Interview: Waldemar Sorychta (Grip Inc.)

Uncategorized / 13. März 2004

Griffbereit

Die Metal-Formation Grip Inc. kehrt am 15. März mit ihrem besten Album zurück: INCORPORATED. Grund genug für ein Gespräch mit Gitarrist und Produzent Waldemar Sorychta.

Mitte der 90er Jahre verließ das Schlagzeugübertalent Dave Lombardo seine Band Slayer, um Grip Inc. zu gründen. Nach drei kompromisslosen, beeindruckenden Alben wurde es aber zunächst still um die Formation um Lombardo, Sänger Gus Chambers und Gitarrist und Mastermind Waldemar Sorychta. Vier Jahre später erscheint INCORPORATED – und damit wohl die gelungenste Platte der Metalkombo, die sich ambitionierter und kraftvoller zeigt denn je. Nach begeistertem Anhören der Promo-CD (siehe unsere CD-Kritik) wird es höchste Zeit für ein Telefoninterview mit Waldemar, der auch alle vier Scheiben der Gruppe im Alleingang produziert hat.

Waldemar ist „der einzige Part, der aus der deutschen Ecke kommt“ – genaugenommen aus Dortmund – und entpuppt sich als entspannter, freundlicher Gesprächspartner, der mit größter Leidenschaft über die Musik seiner Band redet. In der kommenden halben Stunde sollte er mir nicht nur Hintergründiges über das neue Album und dessen Songs erzählen, sondern auch Erstaunliches über seinen vermeintlichen Verbrecherstatus in den USA.

Du sagst in den Liner Notes der Promo-CD, dass der Moment für ein neues Album einfach lange Zeit irgendwie nicht da war, der sei erst jetzt gekommen nach vier Jahren. Kannst du da etwas Näheres drüber sagen?

Es ist so: Wenn man eine bestimmte Sache jahrelang macht, mit den selben Leuten, und das ist nicht nur eine Angelegenheit, die ist zwei Stunden am Tag und dann ist es gut … Musik ist etwas, das sehr viel – vor allem Musik, die wir machen – mit Emotion zu tun hat. Nach einer Zeit verflacht das so ein bisschen, man bekommt so eine bestimmte Art von Routine. Und dann hat man zwei Wege zu gehen – entweder sagt man: Okay, das ist unser Beruf, wir machen das halt weiter, egal, ob wir jetzt da unsere Emotionen reinpacken oder nicht – wir können weiterhin darüber so reden, als ob wir so tun würden – aber wir machen erst mal konkret unsere Arbeit und damit hat sich’s … oder in unserem Fall war’s so, dass man schon spürte, dass irgendwo die Bereitschaft, alles – also wirklich alles – dafür zu geben, nicht vorhanden war, zumindest mal nicht so, wie man sich das gerade vorstellt.

Wir hätten vor zwei, vor drei Jahren eine wirklich gute Platte aufnehmen können, die meisten Lieder wären zu diesem Zeitpunkt vermutlich auch schon dagewesen, nur – das Herz hätte da gefehlt. Und das ist eben das Wichtigste bei dieser Art von Musik. Wenn die Emotion nicht da ist, und die Bereitschaft, alles zu geben, wenn dieser Hunger, dieses Feuer nicht mehr da ist, dann hat die Platte irgendetwas verloren, und zwar das Wichtigste. Und deswegen haben wir dann diese Entscheidung getroffen, beziehungsweise erst mal gesagt, lasst uns erst mal abwarten – wir haben nie gesagt, dass wir uns jetzt auflösen wollten oder nie mehr etwas miteinander zu tun haben wollen, sondern die Antwort war immer so: Wenn wir eine Platte machen, dann aber richtig. Also für halbe Platten, oder für Platten, die irgendwie möchtegern-emotional sind, aber es letzten Endes nicht sind, haben wir keine Lust. Und ich hab‘ schon überhaupt keine Lust, so’n Scheiß zu machen.

