ICH WEISS NOCH IMMER, WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST: Ein hübsch absurder Rachetrip

Uncategorized / 3. Juli 2015

Ein echtes Elefantengedächtnis hat dieser Killer: Er weiß noch immer, was Julie letzten Sommer getan hat. Sein Zeitgefühl funktioniert nicht ganz so gut: Er meint eigentlich den vorletzten Sommer, als Julie ihn zusammen mit ihren Freunden versehentlich mit dem Auto überfahren hatte und im Meer entsorgen wollte, um die Sache zu vertuschen. Letzten Sommer schickte er ihnen Nachrichten, daß er wisse, was sie letzten Sommer getan hätten, und brachte dann ein paar von ihnen um – umgekehrt wäre ja auch blöd! Zum Glück konnte er von Julie und ihrem Freund Ray gestoppt werden. Und zum Glück für die Produzenten lebt er noch und erinnert sich nach wie vor.

Das gilt auch für Julie, die immer noch unter regelmäßigen Albträumen leidet – und das sogar mitten in hochspannenden Univorlesungen! So ist auch ihre Beziehung zu Ray mittlerweile wieder etwas angespannt: Er ist im Heimatort geblieben, wo er sein Brot als Dockarbeiter verdient, und besucht Julie hin und wieder im College. Sie allerdings weigert sich, zu ihm zu kommen – wegen den bösen Erinnerungen, die die Stadt in ihr hervorruft. An der Uni steht aber auch schon ein neuer fescher Joshi in den Startlöchern: Will, der immer sehr sensibel schaut und vor allem von Julies Freundin Carla ermutigt wird, sein Glück bei Julie zu versuchen.

Ein Luxushotel mit Psychokiller: Irgendeinen Haken haben Billigreisen ja immer.

Über den Anruf einer Radioshow gewinnen nun Julie und Carla eine Reise in die Bahamas für vier Personen. Carla nimmt ihren Freund Tyrell mit, Julie lädt Ray ein – der aber leider auf der Hinfahrt vom Killer angegriffen wird, weshalb er nicht zur Abreise erscheint. Julie glaubt, er habe sie sitzenlassen, und Carla lädt stattdessen Will ein. So fahren die vier also auf eine abgelegene Insel mit Hotelanlage, wo unser Wahnsinniger nach kürzester Zeit seine Terrorspielchen mit Julie fortsetzt, die Hotelbelegschaft umbringt und sich dann auf die Jagd nach den vier Teenagern begibt.

Um die Absurdität der Vorgänge erfassen zu können, müssen wir ab sofort ein wenig vorgreifen. Also: Der Killer ist tatsächlich der Überfahrene aus dem ersten Teil, der hier also seine Rache mit dem Fischerhaken fortsetzt. Zunächst will er Ray erledigen, den er im Gegensatz zu allen anderen Schuldigen des damaligen Unfalls nicht extra vorwarnt. Das tut er, indem er nachts im Wald ein Auto am Straßenrand abstellt und eine Puppe auf die Fahrbahn legt, die wie eine verwundete Person aussieht. Ray kommt mit einem Freund vorbei und steigt aus, um dem vermeintlich Verletzten zu helfen, während besagter Freund im Auto wartet. Der Killer taucht plötzlich neben dem Wagen auf und bringt Rays Kumpel um. Dann steigt er ein und will Ray überfahren – der auch vom Auto getroffen wird und den Abhang herunterpurzelt, aber überlebt (und den Rest des Films einen mühsamen Trip auf die Bahamas antritt, um seiner Freundin beizustehen – inklusive nervenaufreibender Fahrt in einem Reisebus zu dramatischer Musik).

Freddie Prinze Jr. bucht das nächste Mal lieber bei TUI.

Nachdem der Killer ja schon im ersten Teil fast rührende Anstrengungen unternommen hat, legt er sich auch hier in bewundernswerten, aber wenig effektiven Ausmaßen ins Zeug. Man möchte ja gar nicht wissen, wieviele vorbeikommende Autos, in denen Ray nicht saß, der Killer bei dieser ausgetüftelten Autopannen-Falle durchgewunken hat: „Ignorieren Sie bitte die Puppe auf der Fahrbahn, ich arbeite hier gerade an einer Sondersendung für den SIEBTEN SINN.“ Daß der Killer nicht gleich Ray erledigt, sondern dessen Kumpel, um dann mit dem Auto auf Ray loszugehen, kann man mit zwei zugekniffenen Augen als Zahn-um-Zahn-Motiv durchgehen lassen, nachdem er ja selber damals auch überfahren wurde. Aber warum genau schaut er nicht nochmal nach, ob Ray auch wirklich tot ist, sondern düst brav weiter?

