN – DES TEUFELS BRUT, den ersten Horrorfilm, der von und in den Vereinigten Arabischen Emiraten gedreht wurde. Aber die Veröffentlichung des Films verzögerte sich, Gerüchte über Probleme wurden laut, und jetzt wurde der Film ganz unzeremoniell bei uns auf einer notdürftigst ausgestatteten BluRay veröffentlicht, während er in Amerika noch gar nicht zu sehen war.

Guter Dinge bei der Ankunft in Abu Dabhi: Salama (Razane Jammal) und Khalid (Khalid Laith).

Von allen Horrorregisseuren seiner Generation ist Hooper wohl derjenige, der am wenigsten Anerkennung findet – sein einflußreiches, suggestiv-hysterisches Meisterwerk BLUTGERICHT IN TEXAS gilt für einige gewissermaßen als „zufällig großartiger Ausrutscher“, während der kreative Teil seines zweiten großer Hits POLTERGEIST gerne Produzent Steven Spielberg zugeschrieben wird. Natürlich drehte Hooper dazwischen auch immer wieder öden Unfug wie CROCODILE, der seiner Reputation wohl nicht half und auch bei mir höchst herzlose Worte inspirierte – aber von seiner schwarzhumorigen Groteske BLUTRAUSCH hin zu der überdrehten Comichaftigkeit seines TEXAS CHAINSAW MASSACRE 2 oder der glühenden Ungezähmtheit seiner Science-Fiction-Vampir-Apokalypse LIFEFORCE sind Hoopers schräge Visionen eigentlich doch fast immer ein oder zwei Blicke wert.

So auch DJINN – DES TEUFELS BRUT, der primär mal keine narrativen Bäume ausreißt: Der Film funktioniert hauptsächlich als Geistergeschichte – mit verwunschenen Orten kennt sich Hooper ja aus – und wirft eine Prise ROSEMARIES BABY in das Geschehen. Körperlose Stimmen, herumkriechende Schattenfiguren, verstörende Visionen und ein Teufelskind: Das sind Motive, die man freilich schon sehr oft im Kino gesehen hat.

Das Böse begleitet Salama (Razane Jammal) von Anfang an.

Und doch ist interessant, mit welchen Details Hooper seine Geschichte erzählt. Die Einschränkungen der Low-Budget-Produktion weiß er für eine sehr dichte Atmosphäre einzusetzen, die ein leises Gefühl des bedrückenden Grauens schafft: Außer den Hauptprotagonisten sind fast keine Menschen zu sehen, das weite Hochhaus bleibt ebenso leer wie der Friedhof, auf dem Salama und Khalid anfangs das Grab ihres Kindes besuchen. Die ganze Szenerie ist in dichten Nebel gehüllt, der nicht nur das Hochhaus wie an einen unwirklichen Ort transportiert, sondern auch Autofahrten wie unwirkliche und entkörperte Schwebezustände wirken lässt. Nicht zuletzt ist das Hochhaus, in das Salama und Khalid einziehen, schön ausgestattet, aber gleichzeitig so unpersönlich gehalten, daß alle Räume gleich aussehen – die Figuren sind hier wahrlich verloren und von ihrer Individualität entkoppelt.

Genau dieses Thema beleuchtet Hooper etwas genauer, wie er sich überhaupt gerne mit der Frage der Identität beschäftigt. Immer wieder erzählt er von normalen Menschen, die das Böse schon in sich tragen – oder eine Verbindung dazu, mitunter auch unwissentlich. Sam in FIRE SYNDROME zählt ebenso dazu wie Carol Ann in POLTERGEIST. Auch die vom Bösen Bessessenen geistern oft durch seine Filme – die Vampire in LIFEFORCE ebenso wie die fremdgesteuerten Personen in INVASION VOM MARS. Als Anhänger der Gegenkultur lässt Hooper aber auch gerne verschiedene Kulturen und Lebensweisen aufeinanderprallen – wobei das in DJINN nicht gar so grausam endet wie noch das Zusammentreffen der Hippie-Jugendlichen und der Hinterwäldler in BLUTGERICHT IN TEXAS. Stattdessen geht es um einen Zwiespalt zwischen Tradition und Moderne – das Hochhaus, das auf den Resten eines alten Dorfes erbaut wurde – und um westliche und mittelöstliche Kultur: Mit dem Ehemann spricht Salama Englisch, weil sie mit ihm in den Westen ausgewandert ist, aber mit den Eltern unterhält sie sich auf Arabisch. Sie redet davon, wie sie in Amerika Arbeit hatte, während sie zuhause in Abu Dabhi nur Hausfrau sein kann – aber in einem Moment, wo ihre Furcht vor den merkwürdigen Vorkommnissen zu groß wird, fängt diese moderne Frau wieder an zu beten.