Deshalb hat man jetzt die Sache ein bisschen zur Seite gelegt, jeder hat so seine Sachen gemacht, bis man schließlich merkte, so nach drei, vier Jahren, dass es wieder kribbelt und dass man immer öfter wieder den Gedanken hatte: „Komm, wir müssen jetzt was machen“. Dann haben wir uns immer wieder zusammengeschlossen und darüber ernsthaft gesprochen und haben dann angefangen, diese ganze Sache vorzubereiten. Und das Resultat ist dann letztendlich so gewesen, dass in dem Moment, wo wir wieder alle aufeinandergekommen sind, um die Platte aufzunehmen und vorzubereiten, da sprühten wir alle vor Energie und vor Lust, die Platte aufzunehmen. Wenn man uns im Studio gesehen hätte, mit welcher Lust und mit welcher Energie wir zu Werke gehen, dann hätte man das nicht für möglich gehalten, dass eine Band, die seit zehn Jahren zusammen Musik macht – oder mittlerweile nach über zehn Jahren – wieder mit so einem Engagement zu Werke gehen kann. Also war die Pause verdammt, verdammt wichtig.

Ich finde das eine tolle Einstellung, und man hört es der Platte an – das Teil hat wirklich Feuer. Man hört, ihr habt wahnsinnig viel Spielfreude da drauf und ich finde sie auch sehr viel ambitionierter als die Platten davor. Ihr habt wahnsinnig viele Ideen gesammelt und einbauen wollen – also, du sagst, schade, dass man euch nicht gesehen hat, aber ich finde, man hört es der Platte an.

Das ist ja auch das Wichtigste und letzten Endes auch das, was ich gesagt habe: Vor zwei, drei Jahren fehlte dann wahrscheinlich das Wichtigste, das Herz. Denn bei dieser Musik, die wir machen, ist das letztendlich – wirklich, du musst nicht alles perfekt einspielen, wenn aber du das Feuer da drin hast, und dieser Wille ungebrochen ist: „Das ist das, was wir wirklich machen wollen“, dann hört man das auch auf jeden Fall heraus.

Eine kleine Sache, die ich noch dazugeben muss – eine zweite Sache, die jetzt nicht unbedingt dafür verantwortlich war, dass es so lange Zeit gedauert hat, aber die uns zum Schluß unsere Planung sehr kaputt gemacht hat, war die Tatsache, dass ich aus den USA ausgewiesen worden bin.

Tatsächlich?

Unser Hauptsitz zum Proben war immer Los Angeles, bei Dave, und bei dieser ganzen Vorbereitung, wo wir anfangen wollten Anfang letzten Jahres, hat man mir die Anreise verweigert und hat mich auch mit Handschellen gefesselt und hat mich behandelt, als sei ich minderwertiger als ein Hund. Der Grund für dieses ganze Theater war, dass seit der neuen Regierung die Gesetzte sehr geschärft worden sind – man nimmt immer als Vorwand Terrorismus, dabei frage ich mich, in welchem Fall geht das dann in meine Richtung? Man hat angeblich in meinen Papieren irgendwas herausgefunden, dass ich vor sieben Jahren – vor sieben Jahren! – mich angeblich einen Tag zu lange in den USA aufgehalten habe. A) stimmte die Rechnung nicht, B) war die Sache, dass das sowieso geplant worden ist von meinem Management, das aus den USA ist – und auf die Frage, ob ich mal mein Management sprechen könnte, hätte ich beinahe eine aufs Maul bekommen und man hat mir mit Gefängnis für mehrere Tage gedroht, und erst dann habe ich verstanden, wie wenig – wie „nichts“ – man quasi bedeutet, wenn eine Macht sich auf einmal sagt: „Nein, solche Leute wollen wir hier nicht“.

Das ist ja absolut unglaublich.

