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Interview: Christian Fuchs über das österreichische Kino und den Genrefilm

Vor kurzem habe ich für GMX einen Artikel über „Die dunkle Seele des österreichischen Films“ geschrieben und dafür ein Interview mit FM4-Filmjournalist Christian Fuchs geführt. Christian schreibt spannende und kluge Texte über in- und ausländisches Kino, ist großer Genrefan und begleitete Regisseur Andreas Prochaska auf dem Audiokommentar zu dessen Österreich-Western DAS FINSTERE TAL. Meinen Artikel findet ihr hier bei web.de, Christians Texte könnt ihr hier lesen. Unten folgt das komplette Interview mit Christian, aus dem ich für meinen Artikel zitiert habe.

Christian Genzel: Was glaubst du, was das österreichische Kino ausmacht? Was unterscheidet es von anderem Kino?

Christian Fuchs: Da muß ich erstmal etwas ausholen. Das, was in anderen europäischen Ländern – man muß da gar nicht mit
Hollywood anfangen – als funktionierende Filmlandschaft da war, hat es
in Österreich nicht gegeben. Ich rede jetzt von den Sechziger Jahren, teilweise den Siebziger Jahren noch.  Es gab dieses sehr kitschige, idyllische Kino der Nachkriegszeit, und dann gibt’s Einzelphänomene – einzelne Regisseure, Versuche, etwas zu machen, aber keine wirklich funktionierende Szene.

Später haben sich die ganzen öffentlichen Förderstellen etabliert. Die haben in den Achtziger Jahren und teilweise in den Neunziger Jahren ein Kino gefördert, das sehr brav und ein bißchen bildungsbürgerlich war. Genrekino hat’s in Österreich in der Form auch nicht gegeben, das gab’s nur in der Nachkriegszeit – Heimatfilme und so. Als jemand, der in Österreich in der Steiermark aufgewachsen ist, hab ich natürlich stattdessen sehr vom Kino der restlichen Welt gezehrt – angloamerikanische Länder und andere europäische Länder. Österreich war für mich als Filmliebhaber und später als Filmjournalist immer eine Wüste.

Aus der Wüste heraus haben sich dann einzelne Stimmen gebildet – Regisseure, deren Ansatz es war, sich gar nicht an internationale Tendenzen heranzuhängen. Das künstlerisch ambitionierte Kino hat Nischen und eigene Wege gesucht, ganz fernab von dem, was in anderen Ländern passiert ist. Es gab schon seit je her eine starke Dokumentarfilmszene in Österreich, aus der z.B. Ulrich Seidl kommt, dessen Filme aus dem Dokumentarbereich kommen und dann immer mehr spielerische Elemente dazubekommen haben. In den Siebziger und Achtziger Jahren war das Fernsehen sehr aktiv, und es wurden Fernsehfilme finanziell sehr stark gefördert – aus dieser Szene wiederum kommt Michael Haneke. Es gab also ein paar Oasen in dieser Wüste – aber das, was man heutzutage vielleicht als österreichischen Film bezeichnet, hat meiner Meinung nach erst viel später begonnen.

Also hat sich die Identität dieses Kinos eigentlich auch damit geschaffen, was offiziell gefördert wurde, und sich dann abgegrenzt hat von dem, was anderswo passiert ist?

Ja. Gelder wie in Hollywood oder England oder anderen größeren Kinoländern wie Frankreich hat es bei uns nie gegeben. Aus diesem Vakuum, aus dieser Wüste heraus, haben die Regisseure dann angefangen, etwas zu kreieren. Das waren oft ganz simple Geschichten, die sich mit Befindlichkeiten beschäftigt haben. Ich vermute auch, daß ein zentraler Ort, von dem viel ausgegangen ist, die Wiener Filmakademie war. Dort war man sehr stark vom französischen Kino beeinflußt, überhaupt vom europäischen Film geprägt – angloamerikanisches Kino hat da bis in die Achtziger, Neunziger Jahre hinein keine Rolle gespielt, und es sind auch sehr strenge Ansätze propagiert worden – lange noch, bevor Leute wie Haneke oder Seidl selber Lehrende wurden. Eine privatfinanzierte, produzentenabhängige Filmlandschaft in dem Sinn gibt es ja nicht, es ist also von Fördergeldern abhängig. Man muß diese kulturellen Bedingungen auf jeden Fall spiegeln, wenn man sich mit dem österreichischen Film beschäftigt.

