THE EXPENDABLES: Ein Aufstand alter Männer

Film / Neuer als alt / 28. Juni 2014

So einfach kann man dem Älterwerden entgehen: Nur nichts anmerken lassen. Wenn Reinhold Messner mit 60 noch die Wüste Gobi durchqueren kann und Rock’n’Roll-Urgesteine wie die Stones im kollektiven Alter von 6200 Jahren die Bühnen bespringen, als würde es für jede volle Dekade Treuepunkte geben, dann kann so ein Actionstar von gestern schon gleich dreimal so tun, als wäre der Fortschritt der Zeit nur eine debattierbare Theorie.

Früher wurde noch gerne gelästert über Kinohelden, die in die Jahre kommen – obwohl genau das sie ja menschlich machte. Aber dann ackerte sich Sylvester Stallone – in den Achtzigern gewissermaßen ein eigenes Filmgenre und seit seinem Durchbruch ROCKY die pure Personifikation der Maxime, daß man nur stur genug sein muß, um aus dem Wunsch Wirklichkeit zu machen – in einem Alter, in dem andere mit dem Kreuzworträtseln beginnen, nochmal den Körper auf hundertachzig und kämpfte sich durch Fortsetzungen von RAMBO und ROCKY, die nicht nur ihm ein Comeback als Actionstar verschafften, sondern auch andere Männer jenseits der 50 ermutigten, weiterhin dem Körperkino zu frönen. „Ich war ungefähr 400 Jahre zu alt für die Rolle“, sagte einst Roger Moore zu seinem letzten Bond-Film IM ANGESICHT DES TODES, bei dem er gerade mal 58 war. Heute würde es einen nicht überraschen, wenn er mit seinen mittlerweile 87 Jahren im nächsten Stallone-Film noch mal ebensoviele Terroristen abfrühstücken würde.

So kommen wir also zu THE EXPENDABLES, dem filmischen Äquivalent zum „Monsters of Rock“-Festival: Stallone trommelte für seine Söldnermär quasi ein Allstar-Lineup zusammen aus beinahe allem, was vor dreißig Jahren hochmaskulin die Leinwand vollschwitzte – plus ein paar Gesellen, die in der Alterskategorie von 40+ gewissermaßen als Juniormitglieder dieses Aufstands alter Männer fungieren und auch von jüngeren Kinogängern als Actionhelden identifiziert werden können. So schließen sich all die knallharten Einzelgänger zu einer Bande an Einzelgängern zusammen: Wer nicht gerade einen Bösen mimen darf, ist hier Mitglied der Söldnereinheit „Expendables“, die im Laufe der, räusper, Handlung irgendeine südamerikanische Insel so gründlich von einer Militärdiktatur befreit, daß der Wiederaufbau der Infrastruktur wohl mit Strohhütten beginnen dürfte.

Und was für ein Testosteronclub da zusammentritt, um die Actionzeitmaschine zu füttern! Eric Roberts (der zum Zeitpunkt der Entstehung meines Textes in der IMDB satte 78 angekündigte Filme in verschiedenen Stadien der Fertigstellung bzw. Planung gelistet hat!) darf als widerwärtiger Großkapitalist Tee trinken, während schöne Frauen gefoltert werden; Dolph Lundgren (der im richtigen Leben einen Master-Abschluß als Chemieingenieur hat!) bleibt 25 Jahre nach ROCKY IV im Kampf gegen Stallone einmal mehr nur Zweiter; Jason Statham und Jet Li dürfen grimmig schauen und gefühlte drei Millionen Soldaten umnieten; und Mickey Rourke darf tätowieren und nachdenkliche Worte sprechen – und wurde vielleicht hauptsächlich deswegen angeheuert, weil er mittlerweile so hinüber aussieht, daß gegen ihn Stallone schön und unverbraucht wirkt. Nebenbei schauen auch noch harte Sportler wie Steve Austin, Terry Crews und Randy Couture vorbei. Mehr Knistern unter Kerlen geht gar nicht.

