Uncategorized

Lee Hazlewood: Cake or Death (2006)

Streuselkuchen

Kuchen oder Tod? Das hängt irgendwie vom Kuchen ab. Lee Hazlewood mit seinem letzten Album CAKE OR DEATH.

„Lee Hazlewood? Hat der außer diesem Nancy-Sinatra-Song sonst noch was gemacht?“, will Mama Genzel – fürhin dank kritischem Viva-Konsum und ausführlicher Auseinandersetzung mit Sohnemanns Plattenschrank überdurchschnittlich gut informiert über das aktuelle und vergangene Musikgeschehen – wissen. „Ich kenn‘ da nur ‚These Boots Are Made For Walkin'“. Tun wir doch alle. Natürlich käme jetzt die Stelle, an der der Ahnung vortäuschende Musikrezensent die Groß- und Kleintaten des Musikers Lee Hazlewood aufzählt, seine Bedeutung für die Musikgeschichte und seine längst kanonisierten Qualitäten in schönen Worten zusammenfaßt. Musikrezensenten machen das gerne, weil sie ja immer unter Beweisnot stehen und der Allgemeinheit zeigen müssen, daß die Musik allein ihnen gehört, weil sie sich viel besser auskennen. Freilich kenne auch ich mich viel besser aus als der gesammelte Rest der Kritikerschar, aber in einem kurzen Anfall unbedingter Ehrlichkeit darf auch hier zugegeben werden, daß nicht nur Mama Genzel nur „These Boots“ kennt. Verklagt mich.

Lee Hazlewood ist alt und unheilbar an Krebs erkrankt. Vom vorliegenden Album CAKE OR DEATH sagt er selber, es sei sein letztes (sollte er sich irren, kann er ja noch ein allerletztes aufnehmen). Kann man das Alterswerk eines todkranken Mannes eigentlich kritisch beäugen? Sagt man da nicht einfach: „Hey, Lee, total schönes Alterswerk. Wir werden dich vermissen“ und klopft ihm dabei jovial auf die Schulter? Bei Johnny Cash ist uns das ja alles leichtgefallen, weil er sich im Alter noch zu ungeahnten Hochleistungen aufschwang.

Aber diese Kuchenplatte ist eine eher durchwachsene Angelegenheit. Irgendwie nett, irgendwie ganz cool, irgendwie überhaupt nicht cool, ein bißchen zu süßlich und ein bißchen zu heterogen. Irgendwie dann doch schön und gut, und eigentlich gar nicht. Es fängt schon richtig schlimm an, mit „Nothing“, einem Easy-Listening-Schaum, zu dem Lula, eine Berliner Frau mit naiver Kinderstimme, auf deutsch flüstert. Empfohlen wurde Hazlewood dieses stimmliche Zuckergebäck von Bela B., der für sein Soloalbum einen Track mit dem alten Haudegen aufnahm, der auch hier zu finden ist: „The First Song of the Day“. Eine richtig lässige Surf-und-Western-Schnurre, wenn man sich Bela B. dabei einmal wegdenkt. Der klingt nämlich nach ganz schmierigem Zuhälter.

Die Zusammenstellung der Songs macht den Eindruck, als hätte das meiste davon jahrelang als angebrochene Skizze in Hazlewoods Schublade geruht. Ganz wenig ist wirklich zu Ende komponiert, nirgendwo bekommt man das Gefühl, als hätte jemand daran gefeilt. Tommy Parsons singt einen Song namens „She’s Gonna Break Some Heart Tonight“, als gäb’s einen Karaoke-Wettbewerb mit einer x-beliebigen Sixties-Schnulze zu gewinnen. Lees Walzer „Fred Freud“ mit seinen vermeintlich witzigen Klassik-Einsprengseln ist schrecklich albern, seine sarkastischen Amerika-Attacken „Baghdad Knights“, „Anthem“ und „White People Thing“ wären allesamt gerne richtig böse Sticheleien, lassen die Bemühung aber nie hinter sich. Wenigstens funktioniert das letztgenannte als lässig an die Wand gelehnter Blues, der mit den Händen in den Hosentaschen keine Miene verzieht.

Andere Songs sind gelungener: Die Überarbeitung von „It’s Nothing To Me“, einer alten Country-Schindmäre, ist üppig arrangiert und mit geschmeidiger Klasse vorgetragen. „Sacrifice“ knarzt melodiös und doch ganz unsentimental, die Neufassung von „Boots“ tänzelt leichtfüßig mit Jazzelementen und ganz schwerem Twang (Duane Eddy stachelt wieder die Rebellen an). Hazlewoods Stimme ist überall ein Plus: Singen kann er nicht, aber der lakonische Bariton nimmt vielen Songs den potentiellen Kitsch. Ganz hinten ist „The Old Man“ zu finden, in dem Lee fragt, ob es dort, wo er hingehen wird, auch schöne Songs zu singen geben wird.

Die CD hat einen gewissen verschmitzten Charme – etwa, wenn Hazlewoods achtjährige Enkelin den Nancy-Sinatra-Song „Some Velvet Morning“ mit einer Inbrunst vorträgt, die nur Großeltern bezaubernd finden können. Mit trockenem Humor kommentiert Hazlewood seine Songs im Booklet und schafft es dann doch irgendwie, uns immer mal wieder ein Grinsen abzuringen. Vollständig gelungen ist CAKE OR DEATH nicht – zu zerfahren und skizzenartig bleiben die Songs – aber blamiert hat sich Hazlewood auch nicht. Es ist wohl eher ein Streuselkuchen, und den kann man ja auch noch dem Tod vorziehen. Und dann woanders wieder Ahnung zeigen.

Dieser Text erschien zuerst am 3.1.2007 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

—————–
4 8 15 16 23 42

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    Comments are closed.

    0 %