Was glaubst du, warum sich der Genrefilm so aus dem österreichischen Kino zurückgezogen hat?

Die letzten Versuche, die es gab, waren in den Sechziger Jahren – das waren deutsch-österreichische Co-Produktionen, auch mit anderen europäischen Ländern als Beteiligung. Das waren diese ganzen Edgar-Wallace-, Karl-May-Filme, und dann Heimatfilme und Schlagerfilme und so. Das ist alles irgendwann mal verstorben, auch international, und in Österreich ist da wirklich ganz lang nichts passiert. In den Siebziger Jahren gab es ein paar Versuche, auf andere Weise an so etwas anzuknüpfen, aber das sind dann immer singuläre Einzelgestalten gewesen. Peter Patzak fällt mir ein, das war so ein Regisseur, der mit KOTTAN in der TV-Szene sehr aktiv war, aber auch einige Kinofilme gedreht hat.

Es gab so Einzelphänomene, aber keine funktionierende Filmwirtschaft mehr, also niemanden, der da Gelder reingesteckt hat. Und in dem Moment, wo die Fördergremien maßgeblich wurden, sind meist sehr korrekte, bildungsbürgerliche und – das muß ja nicht schlecht sein – akademische Filme gefördert worden. Das extrem populäre Gegengewicht dazu waren in den Neunziger Jahren die Kabarettfilme: Meistens mit Roland Düringer oder – das ist ein künstlerisch sehr herausragender Film aus dieser Welle – INDIEN zum Beispiel, der damals, glaube ich, die höchste Kinobesucherzahl hatte. Aber es gibt da auch viele Filme, die Gott sei Dank von der Filmgeschichte mittlerweile vergessen wurden, aber die damals sehr populär waren.

Das war für mich eine schreckliche Zeit, weil es einerseits nur dieses Kabarettkino gab, und auf der anderen Seite sehr strenge Kunstansätze – aber nichts dazwischen. Diese Grenzen haben sich in den letzten Jahren schon aufgelöst, neue Filmemacher sind dazugekommen und neue Blickwinkel gab es da. Da befinden wir uns mittlerweile schon in einer ganz anderen Zeit.

Das ist ganz interessant, weil sich das ja ein bißchen im deutschen Kino widerspiegelt, wo in den Sechziger Jahren die Autorenfilmer aufkamen – wo eine sehr große Bewegung da war und plötzlich sehr verkopftes Kino kam. Aber in Deutschland war das Genrekino noch ein bißchen spürbar, mit den Krimis, und es gab Versuche mit Thrillern. Oder wenn man Richtung Süden schaut – die Italiener haben sehr munter Genrekino produziert. Die hatten ja eine Fließbandproduktion aus allem, was populär war.

Ja! In der flirrenden italienischen Produktionslandschaft gab es immer beides, da gab es die Kunstfilme und die Genrefilme – und selbst Fellini hat Genreabstecher gemacht, auch Pasolini, da gab es auch Verschmelzungen. Das ist im Grunde ein ganz anderer Planet als Österreich.

Man findet bei den Italiener ja sehr viel, was auch beides bedient – Genrekino, das extrem künstlerisch gemacht ist, aber es geht trotzdem um einen Frauenmörder

Absolut, ja.

Da finde ich es spannend, weil wir das Nachbarland sind und das bei uns gar nicht stattgefunden hat. Glaubst du, das ist etwas, das sich am Publikum vorbeientwickelt hat – wären also die Leute wie du und ich dagewesen, die gerne mehr Genrekino und Unterhaltungskino gesehen hätten?

