SAW II: Mehr vom Erstling und ein Schritt ins Phantastische

Uncategorized / 6. April 2014

Es war praktisch unmöglich, daß auf den Überraschungshit SAW keine Fortsetzung folgen würde. James Wans Psycho-Horrorthriller hatte sich 2004 als lukrativer und höchst effektiver Nervenkitzel entpuppt, der mit dem Jigsaw-Killer einen interessanten Serientäter etablierte: Ein dem Tode geweihter Mensch, der mit perfiden Fallen andere dazu bringen will, ihr Leben wieder wertzuschätzen. SAW funktionierte im Kopf und gab einem wie seinerzeit das BLUTGERICHT IN TEXAS das Gefühl, heftige Grausamkeiten zu sehen, obwohl eigentlich gar nicht so viel Blut den Bildschirm herunterfloß, wie man meinen könnte. Nebenher jagte der Plot im Eiltempo durch Twists und Überraschungen, und es ist dem erzählerischen Talent von Wan und seinem Autor Leigh Whannell hoch anzurechnen, daß man sich erst hinterher über etwaige Lücken in der Konstruktion Gedanken macht.

Trotz des immensen Erfolges hatten Wan und Whannell aber gar nicht viel Interesse daran, sich einer Fortsetzung zu widmen – woraufhin die Produzenten den hoffnungsfrohen Jungspund Darren Lynn Bousman anheuerten, der schon seit Jahren mit einem SAW-ähnlichen Skript hausieren ging und selbiges nun mit Hilfe von Whannell zu einer tatsächlichen SAW-Fortsetzung umschreiben durfte. Die Geschichte fungiert dabei primär nach dem Prinzip „mehr“: Jigsaw, der ja im Erstling nicht gefaßt wurde, hat hier eine Gruppe von Leuten in einem Haus eingesperrt (in Teil 1 waren es nur zwei Menschen in einem großen Badezimmer). Durch das Haus strömt Nervengas, das die Leute innerhalb von zwei Stunden töten wird – wenn sie es nicht schaffen, im mit diversen Fallen ausgestatteten Haus die versteckten Spritzen mit einem Gegenmittel zu finden. Jigsaw wäre natürlich nicht Jigsaw, wenn seine Aufgaben nicht darauf hinausliefen, die Gruppenmitglieder gegeneinander aufzuhetzen – und einer seiner Gefangenen ist der Sohn des Polizisten Eric Matthews, mit dem der Killer nebenher noch ein anderes perfides Spiel spielt …

Nicht nur das Skript, sondern auch Bousmans Regie orientiert sich am ersten Teil und versucht gleichzeitig, diesen wieder und wieder zu toppen: Grausamere Fallen, mehr Hysterie, mehr Blut, unglaublichere Twists und noch mehr Opfer. Wo Wan im Erstling die Schnittgewitter noch hauptsächlich suggestiv einsetzte – zum Beispiel, als die Polizei die Geschehnisse in einer der Jigsaw-Fallen rekonstruiert – haut Bousman fast regelmäßig auf den Adrenalinknopf, um die Panik der Figuren auch auf den Zuseher zu übertragen. Das funktioniert zwar durchaus effektiv, opfert aber dafür auch die gewisse Unberechenbarkeit des Vorgängers: Wo wir dort nie ganz wußten, wie weit der Film gehen würde, ist hier der Erzählmodus sehr schnell klar – und fühlt sich damit trotz intensiverer Blutbäder weitaus sicherer an.

