[Film] Best Worst Movie (2010)

Uncategorized / 18. August 2012

1989 drehte der italienische Regisseur Claudio Fragasso in einer amerikanischen Kleinstadt in Utah einen Low-Budget-Horrorfilm, der zunächst GOBLIN hieß, dann aber als TROLL 2 vermarktet wurde – obwohl er nicht nur rein gar nichts mit John Carl Buechlers TROLL zu tun hatte, sondern auch überhaupt keine Trolle im Film vorkamen. In dem 1990 erschienenen Film reist eine Familie in das kleine Kaff Nilbog (aha!), wo die Bewohner in Wahrheit böse Goblins sind, die Besucher mittels vergiftetem Essen in Pflanzen verwandeln und dann essen.

Wie so einige der italienischen Billigproduktionen der Achtziger und frühen Neunziger ist auch der von Joe D’Amato mitproduzierte Streifen TROLL 2 absolut unterirdischer Schund, bei dem man sich nur wundern kann, wie er überhaupt finanziert wurde. Die (Laien-)Darsteller sind grauenhaft, die Effekte billigst, die Handlung bizarr und albern, die Dialoge lachhaft – der Film versagt auf ganzer Linie. Der Unterschied zu diversen artverwandten Trashspektakeln: Um TROLL 2 baute sich über die Jahre hinweg eine Fangemeinschaft auf, die den Film mit Aufführungen und speziellen Events feierte und einen enormen Spaß aus diesem grottigen Unfug zog, der in meinem treuen Nachschlagewerk TERROR ON TAPE mit folgenden Worten bedacht wird: „This has to be seen to be believed – but please don’t“.

Und weil TROLL 2 mit seiner sozusagen legendären Qualität (bzw. dem Mangel daran) mittlerweile als Kultfilm durchgeht, drehte Regisseur Michael Paul Stephenson mit BEST WORST MOVIE eine Dokumentation über den Film, seine „Stars“ und Macher, und die Fanscharen, die teilweise bei den Aufführungen jede der holprigst geschriebenen Dialogzeilen auswendig mitsprechen können. Stephenson selbst ist wohl der fähigste Mann, diese Geschichte zu erzählen: Er selbst war damals nämlich, im zarten Alter von 11 Jahren, der Hauptdarsteller von TROLL 2. (Als komplett private Randnotiz darf ich hinzufügen, daß Michael Stephenson exakt so alt ist wie ich – bis auf den Tag genau!)

BEST WORST MOVIE sucht den Großteil der Darsteller wieder auf, die an TROLL 2 beteiligt waren. Als zentrale Figur dient dafür George Hardy, ein im damaligen Drehort ansässiger Zahnarzt, der seinerzeit ohne weitere Schauspielerfahrung als Vater der Familie – also für eine der Hauptrollen! – gecastet wurde. Hardy ist ein ungemein sympathischer Bursche: Er lächelt und lacht viel, geht herzlich mit seinen Mitmenschen um, ist im Ort und bei seinen Patienten beliebt und behandelt arme Kinder auch schon mal umsonst. Sogar seine Ex-Frau mag ihn. Hardy macht sich, was die Qualität von TROLL 2 und auch seines Auftrittes darin angeht, absolut nichts vor – im Gegenteil, er lacht gerne darüber. Und so ist er auch erstmal sehr perplex, als er erfährt, daß eine so große Fangemeinde existiert, die in lautstarken Jubel ausbricht, als er bei einer Aufführung auftaucht. Die Zuseher bitten den gutmütigen Hardy, einen seiner markanten Aussprüche aus dem Film zu wiederholen, und der macht das gerne und muß darüber so sehr selber lachen, daß ihn die Menge nur noch mehr ins Herz schließt.

Nicht alle Darsteller können so unbefangen und selbstironisch mit ihrem Auftritt in TROLL 2 umgehen. Connie Young, die in TROLL 2 noch unter dem Namen „Connie McFarland“ auftritt, ist zum Beispiel eine der wenigen, die nach dem Film noch eine ernsthafte Schauspielkarriere angestrebt haben – weswegen sie den Film bis zum heutigen Tag von ihrem Lebenslauf gestrichen hat (möglicherweise geht der Namenswechsel damit einher). Sie gibt zu, daß ihr Auftritt in dem Film absolut grauenhaft ist, und man versteht durchaus, warum nach so einer Demonstration ihres Unvermögens ein Neustart nötig war.

Die Geschichten der verschiedenen Darsteller gehen einem oft genug auf die eine oder andere Weise ans Herz. Da wäre zum Beispiel Don Packard, der im Film als Ladenbesitzer mit unheimlich starrem Blick auftaucht – und der zur Drehzeit Patient in einer Nervenheilanstalt war, wo er für einen Tag Urlaub bekam und an diesem Tag seinen Auftritt filmte. Packard macht mit seiner Stofftierleidenschaft immer noch einen etwas merkwürdigen Eindruck, aber er erzählt, daß es ihm mittlerweile wesentlich besser geht – und er blickt zurück auf seinen Auftritt in TROLL 2 und glaubt, daß der irre Blick nicht gespielt war. Er fliegt zu einer Aufführung von TROLL 2, wo er sich brav ins Publikum setzt – und als er dann erkannt und auf die Bühne gebeten wird, wird er mit soviel Jubel empfangen, daß er den Moment hinterher als einen der schönsten seines Lebens bezeichnet.