Ich glaube, das ist eine große Generationsgeschichte. Ich will das nicht an zwei Generationen festmachen, sondern an vielen verschiedenen – aber grundsätzlich: Die Filmemacher, die aus der 68er-Generation kommen, wenn ich das mal so simpel zusammenfasse, für diese Filmemacher in Österreich war Hollywood ein bißchen das „Böse“, und auch das europäische Genrekino war das „Böse“. Die haben sich komplett an Frankreich, an Bresson, an Godard, orientiert – oder auch an verschiedenen Italienern oder Ingmar Bergman – der ganze internationale Kunstfilm-Kanon halt. Das ist dann auch unterrichtet worden – so wie sich überhaupt in den letzten 15 Jahren eine österreichische Schule entwickelt hat, wo unterrichtet wird: Man soll beispielsweise Filmmusik kaum einsetzen, Musik verfälscht eher die Gefühle. Das sind typische puristische Dinge, die unterrichtet werden. Es wird eine komplette Vorsichtshaltung unterrichtet. Das Grelle und Provokante ist ja erst in den letzten Jahren wieder durch jüngere Filmemacher hochgekommen.

Ich habe das, wie gesagt, sehr lange alles skeptisch gesehen, weil ich eben auch vom Genrekino herkomme. Was aber schon passiert ist, ist, daß durch diese Wüste, wo die Filmemacher dann komplett eigene Ideen verfolgt haben, eine neue Erzählweise entstanden ist. Genau das, was ich persönlich immer am österreichischen Kino schwierig gefunden habe, ist auch gleichzeitig sein Vorteil und sein Hauptausstellungsmerkmal geworden. Und ich habe meinen Frieden damit gemacht. Mittlerweile ist diese neue Erzählweise aber auch schon ein bißchen zum Klischee erstarrt. Eine Zeitlang hat man dazu „Sozialporno“ gesagt, so eine sehr bösartige oder zumindest sehr dringliche Betrachtung von Befindlichkeiten – das ist dann schon etwas sehr Österreichisches geworden.

Was sehr stark in diesen Filmen spürbar ist, ist eine totale Faszination für das Morbide, das Dunkle, das Abgründige. Selbst die Komödien, die du genannt hast, die Kabarettfilme, haben ja etwas sehr Makabres im Witz. Ich weiß nicht, wieviele Komödien mir auf Anhieb einfallen, die wie INDIEN damit enden, daß der Protagonist stirbt – das ist schon etwas sehr Spezielles.

Diese zwei Gegensätze waren lang vorherrschend, Kabarettkino und der Kunstfilm bzw. Autorenfilm, aber in beiden Bereichen gibt es sicher das, was du drin siehst – diese gewisse Dunkelheit. Wobei der Haneke jetzt wahrscheinlich aufschreien und widersprechen würde, weil er sich diesen Themen von einem ganz anderen Standpunkt nähert oder einen sehr aufgeklärten Vernunftsstandpunkt hineinbringt. Aber das zieht sich sicher durch. Um ein ganz aktuelles Beispiel zu nennen, DAS EWIGE LEBEN – das ist so eine Art von Gegenwartskino, wo das alles zusammenkommt. Das geht viel lockerer damit um, da kann das Genre bedient werden und mit Genreregeln gespielt werden, aber trotzdem ist dieses Morbide drin. Das ist ein Kino, das aus diesen ganzen verschiedenen Richtungen geboren ist.

Ich sehe auch, daß die Genrefilme öfter mal auftauchen, aber ich habe immer das Gefühl, daß das noch eine sehr vereinzelte Erscheinung ist – man merkt es daran, daß, wenn so ein Film kommt, es etwas ganz Besonderes ist. So wie DAS FINSTERE TAL, das ist etwas Besonderes, oder AUF BÖSEM BODEN von Peter Koller, das ist eine totale Ausnahmeerscheinung. Denkst du, daß wir in die Richtung gehen, daß man sowas öfter sieht?