Ein moderner Turm mitten im Nichts.

Ironischerweise scheint es dieser kulturelle Zwiespalt zu sein, der auch für einige Probleme hinter den Kulissen von DJINN verantwortlich sein dürfte – sofern man einem Bericht des Guardian glaubt, der im Dezember 2012 einen Artikel über die Verzögerungen des Films veröffentlichte. Dort heißt es, daß ein Nahestehender der Königsfamilie von Abu Dabhi intervenierte, weil er mit der Darstellung der Emirate nicht einverstanden war und den Film als politisch subversiv einstufte – was der Sprecher der Produktionsfirma freilich dementiert. In einem Gespräch mit Time Out Abu Dabhi verriet die als kulturelle Beraterin angeheuerte Emirati-Regisseurin Nayla Al Khaja, daß sie aus der Produktion ausgestiegen sei, weil der Film mit US-Regisseur, US-Autor und deutsch-amerikanischer Produzentin kein richtiger Emirati-Film sei. (Sie deutet auch an, daß Hooper nicht der erste Regisseur war, der für das Projekt angeheuert wurde.)

In einem Gespräch mit The National spricht Hauptdarstellerin Razane Jammal auch an, daß es Probleme in der Post-Production und Nachdrehs in Los Angeles gab. Hooper selber war bei der Weltpremiere nicht anwesend, wie Indiewire berichtet, und gibt offenbar auch keine Interviews zu DJINN; in der Guardian-Geschichte schiebt der Sprecher der Produktionsfirma die Verzögerungen in der Fertigstellung unter anderem auf die Tatsache, daß die Regie-Gewerkschaft dem Regisseur zwei Director’s Cuts zugesteht, bevor die Produzenten das Ruder übernehmen dürfen. Es ist also gut möglich, daß Hooper mit dem Endprodukt nicht viel zu tun hat – die kurze Laufzeit von 85 Minuten (davon 6 für den Abspann) und das hastig wirkende Finale mit den merkwürdigen Video-Effekten deuten jedenfalls auf Schwierigkeiten hin, ob man die Hintergrundgeschichte kennt oder nicht.

Die freundliche Nachbarin mit den unheimlichen Katzenaugen: Sarah (Aiysha Hart).

Es ist schade, daß Hooper also einmal mehr Probleme mit einem Projekt hatte – noch dazu einem, das eigentlich etwas Besonderes hätte werden können. Seinem Ruf wird DJINN jedenfalls kaum helfen. Und doch zahlt es sich aus, über die Probleme des Films hinwegzusehen: Man merkt noch genug Tobe Hooper im Endresultat, daß sich das Ansehen alleine für die Stimmung, für die Texturen, für die anklingenden Themen lohnt. Vielleicht kann er sich beim nächsten Projekt ja wieder austoben.

Mehr Tobe Hooper auf Wilsons Dachboden:
Blutgericht in Texas (1974)
Fire Syndrome (1990)
Crocodile (2000)



Djinn – Des Teufels Brut (Vereinigte Arabische Emirate 2013)
Originaltitel: Djinn
Regie: Tobe Hooper
Buch: David Tully
Kamera: Joel Ransom
Musik: BC Smith
Darsteller: Razane Jammal, Khalid Laith, Aiysha Hart, Ahd, Malik McCall, Soumaya Akaaboune

Alle Screenshots stammen von der DVD (C) 2015 Maritim Pictures/Ascot.






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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