Reznor war mal die Zukunft. So to speak.

Uncategorized / 18. Juni 2009

Da bin ich ja nun letztens über dieses schöne Video gestolpert, in dem ein Marketingspezialist auf uramerikanischste Art und Weise einen kurzen Vortrag darüber hält, warum Trent Reznor (der Kopf der Nine Inch Nails) die Zukunft der Musikindustrie ist. Natürlich ist die Grundaussage, die hier in zwei Phrasen mantraartig wiederholt wird, völlig banal: Das Geheimrezept lautet „connect with fans“ und „reason to buy“. Man stellt also Kontakt zu den Leuten her und gibt ihnen einen Anlaß, Geld auszugeben.

Natürlich sind Reznors Marketingideen teilweise wirklich spannend – zum Beispiel die YEAR-ZERO-Kampagne, wo er USB-Sticks mit Teaser-Infos auf den Toiletten von Konzerträumen liegengelassen hat; die Infos verwiesen auf ein Netzwerk aus „Geheimwebsites“, die dann nach und nach das zugrundeliegende Paranoia-Konzept des Albums vertieften. Eine schöne Kampagne – die man natürlich nur starten kann, wenn man Trent Reznor ist und haufenweise Geld für USB-Sticks und schmissig designte Websites ausgeben kann. Der Vortragende beteuert, daß sein Konzept auf jede Größenordnung von Künstler übertragbar ist – aber eigentlich will er ja über bahnbrechende Wege reden, und nicht einfach darüber, daß man irgendwem irgendwas andrehen will.

Umso erheiternder ist es ja nun, daß Reznor unlängst angekündigt hat, daß er sich aus allen Social-Networking-Seiten zurückziehen will. Wo der obige Vortragende noch lobt, wie sehr sich Reznor mit den Fans über das Web 2.0 in Verbindung setzt, zeigt sich ja nun, daß Reznor das ganze Unterfangen eigentlich nur als Versuch gestartet hat, den er jetzt als gescheitert ansieht: „I will be tuning out of the social networking sites because at the end of the day it’s now doing more harm than good in the bigger picture and the experiment seems to have yielded a result. Idiots rule“. (Reznors ganzes Statement dazu: hier.) Offenbar nervt es Reznor, von manchen derangierten Fans mit hunderten von Nachrichten pro Tag zugebombt zu werden, aber noch viel mehr ärgert ihn, daß er Persönliches präsentiert und dafür von sogenannten Fans mit zigfachen niederträchtigen Haßtexten eingedeckt wird. Konsequenz also: Raus aus dem Netzwerk.

Ob Masnick, der nette Marketingspezialist, das auch in seinen Vortrag einbauen wird? Jetzt gerade hat Reznor ebenso angekündigt, daß er keine Liveshows mehr in Amerika spielen wird: „It just dawned on me that this is our last show ever in the United States. Don’t be sad. I’ll keep going. But I think I’m going to lose my … mind if I keep doing this, and I have to stop.“ Laune? Vielleicht. Das schöne an der Aktion ist doch eigentlich das: Trent Reznor selbst ist es total egal, ob er die „Zukunft der Musikindustrie“ ist oder nicht. Er macht, was er will. Ob das klug ist oder doof, bleibt sein Bier. Künstler sind halt Künstler, und Verkäufer sind Verkäufer, und während sich diese Fähigkeiten manchmal positiv überschneiden, ist es doch beruhigend zu wissen, daß ein Künstler eben primär als Künstler funktioniert – ohne bei jedem, Entschuldigung, Furz primär über seine Vermarktbarkeit und seinen Nutzen nachzudenken.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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