Ich glaube, das wird sich wirklich erst dann ändern, wenn eine ganz neue Generation hinter den Kameras steht, die dann viel unbefangener mit dem Ganzen umgeht. Was ja auch immer etwas sinnlos war, auch in Deutschland: Diese Genregeschichten eins zu eins nachzustellen. Weder Deutschland noch Österreich sind Hollywood. Da gab’s ein paar Versuche, und die waren immer ein bißchen peinlich. Das eins zu eins zu importieren, geht ja nicht, und da haben sich die Filmemacher eine Zeitlang abgearbeitet, einen Weg zu finden, wie man solche Genres überhaupt nach Österreich holen kann. Nicht nur nach Wien, sondern vielleicht auch in die Provinz. Und das ist schwierig. Einen Science-Fiction-Film wird man schwer in Österreich drehen können, aber ein Western, so wie bei DAS FINSTERE TAL, läßt sich dann schon intelligent importieren, wenn’s ein Alpenwestern wird. Krimis ohnehin, Horrorfilme … es gibt viele Bereiche, wo sich das perfekt übertragen läßt, wo die Landschaften, die Menschen, der spezielle Zugang einen Mehrwert bieten – daß es also nicht nur wie ein Abklatsch wirkt, sondern etwas Besonderes wird. Ich glaube, da haben die Filmemacher lange überlegt und lang dran gearbeitet, und jetzt gibt’s die ersten Versuche. Da kommt wahrscheinlich, hoffe ich, noch viel mehr, wo man auf diese Roots zurückgreift – von Seidl und solchen Leuten, die auch ein ungeschöntes oder spezielles Menschenbild haben, wo man das vermengt mit Genregeschichten. Da könnte etwas Eigenes entstehen, glaube ich.

Das gab’s in Deutschland ja auch oft genug, daß da z.B. eine Actionserie produziert wird, die wie ein Hollywood-Kracher aussehen soll. Es ist witzig, daß du den Science-Fiction-Film ansprichst – ich kenne ja nur einen österreichischen Science-Fiction-Film, eine Independent-Produktion namens AINOA. Und letztens hatte ich mit jemand darüber geredet, ob österreichischer Science-Fiction-Film funktionieren kann oder nicht, und die Reaktion war auch so, wie du das jetzt sagst: Hm, ob das geht? Stimmst du mir da zu, wenn ich sage, daß der Haken auch ein bißchen der ist, daß das Publikum Genrefilme aus dem eigenen Land einfach noch nicht kennt und deswegen skeptisch ist, was diese Produktionen angeht?

Das ist ein ganz großer Haken! Wenn man jetzt nur vom Publikum spricht, war das einzig Erfolgreiche der Kabarettfilm. Ein Film wie DAS EWIGE LEBEN ist jetzt auch extrem erfolgreich, aber wahrscheinlich – da würde man jetzt Josef Hader Unrecht tun, aber: – wahrscheinlich verstehen das die Leute immer noch als eine Art Nachläufer des Kabarettfilms. Das ist das, was beim Publikum zieht. Die international wahnsinnig gerühmten Kunstwerke von verschiedenen Regisseuren hatten ja wenig Publikum – die hatten Publikum eher in Paris oder auf Festivals als in österreichischen Kinos. Das sind alles keine Publikumsrenner gewesen. Gleichzeitig haben aber auch die Genreversuche kein Publikum. DAS FINSTERE TAL hat gut funktioniert. Aber es gab ein paar Horrorfilme wie BLUTGLETSCHER oder ein für mich sehr überragender Film, ICH SEH, ICH SEH, der eigentlich alles zusammenbringt, was ich erwähnt habe – der einerseits definitiv in Österreich spielt oder etwas Österreichisches hat, und gleichzeitig aber auch international wirkt. Das ist ein Film, der Hollywood etwas voraus hat in seiner billigen Machart, weil er sehr speziell ist. Aber so einen Film schauen sich ja ganz wenig Leute im Kino an. Die Leute reagieren da überhaupt noch nicht drauf, das muß man schon leider zugestehen.

Das heißt, es ist auch noch ein recht weiter Weg, bis sich das ein wenig „angleicht“.