Die richtige Anstrengung hebt er sich freilich für Julie auf – die (nachdem er Ray für tot hält) als einzige noch lebende Person des damaligen Unglücks übrigbleibt. Die Reise auf die Bahamas, die Julie und Carla durch die richtige Beantwortung einer Quizfrage gewinnen, ist natürlich eine Falle – der anrufende Radiomoderator war in Wahrheit gar keiner. Wenn ich richtig lange nachdenke, würde mir vielleicht ein Weg einfallen, Julie effektiver über die Klinge springen zu lassen, als sich als Radiomoderator auszugeben, ihr und drei Freunden einen Trip in die Karibik zu spendieren, dorthin zu reisen, den Hotelstab umzubringen (zur Sicherheit wohl!), sie mit wohlplatzierten Nachrichten zu terrorisieren, Leichen unter Zeitdruck herumzuschleppen, Julies Freunde zu erledigen und sich ihr dann im mörderischen Showdown zu offenbaren – aber hey, man kann über den irren Killer sagen, was man will, aber nicht, daß er sich keine Mühe geben würde.

„Was für scheußliche Schuhe der trägt!“

Was hätte der Killer eigentlich gemacht, wenn die Mädels beim Radioquiz einfach aufgelegt hätten? Warum läßt er sie extra noch Freunde mitnehmen? Warum schnetzelt er sich durch die Hotelangestellten, die ihm teilweise nicht mal im Weg wären? Und – wie formulieren wir das jetzt, ohne den höchst absurden Endtwist zu verraten? – warum macht eine bestimmte Person all die Dinge, die sie tut, wenn sich zum Schluß doch ein ganz anderes Ziel abzeichnet? Die Hausfrauqualitäten des Mörders, die sich schon im ersten Teil offenbarten (dort konnte er innerhalb weniger Minuten eine Leiche und diverse Krabben aus dem Kofferraum eines Autos entfernen, ohne auch nur die geringsten Spuren oder Gerüche zu hinterlassen), setzen sich übrigens auch diesmal fort: Er hängt eine übel zugerichtete Leiche in Julies Schrank, kann aber den Körper und die Blutspuren am Boden spurlos verschwinden lassen, bevor die kreischende Julie mit ihren Freunden zurückkommt. Richtig gemein wäre es ja gewesen, wenn Julie gar nicht zum Schrank gegangen wäre – dann wäre alle Arbeit umsonst gewesen.

Zum Glück für ihn verhalten sich die Teenager allesamt aber als sehr bereitwillige Empfänger seiner Terroraktionen. Carla wird mehrfach beim Kickbox-Training gezeigt, und so wartet man auf den Moment, wo sie dem Killer mal die Hucke vollhaut – aber sobald der auftaucht, vergißt sie ihre Fähigkeiten und wird zum hysterischen Opfer. Julie wird einmal in einem Solarium eingeschlossen – aber die aufgebrachten Freunde kommen beim Befreiungsversuch partout nicht auf die Idee, das Gerät einfach auszuschalten. An einer Stelle greift der Mörder die ganze Gruppe an, aber die drei Damen laufen jodelnd davon, anstatt sich den Mann mal vorzuknöpfen – zwei auf den Arm mit dem Fischerhaken, die andere mit Schmackes auf den Kopf, und schon wäre Ruhe. Wenig später hält Julie sogar eine Axt in der Hand, aber nicht nur, daß sie nie auf die Idee kommt, die gegen den Killer einzusetzen – nein, sie wirft sie eine Szene später sogar wieder weg, damit die heitere Hetzjagd weitergehen kann!

Halt, Jennifer! Wenn du die Axt jetzt gegen den Killer einsetzt, gibt’s keine Fortsetzung!