Das ist ja unglaublich. Der Punkt war halt, dass die dadurch unsere Pläne alle zunichte gemacht haben – wir mußten von vorne neu planen, einen neuen Plan erstellen, wie wir jetzt proben. Wir haben einen zweiten Proberaum in Deutschland, in Dortmund eben – das Gute ist, dass Gus seit mehreren Jahren eben auch schon in Dortmund wohnt. Die ganze Vorbereitung zwischen mir und Gus lief dann auch wunderbar, nur mit diesem ganzen Organisatorischen, wie man das jetzt mit Dave macht, das hat uns sehr viel Schwierigkeiten gemacht. Wir mussten komplett unsere Pläne austauschen und neu umarrangieren, was natürlich nicht so einfach war. Und dann auch der ganze Frust: Man muß sich ja auch noch vorstellen, dass ich in den ganzen 14 Jahren Aufenthalt in den USA – es gab Jahre, wo ich von 12 Monaten 10 dort drüben war – nicht einmal einen Strafzettel fürs Falschparken bekommen habe, und dann auf einmal so was. Man hat das Gefühl: „Ich werde gleich hier ausgepeitscht, weil sie mir jetzt irgendwo ein Attentat anhängen wollen.“

Wahnsinn. Ist das jetzt geklärt oder darfst du im Moment wirklich nicht nach Amerika?

Nein, ich darf nicht. Ich bin sogar, soviel ich weiß, jetzt notiert als Verbrecher da drüben.

Das gibt’s ja nicht. Wahnsinn.

Die Geschichte ist zu lang, um jetzt auf jedes Detail einzugehen, aber ich glaube, man kann sich ein bisschen vorstellen, dass das auch gerade in so einer Situation nicht unbedingt hilfreich für uns war.

Ich glaube, es zeichnet auch ein ganz klares Bild vom politischen Klima. Ist davon irgendwas in das Album eingeflossen, habt ihr das in irgendwelche Songs reingepackt?

Na gut, die letzte, also die finale Entstehungsphase des Albums – also was ich damit meine, ist die komplette finale Vorproduktion, wo es wirklich um die Details ging und so weiter – die ist in den Zeiten entstanden, wo wir schon kurz vorm Krieg und dann im Krieg waren. Ich sage bewusst „wir“, denn nur weil eine Nation es führt, betrifft es uns am Ende alle. Nur weil irgendein Unheil eine Straße weiter ist, heißt das nicht, dass das übermorgen nicht hier sein kann. Und der Punkt ist, dass da sehr viele Sachen gelogen und falsch gelaufen sind. Und es sind sehr viele Sachen, die natürlich uns beeinflusst haben während der Vorproduktion und die Sache greift dann letztendlich auch noch mit ein.

Es ist ja so, dass in diesen Liner Notes darauf hingewiesen wird, dass ihr in den Texten – z.B. von dem Song „The Answer“ – sozialkritische Themen aufgreift. Das spielt da sicher auch ein bisschen mit rein, nehme ich an?

Sogar sehr viel. Also, wenn man sich das jetzt genauestens durchliest – viele Sachen haben auch sehr viel Aussage zwischen den Zeilen. Alleine der Titel, „Built to Resist“, oder die Zeile von „The Answer“ – „Battle of the Fathers“ – ich glaube, man kann das so sehen, wie man will, aber letztendlich ist für uns die Sache sehr klar, was damit ja auch gemeint ist. Die Sache ist dann nur, dass wir die Sachen dann nicht gerne beim Namen nennen und dann sagen: „Der und der hat was falsch gemacht“. Wir wollen uns jetzt auch nicht darstellen als diejenigen, die über alles Bescheid wüßten und das Recht hätten, Leuten zu sagen, was denn letztendlich schlecht oder besser wäre. Das muß man schon selbst entscheiden. Wir schreiben und beschreiben halt unsere Gefühle da drin, und so, dass man die Aussage zwischen den Zeilen sehr deutlich hat, aber auf den ersten Blick nicht immer alles so auffällt, wie es letztendlich gemeint ist.

Das macht die Sache auch interessanter, wenn man sich ein bisschen damit auseinandersetzen kann.

Ja, wenn man die Tatsachen jetzt noch nimmt – was mir passiert ist, was uns letztendlich am eigenen Leibe getroffen hat – dann fallen vielleicht manche Zeilen auch leichter zu verstehen, als wenn man es nicht wüßte.

Was ist mit dem Albumtitel an sich, INCORPORATED? Steckt da etwas Spezielles dahinter oder ist das nur die Variation vom Bandnamen?