Ich fürchte, das Publikum wurde über die Jahre sehr auf diese Kabarettschiene geeicht, und wenn die einen Actionfilm sehen wollen, wo’s wirklich rund geht, dann gehen sie in einen Hollywood-Blockbuster. Das ist alles ein bißchen normiert. Wenn die so eine Arthouse-Toskana-Komödie sehen wollen, wo irgendwelche Leute über ihre Probleme diskutieren, dann gehen sie wahrscheinlich in einen französischen Film (lacht). Je nachdem. Das österreichische Kino hat halt am ehesten noch mit den Kabarettsachen Erfolg gehabt. Ich hoffe, das verändert sich, und ich hoffe, DAS FINSTERE TAL war mal ein Ansatz, das etwas aufzubrechen. Aber da kommt auch das Problem dazu – ähnlich wie in Deutschland, aber da ist es nicht ganz so schlimm: Es gibt kaum österreichische Stars, und im Endeffekt sind es immer noch Gesichter und Stars, die ins Kino ziehen. Das fehlt diesen Filmen auch.

Stimmt, die einzigen Stars, die wir haben, sind die aus den Kabarettfilmen – wenn du sagst, Josef Hader spielt mit, das sagt vielen was, und wenn du sagst, der Düringer spielt mit, da kannst du die Leute motivieren, aber danach – Tobias Moretti zieht dann schon nicht mehr so, wie die Amerikaner Harrison Ford oder Chris Hemsworth ins Kino stellen.

Genau. Das ist sicher ein Problem, aber ich hoffe da für die Zukunft auf eine Generation von Filmemachern, die ein bißchen freier denkt, von diesen Schubladen abgesehen, und die da unbefangener herangeht – und trotzdem vielleicht dieses Erbe der letzten 20 Jahre des österreichischen Kinos hineinverarbeitet. Wenn man es mit der Musik vergleicht: Österreich hat auch keine Rock’n’Roll-Tradition, die großen Rock’n’Roll-Bands hat es auch nie gegeben – am ehesten waren das dann immer Bands, die international Erfolg hatten und, auch wenn es ein Klischee ist, dieses Österreichische oder Wienerische hineinbringen, aber gleichzeitig doch auch wieder international klingen. Für mich waren diese Versuche, auch wenn die an den Kinokassen nicht so gut angekommen sind, alle schon sehr hoffnungsvoll – auch BLUTGLETSCHER, der Horrorfilm, der in den Alpen spielt, der also die österreichische Landschaft benutzt, um eine Geschichte zu erzählen. Und davon gibt es ja genug – es gäbe unzählige Geschichten, die man hier erzählen könnte.

Wie siehst du das Modell, wie das realisiert werden kann? Müssen da die Förderstellen umdenken und das ausweiten?

Ein Rezept habe ich auch keines – aber ein bißchen Umdenken fand in den letzten Jahren schon statt, auch bei den Förderstellen. Es ist nicht mehr so erstarrt, wie es früher mal war. Es ist auch ein bißchen Gegenwind spürbar – viele aus der strengen, künstlerischen Ecke fürchten schon ein bißchen die Förderungen. Ich glaube, daß der Wind schon zwar nicht ganz umgeschlagen hat, aber schon ein bißchen anders weht als vor 10, 12 oder 15 Jahren. Aber viel machen dann natürlich auch die Einspielergebnisse aus – und die schauen halt allgemein nicht so toll aus.

Das österreichische Kino ist leider generell sehr klein – selbst ein Hit ist bei uns teilweise etwas mit vierstelligen Besucherzahlen.

Ja. Und da kann man mit manchen Filmen – Götz Spielmann, Haneke, Seidl, das sind immer nur die bekannten Namen, da gibt es natürlich viel mehr – man kann mit denen international sehr punkten auf Festivals und wenigstens Renommée einfahren, und davon hat das österreichische Kino genug. Auch wenn das jetzt keine Kassenknüller sind. Aber wenn ein Film so halb-kommerziell ist und dann an den Kinokassen floppt, aber auch künstlerisch international nicht Erwähnung findet, dann ist das für die Förderstellen doppelt schwierig. Leider, weil sich oft genau zwischen den Stühlen sehr interessante Dinge bewegen. ICH SEH, ICH SEH war für mich seit langer Zeit das erste Mal, daß ich mir gedacht habe: Auch im Horrorbereich ist etwas ganz Eigenes, Spezielles möglich. Etwas, das Hollywood nicht kann – oder macht.