Verloren geht dabei leider auch ein wenig die boshafte Relevanz, die Jigsaw seinen Fallen im ersten Teil noch gab: Sein „Test“, den das Opfer bestehen mußte, spiegelte auf gewisse Weise das „Vergehen“ wider, dessen er seine Mitmenschen beschuldigte; mit der jeweiligen Lösung wollte er den Opfern gewissermaßen eine Lehre erteilen. In SAW II ist zwar der Sadismus der Fallen verstärkt – wie in einer Sequenz, wo ein Schlüssel in einem Meer aus Spritzen versteckt ist – aber dafür auch ihre Selbstzweckhaftigkeit. Immerhin: Das „Hauptspiel“, nämlich die Auseinandersetzung mit Detective Matthews, in die alle anderen Fallen und Personen hineinspielen, verstärkt die zynische Funktion Jigsaws, die schon im ersten Teil angerissen wurde: Hier wird die Figur zum abgeklärten Menschenkenner, der die Charakterfehler seiner Mitmenschen so gut kennt und sich ihrer so gewiß ist, daß er komplexe Abläufe danach planen kann. Jigsaw ist der Spiegel, der den Menschen die Fehler zeigt, die sie unaufhaltbar ins Verderben führen.

Die Komplexität von Jigsaws Plan ist es allerdings auch, die die SAW-Geschichte mit diesem Teil weit mehr in Richtung des Phantastischen führt, als das noch im ersten Part der Fall war. Der Killer hält hier so viele Fäden in der Hand, daß seine Fähigkeiten weit ins Übermenschliche gehen; jeder Handgriff und jede Reaktion ist als Teil seines Spiels schon vorhergesehen. Es steigert das fatalistische Element der Erzählung – das ja einhergeht mit seiner absoluten Gewißheit, daß wir immer das Falsche tun werden – erfordert aber gleichzeitig auch, daß wir die Plausibilität des Gezeigten stärker ignorieren. Daß das nicht immer reibungslos funktioniert, liegt leider auch daran, daß die Figuren immer mal wieder der Drehbuchkonstruktion folgen müssen: Wenn die Polizei nach einer Stunde in Jigsaws Büro vom Killer selbst den Hinweis bekommt, seine Schreibtischschublade zu öffnen (in der sich eine Akte befindet, die die Identität der im Haus gefangenen Opfer klärt), fragt man sich doch, ob die Spezialeinheit ihre Ausbildung in Kommandant Lassards Police Academy genossen hat.

Rückblickend betrachtet ist es vor allem interessant, wie SAW II als Brücke zwischen dem Erstling und den weiteren Fortsetzungen fungiert: Er zeigt schon den Ansatz, die geschickt suggerierten Bluttaten des Erstlings weitaus deutlicher zu zeigen, obwohl sich die Reihe erst ab Teil 3 wirklich zur Splatter-Sause wandelte. In der Handlung ist er fast geradliniger als der erste, der ja chronologisch ein wenig herumsprang, und zeigt noch nicht die ebenso im dritten Teil aufblühenden Ansätze, den Plot wie ein Puzzlespiel durch zusätzliche Informationen und Rückblenden und Kontextveränderungen immer dichter zu verzahnen. Bousmans Inszenierung dagegen beinhaltet in seiner stakkatohaften Videoclipästhetik schon alles, was auch die weiteren Fortsetzungen auszeichnen sollte.

Damit funktioniert SAW II also eigenständiger als die späteren Fortsetzungen, während er auch als Zwischenstufe in der Entwicklung der Reihe angesehen werden kann. Den verstörenden Effekt des Erstlings kann das Sequel fast zwangsläufig nicht rekonstruieren – aber dennoch schafft es der Film, die mit der Jigsaw-Figur angelegte Grundidee gewissermaßen im Sinne des Erfinders weiterzutragen.



Saw II (USA 2005)
Regie: Darren Lynn Bousman
Drehbuch: Leigh Whannell, Darren Lynn Bousman
Kamera: David A. Armstrong
Musik: Charlie Clouser
Darsteller: Tobin Bell, Shawnee Smith, Donnie Wahlberg, Erik Knudsen, Franky G, Glenn Plummer, Emmanuelle Vaugier, Beverley Mitchell, Tim Burd, Dina Meyer, Lyriq Bent






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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