Papa Roach: The Paramour Sessions (2006)

Uncategorized / 4. Oktober 2006

Fuß auf dem Gaspedal

Papa Roach zelebrieren den Rock’n’Roll auf ihrem neuen Album THE PARAMOUR SESSIONS

Der Fuß immer auf dem Gaspedal, die Lautstärke brav auf 11 gedreht und die Haltung zur quintessentiellen Rock’n’Roll-Attitüde destilliert: Das sind Papa Roach heute. Schon während des Niederbruchs des übersättigten NuMetal-Markts, zu deren prominentesten Vertretern sie einst gehörten, hat die Gruppe Kurskorrektur weg vom Rap, hin zum straighten Rock’n’Roll-Punk eingeschlagen, aber ihr dazugehöriges Album LOVEHATETRAGEDY ging unter. Aber wenig später waren sie wieder da, mit GETTING AWAY WITH MURDER und ganz zeitloser Rebellion, und zementieren denselben Gestus jetzt mit ihrem neuen Album THE PARAMOUR SESSIONS zur Selbstverständlichkeit.

Daß der jetzige Weg weiter verfolgt werden würde, ließ sich schon daran erkennen, daß erneut Einmal-drüber-und-dann-klingt’s-nach-Hit-Produzent Howard Benson verpflichtet wurde. Benson arbeitet auch auf THE PARAMOUR SESSIONS – das Album wurde benannt nach der zum Studio umfunktionierten Villa, in der die Aufnahmen entstanden – mit schwerem Gerät: Es geht jede Gitarrenwand noch wuchtiger, jeder Refrain noch fetter, bis auch die kleinen Nummern nach dem größten Stadion klingen. Das ProTools glüht, der Kompressor ist mit der Nadel am Anschlag, und der einzige Grund, warum dieses aus den Lautsprechern blutende Monster seine Individualität bewahrt, sind die Songs selbst.

Gleich die erste Nummer – nicht zufällig auch die erste Single – ist eine Frechheit. Im positiven Sinne. „You better be ready / Put your pedal to the metal,“ croont Sänger Jacoby und führt uns in einen Refrain, der die Konzerthallen zum Kochen bringen wird. „It works, right?“ grinste Jacoby trocken im Interview. Natürlich tut es das, ebenso wie jeder folgende Song: Papa Roach schaffen es, immer noch ein Stückchen mehr Energie zu geben, und sie lassen nie locker. Jeder Song ist die perfekte, weil völlig kontextentleerte, Rock’n’Roll-Auflehnung: „It is time for annihilation / It’s time to be a criminal / No time for hesitation / Time to be an animal,“ fegt „Crash“ jegliche Reflektion weg.

„The Paramour Session“ ist Jerry Lee Lewis, der sein Piano anzündet. Es ist James Dean, der seinen Wagen über die Klippe fährt. Das Album ist die Zelebrierung eben jenes Versprechens, das die Rockmusik immer gibt und doch nur höchstens für die Länge eines Albums einhalten kann: Das der ungezügelten Freiheit. Es suggeriert uns die wilde Romantik der Anarchie („Days come and go / But my feelings for you are forever“), den befreienden Ausbruch aus dem Alltäglichen. Natürlich bleibt nach einer Stunde alles gleich: Papa Roach stürzen nichts um. Zu vertraut ist die Haltung, zu sicher die Produktion, zu gelöst der Kontext.

Was bleibt? Eine Stunde grandioser Rock’n’Roll. Eine Stunde Aufbegehren und Katharsis. Die Schaben haben ihren Weg gefunden und rasen ihn mit halsbrecherischer Geschwindigkeit und mehr Selbstbewußtsein denn je entlang. Wir lassen uns gerne mitnehmen.

Dieser Text erschien zuerst am 4.10.2006 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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