Siehst du, eben nicht – das war auch das, was die meisten am Anfang dachten. Also, alles, was wir machen, hat schon irgendwo einen Sinn, und nichts ist da dem Zufall überlassen. Viele Sachen entstehen sehr, sehr spontan. Nur: Spontan ist immer noch etwas anderes als zufällig. „Incorporated“, damit wollten wir sagen – daher auch das Cover des Albums, mit diesen Zahnrädern – damit wollte ich besonders aufmerksam machen, dass eine große Maschinerie, die aus 20 Millionen Zahnrädern besteht, letztendlich keine Funktion hat und Schrott ist, wenn nur ein Zahnrad kaputt ist oder selbst nur ein Zahn von einem Zahnrad kaputt ist. Was wieder zum Ausdruck bringen soll, dass jedes Teil genauso wichtig für diese Gesamtheit ist, und nicht nur das Komplette – man soll das Komplette sehen, das Komplette hat letztendlich die Funktion. Doch letztendlich verantwortlich für die Funktion ist jedes kleinste Zahnrad. Und das soll dieses „Incorporated“ noch verstärken, um zu zeigen – nach so vielen Jahren: Wir sind wieder vereint, wir sind wieder als eins da. Und ohne diese Kleinigkeiten, die auf dem Weg da waren, wäre diese Platte nicht so geworden, wie sie jetzt ist.

Interessant. Der Song, der mir total aufgefallen ist auf dem Album, beim ersten Durchhören schon, ist „Built to Resist“ – er ist sehr orchestral, klingt teilweise kammermusikalisch. Ihr habt das auf ein paar anderen Songs auch teilweise, z.B. „Privilege“ hat ja auch die Orchestersounds mit drin. Wollt ihr mehr in der Richtung machen in Zukunft?

Wir haben auf dieser Platte besonders Wert drauf gelegt, dass alles echt ist, dass alles live gespielt ist – und die Chöre, die Stimmen, die hohen und tiefen Stimmen, das ist alles echt gesungen, auch Sitar und alles andere. Wir haben mehrere Gastmusiker auf der Platte, die zum Teil fünf, zum Teil zwei Tage gespielt haben, je nach Part und so weiter. Und gerade bei den Stücken, die du gerade genannt hast, haben wir als Gast Eicca von Apocalyptica, der Cellos gespielt hat. Die ganze Geschichte ist ja so, dass Dave vor kurzem – also zumindest zu dem Zeitpunkt, wo wir in der Vorbereitung waren – auf einer Platte von Apocalyptica auch als Schlagzeuger gespielt hat. Da hat’s sofort geklungen, da habe ich in meiner Kiste gegraben und gesagt: „Guck‘ mal, ich hab‘ hier damals ein Stück nur für Cellos geschrieben“, und da uns das sofort allen gefiel, war das dann letztendlich keine Frage – das war in nullkommanichts entschieden. Und das haben wir dann letztendlich auch so gemacht.

Die Infos stehen leider bei unserer Promo-CD gar nicht dabei.

Das ist allerdings sehr, sehr schade. Der Punkt ist, dass ich ein Stück wie „Built to Resist“ nie auf die Platte genommen hätte, wenn das jetzt nur mit Keyboards gemacht worden wäre, denn das Stück ist extra für Cellos geschrieben und es wäre einfach gnadenlos schlecht, wenn man nur Samples genommen hätte. Eine Musik lebt eben davon, dass sie Menschen spielen. Und vor allem, wenn die Musik sehr viele Gefühle beinhaltet und keine flache Scheiße ist – ich sag’s mal so.

Wie würdest du generell sagen, wie das Album im Vergleich zu den Vorgängern aussieht?

Also ich hab’s meist … Während der Produktion und nachdem die Platte fertig war, konnte ich sie Leuten schon vorspielen, aber vorher, wo ich das noch nicht konnte, hab‘ ich meistens den Leuten so einen Satz gesagt: „Nimm die drei Platten zusammen und such‘ dir dann die besten Stücke zusammen, dann denke ich mal, wird die Platte sie noch schlagen.“

Reden wir mal generell über die Band. Wie würdest du den Sound von Grip Inc. beschreiben?