Weil du gerade die Musik erwähnt hattest: Im Moment ist ja so ein Boom, was österreichische Musik angeht – sowohl Bands, denen man sehr stark anhört, daß sie von hier kommen, als auch Bands, die einen sehr internationalen Sound pflegen. Besteht da irgendwie eine Aussicht, daß das überschwappen kann und das Kino beeinflussen oder mitziehen kann, oder Interesse darauf werfen kann?

Es wäre zu hoffen! Man würde sich schon Filme wünschen, die etwas von dieser Rotzigkeit und Dreckigkeit haben, die manche der Bands haben. So ein Herüberschwappen wäre zu hoffen – daß Filmemacher auch mal … „räudig“ ist der falsche Ausdruck, aber schnellere Geschichten erzählen und nicht einfach nur diese Erstarrung widerspiegeln – der Haneke hat immer gesagt, „die emotionale Vergletscherung“. Es kann ja trotzdem etwas Dunkles oder auch diese Morbidität haben. Ein großes Vorbild ist da das skandinavische Kino und skandinavische Fernsehserien, finde ich. Dort gibt es das alles. Das ist auch nicht unbedingt lebensfroh (lacht). Da liegen auch immer Tonnen Schnee herum, allen Leuten geht’s schlecht, aber zum Teil auf sehr unterhaltsame Weise.

Ich finde es interessant, daß du Skandinavien erwähnst, weil ich überlegt hatte, wo sonst in Europa diese Lust am Morbiden vorhanden ist, und da ist mir auch Skandinavien eingefallen, die ja sowohl in den künstlerischen Produktionen als auch zum Beispiel in den Krimis so einen Spaß an der Dunkelheit haben. Ich frage mich, wo das herkommt, wo die Wurzeln liegen – ob das kulturelle Wurzeln sind …

Das ist sehr schwer zu sagen. Da verfällt man sofort in Kulturklischees – meine Erfahrung ist in Wien: Die Wiener hören diese ganzen morbiden Wien-Klischees natürlich überhaupt nicht gern, das geht ihnen unglaublich auf die Nerven. Gleichzeitig, wenn man an einem trüben Herbst- oder Wintertag in Wien ist, begegnet man diesen Klischees auch immer. Und wenn man längere Zeit im Ausland war, am Flughafen ankommt, der Busfahrer ist schon grantig, und die Stimmung, die einem entgegenschlägt, bestätigt diese Klischees wieder … so ganz kann sich Österreich oder Wien nicht davon freimachen. Manche verwenden es kommerziell und gehen damit ein bißchen hausieren, weil’s im Ausland, vor allem in Deutschland, gut ankommt – aber die Realität bestätigt schon wieder viel davon (lacht).

Ich hatte auch überlegt, wo man das sonst antrifft, und in Österreich sind Literatur, Kunst und Musik voll davon. Wenn du an Georg Danzer denkst und an den „Zentralfriedhof“ und an Helnwein und an Thomas Bernhard, da scheinen wir schon so eine Trübheit mit uns zu tragen.

Ja … ich will mich da jetzt nicht auf eine Kulturtheorie versteigen, wo genau das herkommt (lacht). Da müßte man wahrscheinlich ganz weit zurückgehen. Aber in der Nachkriegszeit hat allgemein eine kulturelle Wüste geherrscht – vor allem, weil auch so viele vor allem jüdische Talente geflüchtet sind oder zur Flucht gezwungen wurden. Die Kulturszene Österreichs vor dem Zweiten Weltkrieg oder in den Zwanziger Jahren war ja ungemein kreativ und hat halb Hollywood beflügelt. Danach war eine totale Tristesse, und ich glaube, Wien in den Fünfziger Jahren muß schwer erträglich gewesen sein. Das spiegelt sich ja in der ganzen Literatur und bei den Musikern und Filmemachern wider, und das geht bis in die Siebziger Jahre – dann kam erst so langsam ein kultureller Aufbruch.

Die Chance, um darauf wieder zurückzukommen, für die Zukunft ist jetzt sicher, daß jüngere Filmemacher, die einfach anders geprägt sind, durch das Internet und durch Einflüsse aus aller Welt, nicht mehr so in diesen Traditionen verharren müssen.