Angesichts eines solchen Aufgebots an Brachialkinogestalten liegt der Gedanke natürlich nicht fern, in den EXPENDABLES eine hochironische Angelegenheit zu sehen – aber tatsächlich wird nur in einer Szene mit dem Hühnerauge gezwinkert und dem Zuseher signalisiert, daß sich Stallone und seine Steher im Klaren darüber sind, welch absurder Actionkongress da abgehalten wird: Da erläutert Auftraggeber Bruce Willis die Hintergründe der Mission, für die er entweder Stallone oder Schwarzenegger anheuern will – die sich beide nicht leiden können, aber letzterer lehnt ohnehin ab und verschwindet aus der Handlung, weil er es eigentlich auf den Präsidentschaftsposten abgesehen hat. Drumherum wird das Spektakel in brutalem Ernst abgehalten, und das wirkt umso bizarrer, je mehr aufgepumpte Stehaufmännchen da über die Leinwand spazieren: Die Actiondesperados waren für sich schon oft genug mehr Comicfiguren als menschliche Wesen, und alle zusammen wirken sie wie der Best-of-Zusammenschnitt einer Thrashmetalband, die immer nur auf Anschlag spielt.

Nähme man den Film so ernst, wie er sich gibt, könnte man die Angelegenheit reichlich reaktionär finden. Das fängt schon damit an, daß der menschenfreundliche Amerikaner hier einmal mehr ins Ausland reisen darf, um dort die Welt von den Untermenschen zu befreien – das Problem der Diktatur läßt sich mal wieder damit lösen, daß einfach jeder böse Bube mit Blei vollgepumpt wird. Und dann ist da noch das Frauenbild: Die Mädels sind hier ganz dem Genreduktus entsprechend reine Trophäen, die manchmal gerettet werden müssen und oft privaten Kummer machen. Jason Staham merkt in einer Szene, daß seine Ex-Freundin von ihrem neuen Typ geschlagen wird, weshalb er den Burschen mitsamt dessen Basketballmannschaft zusammenkloppt. Merke: Schlechte Kerle schlagen ihre Frauen, während die guten Kerle stattdessen für teures Geld ein paar hundert Soldaten niederballern – achtet auf die feinen Unterschiede, liebe Damen!

Aber freilich sind das Probleme, die das Genre schon seit mindestens dreißig Jahren mit sich trägt. Wenn Stallone hier schon von einer gewissen Nostalgie nach Hardcorehelden zehrt, dann bedient er eben auch alle Gemeinplätze des Haudraufkinos und gibt sich und seinem Publikum die Sicherheit, daß sich die Welt gar nicht so sehr ändern kann, als daß ein paar harte Jungs sie nicht wieder in Ordnung ballern könnten. Die Inszenierung mag modern aussehen – düstere Bilder, wacklige Kamera, schnelle Schnitte, ein bißchen CGI-Blut – aber sonst ist die Blickrichtung eindeutig rückwärts gerichtet. Beim „Monsters of Rock“ lädt man ja auch keine Bands ein, die mit progressiven Experimenten das traditionsbewußte Stammpublikum verstören könnten – lieber nichts anmerken lassen und so tun, als hätten wir noch 1985.

 


Sylvester Stallone auf Wilsons Dachboden:

D-TOX – IM AUGE DER ANGST
THE EXPENDABLES: Ein Aufstand alter Männer
ESCAPE PLAN: Der Kampf gegen den Fortlauf der Zeit
RAMBO – LAST BLOOD: Zuhause im Krieg


 

The Expendables (USA 2010)
Regie: Sylvester Stallone
Buch: Dave Callaham, Sylvester Stallone
Musik: Brian Tyler
Kamera: Jeffrey Kimball
Darsteller: Sylvester Stallone, Jason Statham, Jet Li, Dolph Lundgren, Eric Roberts, Randy Couture, Steve Austin, Giselle Itié, Charisma Carpenter, Terry Crews, Mickey Rourke, Bruce Willis, Arnold Schwarzenegger






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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