Super-Hyper-Hypnotized-Mega-Metal-Geil.

Okay … also es gibt noch keine Sektion im Plattenladen, die so heißt.

Also, unsere Musik ist auch immer sehr persönlich. Ich muss auch sowas erwähnen, dass ich z.B. sehr wenig Musik höre, aber dafür sehr viel Musik mache. Ich bin null, aber absolut null beeinflusst von Sachen, die gerade in sind. Du kannst mir jetzt Bands vorspielen oder nachfragen, „das ist gerade in und das ist dies“ – interessiert mich einfach nicht. Meine Inspiration ist einfach das Leben. Wie ich nach Hause komme, mit welchen Emotionen, mit welchen Gefühlen ich mich da dran setze. Und ich will mich da in der Musik nicht selbst belügen und irgendwelche Sachen machen, die ich selbst den nächsten Tag nicht mehr hören kann, sondern die einfach vom Inneren, vom tiefsten Inneren her kommen. Deswegen beinhaltet diese Musik sehr viele emotionelle Momente, aber auch sehr viele Sachen, die aus anderen Bereichen sind – da ich grundsätzlich Musik liebe und mir keine Grenzen stelle. Wenn wir jetzt ein Metal-Publikum erreichen wollen, muss ich nur diese Art von Liedern machen. Diese Barriere haben wir uns als Band nie gesetzt, und das war auch immer das Gute dabei: Deswegen lieben wir das, was wir machen, da wir vom Charakter her auch drei irgendwo auf der einen Seite verschiedene Leute sind, doch letztendlich, in dem Moment, wo wir aufeinander zusammenprallen und die Musik machen – das bringt uns immer zu dieser starken Einheit. Incorporated halt.

Was mir am Sound sehr gefällt, ist die Verbindung von traditionellen Sounds mit neuen Sounds, und eben auch Klänge, die man im Metalbereich nicht hört.

Das ist jetzt auch keine Art von Sich-beweisen-wollen oder irgendetwas auszuprobieren, denn in jedem Bereich von diesen Klängen existieren bei mir mehrere Arten von Liedern, wo ich vielleicht sogar ganze Alben davon herausbringen könnte – nur, der Punkt ist ja nicht … die Musik wird ja nicht besser, wenn ich mit jedem Lied, was ich irgendwo geschrieben habe in meinem Leben, sofort in die Öffentlichkeit rennen will. Das ist nicht die Hauptsache, warum Musik Musik ist. In dem Moment, wo wir als Einheit mit Grip da sind und diese Stücke halt vortragen, ist das wirklich die beste Form. Du kennst bestimmt auch viele Sachen, die vom Orchester gespielt werden, viele Rockklassiker. Je nach Orchester, je nach Arrangement klingen die unterschiedlich. Einmal gefallen sie dir, einmal nicht. Manchmal verfehlen sie den Sinn des Liedes, manchmal treffen sie den auf den Punkt – obwohl das letztendlich die gleichen Melodien sind. Deshalb: In der Musik ist es wichtig, sie mit Leuten zu teilen, die dann das gleiche mit dieser Musik auch ausdrücken wollen.

Stört es dich manchmal, dass Grip Inc. oft als „die Band von Dave Lombardo“ gilt?

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde: „Nein, das stört mich überhaupt nicht“. Aber es ist jetzt auch nicht so, dass mir das total Kopfzerbrechen bereitet. Denn für mich selbst weiß ich, was die Band ist und was sie tut – für die Öffentlichkeit ist es manchmal besser, wenn die Band durch einen Namen mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht, als wenn sie das gar nicht tun sollte. Es wäre viel zu schade für diese Art Musik, einfach nicht beachtet zu werden. Natürlich ist es wünschenswert, dass die Leute das nicht immer so flach sehen und sich ein bisschen damit auseinandersetzen.

Du hast alle vier Alben der Band produziert. Habt ihr euch mal überlegt, dass ihr einen Produzenten von außerhalb reinholt, um andere Ergebnisse zu erzielen?