Du hast jetzt eigentlich schon beantwortet, was meine abschließende Frage gewesen wäre (lacht) – nämlich, was du dir für das österreichische Kino wünschen würdest.

Zusammengefaßt würde ich sagen: Lokale Geschichten zu erzählen, aber ohne diese Grenzen zwischen Kunst und Kommerz, die so lange existiert haben, und ohne diese Erstarrung. Also lokale Geschichten auch sehr gerne mit Genreeinflüssen zu verbinden. Ich glaube, auch für das internationale Kino ist dieses Hybrid-Kino sehr spannend, mal abseits von riesigen Blockbustern und ganz kleinen Underground-Projekten – daß Leute von unterschiedlichsten Einflüssen geprägt sind, und daß man statt mit diesem starren Schemata-Denken hybridmäßig alles vermischt. Regisseure wie Nicholas Winding Refn haben Prägungen aus allen Richtungen, und die Filme kann man auch nicht mehr eindeutig zuordnen. Das könnte auch auf lokaler Ebene für das österreichische Kino zentral sein: Daß junge Filmemacher sich wieder dran wagen, spannende Geschichte zu erzählen und nicht nur den Alltag im Gemeindebau schildern – aber vielleicht den Alltag im Gemeindebau aus diesen spannenden Geschichten nicht herauslassen.

Was ist denn ein Film, der jetzt ansteht, auf den du sehr neugierig und gespannt bist?

Da gibt es noch nicht mal ein konkretes Projekt, aber ich bin sehr gespannt auf die neuen Filme von Veronika Franz und Severin Fiala, die ICH SEH, ICH SEH gemacht haben – die werden sich weiterhin im Genresektor bewegen, aber halt etwas völlig Neues erzählen. Bei Ulrich Seidl ist der Plan, historische Filme zu machen – das stelle ich mir extrem spannend vor. Seidl will die Geschichte eines berühmten Räuberhauptmanns verfilmen, Grasel – das ist ein mehrjähriges, irre aufwendiges Projekt. Da kommt er auch endlich aus seiner Schiene heraus, nämlich zum Spielfilm hin, und einen historischen Spielfilm über so einen wüsten Räuberhauptmann mit der Ästhetik von Seidl zu erzählen, stelle ich mir extrem spannend vor.

Andreas Prochaska ist auch ein Regisseur, den ich schon lang verfolge – den zweiten Teil von IN 3 TAGEN BIST DU TOT finde ich immer noch einen der besten österreichischen Genrefilme überhaupt. Da würde ich mir wünschen – das ist alles nur eine Geldgeschichte, Ideen hat er genug – daß er auch wieder vom Fernsehen weggeht, wo er sich nach DAS FINSTERE TAL eine Zeitlang bewegt hat, und vielleicht eine internationale Co-Produktion macht, oder sich einem neuen Genre zuwendet, das er noch nicht erforscht hat. Das ist ein Regisseur, der den internationalen Durchbruch schaffen könnte. Der hat auch eine gewisse Ernsthaftigkeit – das war in der Kabarettfilmära gar nicht vorhanden. Der hat schon fast einen Todernst, wie er sich diesen ganzen Genres nähert – da gibt es auch keine Ironie wie bei Tarantino, sein Blickwinkel ist dieser Ernst. Das bringt auch die Vergangenheit mit – er war der Cutter bei den Filmen von Haneke. Der bringt diese künstlerische Ernsthaftigkeit mit, aber ist auch ein totaler Fan von plakativeren Filmen oder auch Fernsehserien wie BREAKING BAD.

Ich erinnere mich an den Text, den du über DAS FINSTERE TAL geschrieben hast, wo du ja gesagt hast, daß das nicht so ein Zitatereigen ist wie DJANGO UNCHAINED, sondern daß das mit Ernsthaftigkeit sozusagen auf Augenhöhe erzählt wird.

