[Film] Birdemic: Shock and Terror (2010)

Uncategorized / 28. August 2012
Wir haben alle überlebt. Was gewinnen wir?

„The shock and terror keeps me sane / Does anybody feel the same?“, singen CKY in einem Song, und auch wenn diese beiden Zeilen die ersten sind, die mir zu dem Schmalfilmexponat BIRDEMIC: SHOCK AND TERROR einfallen, muß man die gestellte Frage in Bezug auf diesen cineastischen Überlebenstrip doch ganz klar mit „nein“ beantworten. „Sane“ würde ja Vernunft, Verstand und geistige Gesundheit suggerieren, und das läßt sich beim besten Willen nicht mit dem Film vereinbaren.

Die Prämisse ist anhand des Posters ja schon hinreichend angedeutet: Böse Vögel greifen eine Kleinstadt an. Vielleicht fällt uns bis zum Ende des Textes ja zu diesem Thema noch ein filmisches Meisterwerk von einem legendären Regisseur ein. Einstweilen müssen wir uns wohl mit dieser Flugviehattacke begnügen, die bei jedem Studentenfilmfestival gnadenlos ausgelacht werden würde.

Whitney Moore schwant gerade, daß Hitchcock nicht ans Set kommen wird.

BIRDEMIC ist dabei in zwei etwa gleich lange Hälften eingeteilt: Eine mit Vögeln, und eine ohne. Zweitere kommt übrigens am Anfang, wo nämlich der Held des Films in selig langen Einstellungen durch die Gegend gondelt und mit einer blonden Frau anbandelt. Das gemütliche Becircen nimmt dabei die ersten 45 Minuten des Films in Anspruch – das ist natürlich sinnvoll, weil wir uns ja nicht gleich mit jeder dahergelaufenen Figur anfreunden! Lieber etwas durchschnaufen und den Leuten dabei zusehen, wie sie Türen auf- und zumachen, Straßen entlanggehen, telefonieren, herumfahren, essen, und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.

Was natürlich nicht heißen soll, daß es in dieser ersten Filmhälfte weder Shock noch Terror gibt: schockierend ist vor allem die technische Ausführung des Ganzen, terrorisierend dann die endlosen, höllisch dämlichen Sequenzen, in denen so wenig Aufregendes passiert, daß die Handlung wohl schneller zur Sache kommen würde, wenn man ins Tiergeschäft fährt und höchstselbst eine Vogelzucht aufmacht.

Bloody tourists!

Wir sprachen über die technische Qualität: Ja, die ist ganz einfach gar nicht vorhanden. Regisseur James Nguyen fungiert mehr oder minder als Ein-Mann-Armee und filmt mit unbeholfener Handkamera irgendwo durch die Gegend, ohne je etwas über Bildgestaltung gelernt zu haben. Ehrlich, so ziemlich jeder Onkel fängt bei jeder Familienfeier spannendere Bilder ein. Der Schnitt paßt perfekt zum Bild: BIRDEMIC sieht aus wie mit der Heckenschere geschnitten. Es gibt keinen Rhythmus und kein Gespür für Tempo im Ablauf der Bilder, die meisten Einstellungen stehen viel zu lang, und von der Notwendigkeit der diversen lang ausgekosteten Tür-auf-Tür-zu-Bilder wollen wir ja mal gar nicht anfangen – da seien wir doch mal einfach froh, daß Nguyen nicht noch Close-Ups von den Türklinken mitgedreht hat.

Man ahnt ja nun schon, wie es um die Güteklasse der Darsteller bestellt ist: Unterste Kajüte. Wer je für einen Amateurfilm Freunde vor die Kamera gezerrt hat, die überhaupt nicht spielen konnten, wird in BIRDEMIC einen gewissen Wiedererkennungseffekt genießen können: Diese Schauspielflaschen sind derartige Schlaftabletten, daß es aufregender wäre, sich mit Teig zu unterhalten. Die Hauptdarstellerin ist wenigstens ansehnlich, spielt aber wie ihre „Kollegen“ so energiegeladen wie eine schimmlige Scheibe Schwarzbrot.

Nur ein Amateur braucht viele Millionen und ein großes Effektstudio!
Der wahre Künstler animiert seine Vögel noch selber.

Wer das Spektakel eine Dreiviertelstunde lang durchgestanden hat (alleine sozusagen unmöglich; mit Freunden nur zu empfehlen, wenn der Eigentümer der BluRay größer und kräftiger ist als seine Opfer), wird nun also mit dem Angriff verschiedener Adler belohnt. Die stürzen sich kamikazeartig auf die Stadt und explodieren dabei sogar. Und sie sind natürlich per CGI ins Bild kopiert – und zwar quasi als schlecht animierte GIFs, gegen die jedes Computerspiel der Achtziger photorealistisch wirkt. In einer besonders schönen Sequenz kämpfen unsere Helden mit Kleiderbügeln gegen die angreifenden Viecher, und das sieht so aus, daß die Menschen einfach mit ihren „Waffen“ in der Gegend herumfuchteln, und Vögel ins Bild kopiert wurden, die keinerlei Kontakt mit irgendeinem sonstigen Element des Bildes haben. Ah ja, und die Biester fliegen auf der Stelle, bewegen sich also nicht.

Die restlichen 45 Minuten darf man neben dem mangelnden Handwerk also auch noch zum Brüllen komische Effekte begutachten – ganz mal abgesehen davon, daß sich die Handlung eher sinnfrei gestaltet, und das nicht erst, als ein freundlicher Sleazoid aus dem Wald einen mehrminütigen Vortrag über den Wert der Bäume hält.

BIRDEMIC schreit natürlich eigentlich danach, detaillierter aufs Korn genommen zu werden – aber dazu müßte ich den Terror jetzt nochmal vor meinem geistigen Auge Revue passieren lassen, und nein: The shock and terror does not keep me sane. Und außerdem wird nun jeder halbwegs Trash-Interessierte den Film ansehen wollen, weil er einerseits den Spaß am Scheitern sucht und andererseits glauben wird, daß es doch so schlimm gar nicht sein kann. Tja, liebe Freunde: Es ist viel schlimmer. Viel Vergnügen.

Auch Don Arrigone hat für Wilsons Dachboden eine kritische Betrachtung des Films verfaßt: hier.

Birdemic: Shock and Terror (USA 2008)
Regie: James Nguyen
Buch: James Nguyen
Produktion: James Nguyen
Kamera: Daniel Mai
Musik: Andrew Seger
Darsteller: Alan Bagh, Whitney Moore, Rick Camp, Patsy vanEttinger, Colton Osborne, Damien Carter

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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