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Ilsa – Die Tigerin (1977)

Der Keller!

Nicht nur in Italien werden schlechte Filme gemacht. Und nicht nur dort werden haarsträubende Exploitation-Streifen heruntergekurbelt, die an die niederen Instinkte von sensationshungrigen und voyeuristisch veranlagten Zusehern (sprich: Menschen wie mir) appelieren. Freilich hat Italien die Nase weit vorne, was den Sumpf des Bahnhofskinos angeht – aber zum Beispiel Kanada kann da auch mit einigen Hämmern aufwarten. Uneingeweihten darf ich den Schlonzfilm DEATH WEEKEND (bei uns PARTY DES GRAUENS) „empfehlen“ (ohne Geld-zurück-Garantie, versteht sich), abgebrühtere Zeitgenossen dürfen sich gerne mal ILSA, TIGRESS OF SIBERIA ansehen.

Nun ist besagter Streifen nun schon der dritte Film (oder der vierte, sollte man Jess Francos Beitrag zur Filmreihe mitzählen) der ILSA-Reihe, in der eine sadistische, sexbesessene Gefängnisleiterin abwechselnd Gefangene foltert und sich dann irgendwelche Männer ins Schlafgemach holt, an denen sie sich im Falle eines Unwetters ängstlich festklammern kann. Oder so ähnlich. Da ich die anderen Elaborate zum Thema Emanzipation (darunter der Bad-Taste-Klassiker ILSA, SHE-WOLF OF THE SS) nicht gesehen habe, muß ich vom Einzelnen ins Allgemeine schließen und gehe einfach mal davon aus, daß die vorangegangenen Filme mindestens ebenso blöde und bescheuert waren wie dieser hier, und möglicherweise noch ein klein wenig geschmackloser.

Aber Kunst muß ja nicht immer schön sein! Reisen wir also zu Ilsa ins Gulag 14, ein stalinistisches Gefangenenlager in Sibirien, wo Dissidenten, Umstürzlern und anderem Gesocks gezeigt wird, wo der Hammer hängt. Und das schon zu Anfang des Films, wo ein sehr großes solches Exemplar den Kopf eines Flüchtlings empfindsam verbeult. Weil Ilsa weiß, daß Mitarbeitermotivation das A und O jedes stalinistischen Gefangenenlagers ist, denkt sie sich Tag und Nacht neue Löwen-und-Christen-Spiele aus: Gefangene an den Tiger verfüttern! Arbeitsscheue durchs Eiswasser schleifen! Streitigkeiten per Armdrücken beseitigen (um den Schauwert letzterer Tätigkeit zu steigern, sind neben den Armen rotierende Kettensägen angebracht – jetzt wissen wir, warum Stallones OVER THE TOP so langweilig war)! Nachts schleppt sie immer zwei ihrer Wachen in die Privatgemächer, wo die dann Überstunden schieben müssen. Fairerweise nimmt sie aber jeden Abend andere Kerle mit, damit die Dienstzeiten gleichmäßig verteilt bleiben.

Nach schon 45 Minuten ereilt uns die Nachricht, daß Stalins Regime beendet ist. Gefangene und Wärter bringen sich gegenseitig um, Ilsa flüchtet, das Lager brennt ab. Der inhärente Symbolismus dieser Szenen ist sozusagen augenöffnend. Und schon befinden wir uns in Montreal, 24 Jahre später, wo Ilsa jetzt ein strukturell ähnlich konzipiertes Bordell leitet. Ihr und ihrem Lieblingswächter sieht man die vergangene Zeit kaum an, so glücklich sind sie bei ihrer Arbeit. Prompt taucht der unbeugsame Held auf, der seinerzeit das Lager überlebte und bitterliche Rache geschworen hat. Freilich sucht er gar nicht nach Ilsa, sondern begleitet seine Freunde zum russisch-kanadischen Kultur- (und Flüssigkeits-)Austausch. Beim Herumsitzen im Wartezimmer wird er von Ilsa erspäht und sofort einem brillianten Experiment unterzogen, bei dem Ilschen zusammen mit einem Wissenschaftler per Computer den schlimmsten (unterbewußten) Alptraum eines Menschen ermittelt und diesen dann als virtuelles Kasperltheater inszeniert. (Eine Metaebene ist wohl nicht intendiert.)

Machen wir’s kurz: Die russische Botschaft schickt einen Haufen weißer Ninja-Krieger vorbei, die den armen Helden in letzter Sekunde vor der Kastration durch einen Küchenquirl retten. Ilsa flüchtet per Schneemobil ins Eismeer, wo sie, hihi, jämmerlich erfrieren wird. Die Welt ist gerettet, die Bordelle Kanadas sind sicher.

How do these movies get made …?

Oh, und produziert haben den Tiefflug übrigens Roger Corman und Ivan Reitman. Jaja!

Ilsa – Die Tigerin (Kanada 1977)
Originaltitel: Ilsa, Tigress of Siberia
Regie: Jean LaFleur
Darsteller: Dyanne Thorne, Michel-René Labelle
Länge: 86 Minuten

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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