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OPERATION WALKÜRE: Das Stauffenberg-Attentat als Comicverfilmung

Tom Cruise als Graf von Stauffenberg

Die Aufregung bordete über, lange bevor auch nur ein einziges Bild des Films existierte, in einem unglaublichen Zirkus aus vehementen Protesten und salivierendem Applaus, lange bevor auch nur ein Mensch den Film überhaupt gesehen hatte: Scientology-Galleonsfigur Tom Cruise steigt von der Couch herab, um als Graf von Stauffenberg deutsche Geschichte nach Hollywood zu bringen. Geblieben ist von dem ganzen Trubel freilich gar nichts, nachdem der von Bryan Singer inszenierte Film dann endlich gezeigt wurde und wieder aus den Kinos verschwand: So also sieht das Stauffenberg-Attentat auf Hitler als Comicverfilmung aus. Gesehen und abgehakt.

Schon seit der ersten Ankündigung von VALKYRIE liefen die Kommentatoren im Netz und freilich auch im Feuilleton Amok: Darf der das überhaupt? Wieso läßt man ihn? Wieso erzählen Amerikaner eine deutsche Geschichte? Und: Wird Cruise aus Stauffenberg eine Scientology-Figur formen? Natürlich waren die meisten prinzipiell dagegen und äußerten schwerste Bedenken, obwohl Cruise ja außerhalb seiner peinlichen Privatauftritte auf den Sofas fremder Leute stets zumindest solide Arbeit abliefert und zudem noch nie „seine“ Filmstoffe mit Scientology-Ideen verbrämt hat – im Gegensatz beispielsweise zu John Travolta (dem das wiederum selten vorgehalten wird). Abgesehen davon natürlich, daß Cruise machen kann, was er will, und daß niemand ein Exklusivrecht auf die deutsche Geschichte besitzt. Quasi als Gegenpol wurde Tom aber auch ein Bambi für „Courage“ verliehen – eine nicht minder hirnrissige Position, einem Schauspieler für die Darstellung einer Widerstandsfigur derart auszuzeichnen, weil Mut ja auch irgendein außergewöhnliches Risiko voraussetzt. Was hätte wohl passieren können, was nicht für jeden anderen Schauspieler in jeder anderen Rolle ebenso auf dem Spiel steht (nämlich: das Scheitern)?

Stauffenberg (Tom Cruise) vs. Hitler (David Bember)
Stauffenberg (Tom Cruise, links) vs. Hitler (David Bember).

Das Resultat freilich ist die Aufregung um keinen Atemzug wert: VALKYRIE ist ein Actionabenteuer, ein spannendes Paket aus Thrills und Drama, bei dem die Frage, inwieweit die Geschehnisse historisch akkurat porträtiert werden, völlig irrelevant bleibt – jenseits der reinen Bebilderung der Geschehnisse gibt es keinerlei Position, Aussage, Erkenntnis oder auch nur Raum für Ambivalenz in diesem STIRB-LANGSAM-based-on-a-true-story-Kintopp, der mit den ikonischen Abziehbildern der Historie einen eskapistischen Comic inszeniert: Der gute Graf mit der Augenklappe gegen den bösen alten Mann mit dem Schnauzer.

Dabei ist das Buch eine durchaus nüchterne Aneinanderreihung der einzelnen Geschehnisse: die Planung des Attentats, die Suche nach Verbündeten, die Ausführung des Plans, sein Scheitern. Ohne Fragestellungen oder Hintersinn freilich, aber auch frei von effektheischerischem Ballast: Quasi die Wikipedia-Variante eines Lebenslaufs. Bryan Singers Inszenierung dagegen transformiert die Geschichte zur unkritischen Popcorn-Action: die Kamera blickt stets von unten zu Stauffenberg herauf, um keinerlei Mißverständnis über seine Rolle als Held der Geschichte aufkommen zu lassen. Über Hitlers Gesicht liegen halbe Schatten. Die Musik erklärt uns, wann etwas tragisch ist, wann heroisch gehandelt wird, oder wann es Spannung gibt. Wenn sich Stauffenberg und Hitler am Tag des Anschlags gegenüberstehen, verraten uns engste Nahaufnahmen der Gesichter der beiden Kontrahenten, daß ein Showdown eingeläutet wird: Balboa vs. Drago, Eastwood gegen Volonté, Stauffenbond gegen Adolf Stavro Blofeld.

Ein Treffen zwischen Stauffenberg und Hitler im Berghof
Stauffenberg (Tom Cruise, rechts) läßt Adolf Hitler (David Bember, 2.v.r.) im Berghof
die geänderten Pläne für die Operation Walküre unterzeichnen.

Keine Frage, daß sämtliche Leistungen im Film durch die Bank als solide gefeiert oder beschimpft werden können: Alles sitzt und ist perfekt gebügelt, auf daß man sich dem die Leinwand entlangbewegenden Antrag auf Oscarnominierungen unterordnen kann. Nur eine Frage nagt im Hinterkopf: Warum erzählen die uns die Geschichte eigentlich? Die einzige Antwort, die die Leinwand hergibt, ist: Weil es so eine spannende Story ist. Weswegen es für einen Filmabend auch egal ist, ob man sich VALKYRIE oder STAR TREK ansieht.



Operation Walküre – Das Stauffenberg Attentat (USA/Deutschland 2008)
Originaltitel: Valkyrie
Regie: Bryan Singer
Drehbuch: Christopher McQuarrie, Nathan Alexander
Kamera: Newton Thomas Sigel
Musik: John Ottman
Produktion: United Artists
Darsteller: Tom Cruise, Kenneth Branagh, Bill Nighy, Tom Wilkinson, Carice van Houten, Thomas Kretschmann, Terence Stamp, Christian Berkel
FSK: 12

Die Screenshots stammen von der DVD (C) United Artist Production Finance LLC.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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