Auf andere Weise rührend ist die Geschichte von Robert Ormsby, der in TROLL 2 als Großvater auftaucht, der dem kleinen Jungen Ratschläge und Warnungen aus dem Jenseits heraus gibt. Wenn Ormsby in seinem Sessel sitzt und erklärt, daß er keine Kinder hat und daß er sein Leben mehr oder weniger vergeudet hat, möchte man den alten Mann fast tröstend umarmen. Und noch viel trauriger ist der Verbleib von Margo Prey, die in TROLL 2 die Mutter spielte: Sie lebt komplett zurückgezogen und pflegt ihre alte, kranke Mutter. Der Gedanke, das Haus zu verlassen, löst offenbar Angstzustände bei ihr aus. Dennoch redet sie davon, zur Schauspielerei zurückzukehren – wir wissen nicht, was sie nach TROLL 2 überhaupt diesbezüglich gemacht hätte! – und vergleicht den Film dann allen Ernstes mit CASABLANCA. Generell wirkt sie etwas entrückt von der Wirklichkeit.

Natürlich darf Regisseur Claudio Fragasso nicht fehlen, der den Film unter dem Pseudonym „Drake Floyd“ inszenierte und zusammen mit seiner Frau Rossella Drudi schrieb. Fragasso, der auch an Trashgranaten wie HELL OF THE LIVING DEAD, LAURA II – REVOLTE IM FRAUENZUCHTHAUS, RIFFS III – DIE RATTEN VON MANHATTEN und CONTAMINATOR … DIE MORDMASCHINE AUS DER ZUKUNFT mitwirkte, begegnet der Kritik an TROLL 2 mit einer gewissen sarkastischen Abfälligkeit. Der schlechteste Film aller Zeiten? Nein, erklärt er, für ihn ist TROLL 2 ein sehr guter Film, und wenn du ihn schlecht findest, dann ist das dein Problem. In einem wahrlich bizarren Einführungsinterview erläutert er, wie der Film wichtige Themen des Menschseins behandelt: Essen, Leben, Sterben, Familie. Später unterbricht er Fragerunden mit den Schauspielern und knurrt, daß die Darsteller den Sachverhalt gar nicht richtig wiedergeben. Er grinst dabei etwas, und man ist sich nicht ganz sicher, inwieweit er das witzig meint oder nicht. In manchen Sequenzen wirkt er durchaus gekränkt, daß sein Werk so belächelt wird – er erklärt stolz, wie das Publikum jetzt die Kritiker eines besseren belehrt, weil sie den Film so sehr lieben, und wundert sich aber dann, wieso die Leute auch bei Stellen lachen, die gar nicht komisch gemeint sind. An einer anderen Stelle aber gibt er fast kämpferisch zu Protokoll: Den schlechtesten Film aller Zeiten gemacht zu haben ist fast so ein großes Kompliment, wie den besten Film aller Zeiten gemacht zu haben – denn offenbar bewegt er die Leute.

Daß Fragasso nicht in das allgemeine Gelächter über den Film einstimmt, läßt ihn einerseits etwas wirklichkeitsfremd wirken – aber andererseits ist, wie auch ein Fan im Film anmerkt, ein Teil der Attraktivität von TROLL 2 der, daß er nicht ironisch schlecht ist, sondern ein ganz ernstgemeinter Film von jemandem, der etwas Wertvolles schaffen wollte. Es steckt Herzblut dahinter. Und es ist so viel leichter, sich hinzustellen und zu behaupten, etwas wäre gar nicht ernst gemeint – man entzieht sich damit ja fast jeder Kritik – während es wesentlich mehr Mumm erfordert, zu seinem Werk zu stehen und zu sagen: Das habe ich nach bestem Vermögen gemacht, und wenn es dir nicht gefällt, ist das dein Problem. Insofern beweist Fragasso also hier zunächst mal wirkliches Rückgrat.

Und was die Aussage angeht, daß der Film offenbar die Leute bewegt, hat er durchaus nicht Unrecht: Die Fans feiern TROLL 2 nämlich nicht alleine dafür, weil sie mit dem Finger darauf zeigen und lachen können. Sie feiern den Film, weil sie ihn lieben. Natürlich hat das etwas damit zu tun, daß der Film so gnadenlos scheitert – aber sie tun es auch, weil der Film anders ist, weil er aus der Menge an glattpolierten, ewig gleichen Filmerlebnissen heraussticht. Weil die Leute Spaß haben am überzogenen Schauspiel der Laien, die sie dann eben nicht auslachen, sondern fast als Helden feiern. Weil sie am bizarren Einfallsreichtum des Films Freude haben, der zwar in seiner Ausführung komplett scheitert, aber dennoch beständig etwas auf den Bildschirm wirft, das unterhält. BEST WORST MOVIE versteht, wie man Trashfilme lieben kann, ohne daß es nur darum geht, sich selber klüger als die Macher zu fühlen: Ein guter Trashfilm ist mitunter so viel lebendiger als die schwerst genormten Hochglanzproduktionen der Studios.

BEST WORST MOVIE schafft es also, nicht nur zum Heulen komisch und witzig zu sein – er begegnet auch auf Augenhöhe einer Gruppe von Filmenthusiasten und versteht deren Begeisterung. Und er erzählt immer wieder auch eine anrührende Geschichte von Hoffnungen und Träumen, vom Scheitern und vom Ruhm, der manchmal ganz unverhofft auf eine Art und Weise kommt, die man sich wirklich nicht vorgestellt hat. Und wenn der Sinn von TROLL 2 nur der war, 20 Jahre später eine so faszinierende Doku zu inspirieren, dann hat der Streifen mehr geschafft als hundert bessere Filme zusammen.

Best Worst Movie (USA 2010)
Regie & Buch: Michael Paul Stephenson
Musik: Bobby Tahouri
Kamera: Katie Graham
Darsteller: George Hardy, Michael Paul Stephenson, Darren Ewing, Jason Steadman, Jason Wright, Claudio Fragasso, Rossella Drudi, Robert Ormsby, Margo Prey, Connie Young

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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