Nachdem wir das Prozedere also hinreichend abgesteckt haben, folgt das Bekenntnis: Ich fand ICH WEISS NOCH IMMER, WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST seinerzeit unterhaltsamer als den ersten – was zugegebenermaßen nicht schwer war, galt doch der Erstling für mich als mittelmäßigster, unambitioniertester und dämlichster Vertreter einer Horrorgattung, die an mittelmäßigen, unambitionierten und dämlichen Filmen nicht gerade arm ist. Vielleicht lag es daran, daß Teil 2 quasi reibungsloser funktioniert: Wo der erste Part noch in feierlichem Ernst die Schere zwischen großem Geld und kleinstem Anspruch zeigte, ist der zweite Film von vornherein als Fast-Food-Kino designt. Es könnte also etwas mit Erwartungen zu tun haben: Von einem Sequel zu einem Slasher von der Stange verspricht man sich eben rein gar nichts und kann somit viel eher in all den 08/15-Abläufen das eine oder andere Element finden, das doch nicht so schlecht gelungen ist.

Beim zweiten Ansehen nach anderthalb Jahrzehnten fällt zunächst auf, daß das Sequel in seinen Ansätzen den Weg des ein Jahr zuvor erschienenen SCREAM 2 geht: Auch dort ist die weibliche Hauptfigur von den Geschehnissen des Vorgängers traumatisiert, während die Männer, die den ersten Part überlebt haben, nicht gar so leiden. Auch dort begleiten wir die High-School-Kids des Vorgängers aufs College, werden also mit ihnen älter (oder sie mit uns). Auch dort findet ein einschneidender Vertrauensbruch statt. Und auch dort erhält das Motiv der Morde ein familiäres Element. Daß ICH WEISS NOCH IMMER keine Unze der Cleverness von SCREAM 2 besitzt, liegt gewissermaßen in den jeweiligen Vorgängern begründet.

Julie (Jennifer Love Hewitt) weiß auch noch, was sie letzten Sommer gemacht hat. Und den Sommer davor.

So setzt ICH WEISS NOCH IMMER eine ganze Zeitlang auf Albträume und Phantasien, die den Zuseher auf die falsche Fährte locken sollen und manchmal auch andeuten, daß sich die ominösen Zeichen nur in Julies Kopf manifestieren – an und für sich ein interessanter Ansatz, um zu zeigen, wie tief sich die Schuld in Julie eingegraben hat. Auch die Tatsache, daß sich ihre Beziehung zu Ray deshalb verschlechtert, weil sie sich nicht mehr in die Heimatstadt zurücktraut, ist ein passendes Element für die Psychologie der Hauptfigur. Leider führt diese Figurenzeichnung nirgendwohin – sie wird im ersten Filmdrittel wie ein Paket abgeliefert, das nie geöffnet oder abgeholt wird.

Was ich damals als gelungen empfand und auch heute noch wertschätzen kann: Das Setting ist abwechslungsreicher als das des Erstlings, die Isolation wird recht geschickt vorgenommen, und der aufziehende tropische Sturm gibt der zweiten Filmhälfte ein passend intensives Flair – ähnlich, wie der Schneesturm STIRB LANGSAM 2 als Umgebungstextur eine eigene Note gab. Wo der erste Part sich in recht gewöhnlichen Situationen abspielte, setzt der zweite seine Figuren in etwas weniger verbrauchte Plätze. Die werden in schicken, stimmungsvoll ausgeleuchteten Bildern eingefangen – hanebüchener Plot hin oder her, Teil 2 funktioniert in den Oberflächenreizen absolut passabel.

Ein romantischer Trip zu viert.

So ist ICH WEISS NOCH IMMER, WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST wie der Erstling hauptsächlich ein Ausstellungsobjekt verschenkter Möglichkeiten – nur daß die hier schon im Vorfeld weitaus geringer ausfallen als noch im Vorgänger. Die Geschichte um Julie findet somit hier ihr Ende – das 2006 nachgeschobene Videotheken-Sequel ICH WERDE IMMER WISSEN, WAS DU LETZTEN SOMMER GETAN HAST handelt von ganz anderen Figuren. Für 2016 ist auch schon das Remake des ersten Teils angekündigt – vielleicht schaffen die Köpfe dahinter es ja diesmal, aus der Geschichte um Schuld und unausgesprochene Geheimnisse mehr herauszuholen als nur zwei mediokre Schnetzelfilmchen mit hübschen Leuten.



Ich weiß noch immer, was du letzten Sommer getan hast (USA 1998)
Originaltitel: I Still Know What You Did Last Summer
Regie: Danny Cannon
Buch: Trey Callaway
Kamera: Vernon Layton
Musik: John Frizzell
Darsteller: Jennifer Love Hewitt, Freddie Prinze Jr., Brandy, Mekhi Phifer, Muse Watson, Bill Cobbs, Matthew Settle, Jeffrey Combs, Jennifer Esposito, Jack Black, Mark Boone Jr.






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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