Eine für mich ganz unvergeßliche Anekdote zu Prochaska: Der hat ja auch diesen Emmy-gekrönten Fernsehfilm gemacht, DAS WUNDER VON KÄRNTEN. Derselbe Stoff, wo so ein Kind bei einer Operation gerettet wird, wäre bei einem anderen Regisseur eine unglaubliche Schnulze geworden, fast unerträglich von vorn bis hinten. Ich habe ihn damals getroffen und interviewt, als er gerade an dem Film gearbeitet hat, und da er gemeint, er kann kaum schlafen, weil ihn der Stoff so mitnimmt – weil er selber Kinder hat. Das hat mich sehr beeindruckt für einen Kommerzregisseur, sage ich mal, der beim Fernsehen arbeitet, weil die da eigentlich viel zynischer und abgeklärter herangehen und gar nicht solche Gedanken haben würden. Das ist sein großer Pluspunkt, daß er alle Stoffe so ernstnimmt.

Nächstes Jahr kommt ein Film, bei dem nach außen scheint – vielleicht würde mich der Regisseur jetzt sofort verbessern – er versucht das Kabarettkino aus den Neunziger Jahren mit dem neuen Genrekino zu verknüpfen. ATTACK OF THE LEDERHOSENZOMBIES heißt der – das wird so ein Zombiestoff in den Alpen.

Das klingt so nach gewolltem Trash.

Ja, gewollter Trash ist schwierig. Aber ich habe von vertrauenswürdigen Quellen gehört, es ist zumindest der sehr ambitionierte Versuch, eine Zombiekomödie à la SHAUN OF THE DEAD in einem österreichischen Wintersportort zu erzählen, ganz und gar nicht trashig, sondern mit international vergleichbaren, blutigen Spezialeffekten. Also vielleicht wird es doch eher ein Bindeglied zwischen BLUTGLETSCHER und rabenschwarzen skandinavischen Horrorkomödien.

Mal schauen. Manchmal haben solche Filme ja auch den Effekt, daß sie etwas bewegen.

Das stimmt auf jeden Fall. Das ist ja in der Musik jetzt ähnlich. Man muß die ganzen Bands, die da jetzt den Durchbruch gehabt haben, auch nicht alle kollektiv mögen, aber was es bewegt, ist auf jeden Fall sehr positiv. Sowas wäre der Filmszene auch zu wünschen, daß dann in Folge auch andere Sachen kommen.

Ich hatte vor kurzem einen Wiener Journalisten, Rodja Pavlik, interviewt, und der hat gesagt, er wünscht sich schon seit Jahren für den österreichen Film so einen Tarantino-Erfolg – nicht, was die Art von Film angeht, sondern daß da jemand so einen Knüller landet, daß alle Leute schauen, was die österreichische Filmszene macht.

Das stimmt. Was ich mir persönlich wünschen würde: Ein Genre, das wirklich für Wien maßgeschneidert wäre, wäre der Psychothriller – gar kein actionreicher, weil Action eh schon wieder schwer umzusetzen und kostspielig ist. Aber Psychothriller oder Psycho-Horrorthriller, in diesem Grenzbereich – da wundert es mich, daß es nicht schon unzählige gibt. Wenn man nur einen Winter in Wien verbringt, dann drängt sich das Genre total auf. Es gibt auch sonst im Land soviele Gegenden – der Semmering, dieses ehemalige Erholungsgebiet, das da in den Bergen liegt und mittlerweile schon verwahrlost ist … es gibt wirklich Gegenden, die sich aufdrängen für Filme. Da würde ich mir auf jeden Fall mehr wünschen.

Mir fällt ein, wo du „Wien“ und „Psychothriller“ sagst: Die Italiener waren ja damals sogar in den Siebzigern hier bei uns – z.B. DER KILLER VON WIEN von Sergio Martino.

Genau!

Ich find da ja sehr schön, wie er die Stadt selber hernimmt, diesen Flair der Stadt.

Stimmt absolut. Und von Nicolas Roeg gibt es aus den Siebzigern noch BAD TIMING, mit Art Garfunkel als Wiener Universitätsprofessor, wo auch die Stadt extrem gut rüberkommt. Das ist ein recht obskurer Film, den hab‘ ich vor Jahren mal gesehen auf DVD – aber der ist mir in Erinnerung geblieben, weil ich mir gedacht hab‘: Warum hat kein Österreicher damals diese Filme gedreht?

Photo: Peter Garmusch.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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