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[Film] Der grosse Gatsby (2013)

F. Scott Fitzgeralds 1925 veröffentlichter Roman THE GREAT GATSBY ist nicht umsonst ein Klassiker der amerikanischen Literatur: Das Buch fängt in bemerkenswerter sprachlicher Eleganz eine Ära ein, in der umso ausgelassener gefeiert wurde, je schlechter es den Menschen ging. Es zeichnet ein düsteres Bild des amerikanischen Traums – die Titelfigur, der Millionär Jay Gatsby, hat sich von Armut zu Reichtum hochgearbeitet, aber es stellt sich heraus, daß er dabei eigentlich nur eine Rolle spielt und sein Geld zwielichtigen Geschäften zu verdanken hat. Und im Kern ist THE GREAT GATSBY die tragische Geschichte eines einsamen Menschen, der mit all seinem Besitz tausende von Menschen um sich versammeln kann und doch ganz und gar alleine bleibt.

Regisseur Baz Luhrmann sieht das wohl anders: Für ihn ist THE GREAT GATSBY eine der ergreifendsten Liebestragödien aller Zeiten. Es kann nicht behauptet werden, daß diese Lesart nichts mit der Geschichte zu tun hätte – die Handlung des Romans dreht sich größtenteils darum, daß der immens reiche Gatsby über Jahre hinweg prunkvolle Feste organisiert, weil er hofft, daß seine verlorengegangene Liebe Daisy Buchanan auf einer dieser Feiern auftaucht. Daisy lebt sogar ganz in der Nähe – aber hat vor vielen Jahren, nachdem Gatsby in den Krieg ziehen mußte, jemand anderen geheiratet. Die Dreiecksbeziehung ist also durchaus ein substantieller Teil der Geschichte – aber gleichzeitig auch die oberflächlichste Ebene, und Luhrmann schaut in seiner seichten Interpretation kaum unter die offensichtlichen Gegebenheiten.

Luhrmanns Blick auf THE GREAT GATSBY ist hemmungsloser Pomp: knallige Bonbonfarben, atemlose Kameraakrobatik, Showeinlagen, Rückblenden im Weichzeichner, schimmerndes Licht auf dem Wasser, großes Orchester, durchs Bild rieselnde Buchstaben des Erzählers, Ragtime mit Hip-Hop-Beats, knapp zweieinhalb Stunden Lauflänge und ein Gatsby-Anwesen, das wie ein Eurodisney-Event wirkt. Es ist der pure Kitsch.

Dabei könnte die mondäne Üppigkeit der Inszenierung ja eigentlich zur dargestellten Ära des Jazz Age passen, in der Ausschweifungen an der Tagesordnung waren und Mode wie Musik auffälliger nicht hätten sein können. Dazu müßte dieser dargestellten Ausstattungsgewalt aber ein Interesse innewohnen, darüber eben jenen Zeitgeist einzufangen, oder das Wissen um die Diskrepanz zwischen dem zur Schau gestellten Lebensgefühl und der innerlichen Leere der Hauptfigur durchscheinen. Fehlanzeige: Der Prunk stellt sich hier nur selber dar. Und das natürlich technisch perfekt.

Daß die Story tiefer graben könnte und das beeindruckende Ensemble – Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan, Joel Edgerton – aus ihren Figuren interessante Konflikte herausarbeiten kann, zeigt vor allem eine Szene in einem Hotelzimmer, in der das Dreiecksverhältnis ans Tageslicht kommt. Für ein paar Minuten merkt man, was für ein reichhaltiges Drama hier eigentlich vorliegen würde: Ganz plötzlich betrachtet die Kamera ohne viel Spielereien einfach nur den sich entfaltenden Moment, und Luhrmann verzichtet sogar auf die ansonsten pausenlos eingesetzte Musik.

Es ist einer der wenigen Augenblicke im Film, in der die Figuren irgendwie echt wirken – ansonsten ist Luhrmann kaum an der Menschlichkeit seiner Charaktere interessiert. Fast bezeichnend fällt die Sequenz zum Schluß mit dickem Orchester wieder zurück in den gewohnten Erzählstil, und schon bald darf Gatsby zu schwerster Musik als letztes Wort den Namen seiner Geliebten hauchen und in Zeitlupe mit immens nachbearbeiteten blauen Augen angeschossen in seinen Pool fallen. Es könnte ja sonst jemand verpassen, daß etwas Tragisches passiert. (Ja, ich habe jetzt den Schluß verraten. Abgesehen davon, daß ich keine wahnsinnige „Spoiler“-Allergie habe, denke ich, daß man über 88 Jahre alte Stories durchaus allumfassend reden kann.)

Bei all der Bilderflut sollte man meinen, daß der Film die Geschichte zumindest visuell interessant dramatisiert. Auch das ist leider nicht der Fall: Um die gewichtigen Worte von F. Scott Fitzgerald einbauen zu können, ist der Film als gigantische Rückblende erzählt, bei der der Protagonist Nick Carraway seine Geschichte einem Therapeuten erzählt bzw. sie zu diesem Zwecke niederschreibt. Ein ums andere Mal ist über die Szenen also Nicks Erzählstimme gelegt, die uns entweder erklärt, was wir eigentlich selber aus dem Moment herauslesen sollten („Die Art, wie er sprach – kein Wunder, daß die Leute ihn für einen Lügner hielten!“), oder was wir ohnehin auf der Leinwand sehen („Er schien nach etwas zu greifen, das dort in der Dunkelheit war“). Mitunter dienen diese Worte wirklich als Krücke – daß zu Gatsbys Beerdigung kein Mensch erscheint, wird hier dadurch verwässert, daß man zuerst haufenweise Reporter um den Sarg herumschwirren sieht, die dann von Carraway weggescheucht werden; danach erzählt uns das Voice-Over, daß niemand kam. Eigentlich bizarr, daß eine so auf das Sehen konzentrierte Inszenierung sich letztlich doch so sehr auf das Wort stützen muß.

Ich gehöre nicht zu den Leuten, die Werktreue verlangen oder in permanenten Vergleichen Buch und Film gegenüberstellen, um sich über Änderungen zu echauffieren: Die beiden Medien funktionieren grundlegend anders, und eigentlich begrüße ich sogar künstlerische Freiheiten, weil das Werk für sich genommen funktionieren muß und nicht als Bebilderung oder Beschreibung einer Vorlage. Im Falle des GREAT GATSBY schält eine grundsätzliche Differenz zwischen Film und Buch aber auch das Problem des ersteren klarer heraus: Nichts von der Theatralik und dem Protz der Verfilmung ist in Fitzgeralds subtiler, auf leise Art wehmütiger Erzählung zu finden. Die spannenden Dinge passieren dort zwischen den Zeilen – ein Ort, von dem der Film allem Anschein nach nicht mal weiß, daß er existiert.



Der grosse Gatsby (Australien/USA 2013)
Originaltitel: The Great Gatsby
Regie: Baz Luhrmann
Buch: Baz Luhrmann, Craig Pearce, nach dem Roman von F. Scott Fitzgerald
Kamera: Simon Duggan
Musik: Craig Armstrong
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan, Joel Edgerton, Elizabeth Debicki, Isla Fisher, Jason Clarke
FSK: 12

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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