Ein einziges Mal haben wir darüber gesprochen, das ist verdammt viele Jahre her. Der Grund war damals tatsächlich – nicht von meiner Seite – dass irgendwo zumindest mal die Idee da war, was anderes auszuprobieren. Was nicht besonders außergewöhnlich ist, sondern bei jeder Band gang und gebe ist. Der Punkt ist nur, dass man schwer den Richtigen finden konnte, vor allem, da ich schon von vornherein das komplette Bild im Kopf habe. Es geht ja nicht darum, dass ich ins Studio gehe und dann noch zig Sachen ausprobieren will oder mir bei dieser oder jener Sache unsicher bin, sondern, dass man schon von vornherein mit der konkreten Idee ins Studio geht. Und daher kann dann so eine Sache zweideutig ausgehen: Man kann Glück haben und es funktioniert, zumindest mal als Co-Produzent, aber wenn man Pech hat, entsteht dann so eine Barriere, dass dann ein Co-Produzent eine ganz andere Idee hat als die, die ich habe – und ich glaube, da ist keinem dann gedient. Da hat man mehr Stress und mehr Streit, als dass man wirklich die Musik vorwärtsbringt. Und da hat man dann auch bei den anderen schnell gemerkt, dass es eigentlich keine Sache ist, über die wir uns den Kopf zerbrechen.

Beeinflussen die anderen Bands, die du produzierst – die Liste ist ja sehr lang – das, was du in Grip machst?

Nein. Definitiv nein. Man hat ständig mit neuen Leuten, mit denen man arbeitet, neue Erfahrungen, da sind viele verschiedene Kulturen – ich habe, glaube ich, mit so ziemlich allen europäischen Ländern gearbeitet, und da ist natürlich die Art und Weise, wie man miteinander spricht und umgeht, deutlich unterschiedlich. Der Punkt ist aber, dass Musik etwas total Internationales ist, und da gibt es nur wirklich das, was man innen drin fühlt. Und da ist dann egal, ob das finnisch oder schottisch oder auch mexikanisch ist – Musik ist der Ausdruck einer Persönlichkeit, und daher versuche ich viel von dem, was ich in der Musik sehe, auch den anderen Bands weiterzugeben und die auch immer dazu zu bewegen, dass es viel wichtiger ist, eine glaubhafte und ehrliche Platte aufzunehmen, als eine Scheiß-Platte aufzunehmen, die vielleicht am Ende ein paar Stück mehr verkauft, aber die du vielleicht in zehn Jahren nicht mehr hören kannst. Und am Ende wirst du davon mehr kaputtgehen, als wenn du einfach dir selbst ehrlich bleibst.

Gibt es irgendwelche Bands oder Musiker, die du gerne produzieren würdest oder mit denen du zusammenarbeiten möchtest?

Die Musiker, vor denen ich sehr, sehr großen Respekt habe, sind meist Leute, denen ich auf keinster Art und Weise zutrauen würde, dass die überhaupt einen Produzent brauchen. Die Leute, die ich irgendwo sehr respektiere, sind auch meist Leute, die sehr eigensinnig quasi in dieser Sache sind und die auch von vorne bis hinten ganz genau wissen, was sie wollen. Da wäre es sicher mal ganz interessant, etwas auf die Beine zu stellen – aber hey, die Band ist nichts anderes als das (lacht).

Schön langsam nähert sich das Interview dem Ende. Waldemar erzählt mir noch, dass zukünftige Tourneepläne noch nicht konkret sind, hofft aber, bald durch die Musikhütten der Welt ziehen zu können. Auf eine fehlende Grip-Homepage angesprochen, zeigt er sich überrascht („Du bist der erste, der das fragt“), verspricht aber Besserung, damit die Gruppe auch wieder Internet-Präsenz zeigt. Ich bedanke mich bei Waldemar für ein über 30-minütiges, interessantes Gespräch, verabschiede mich und wärme meine Finger auf, um das Interview von der Minidisc zu Papier zu bringen.

Dieses Interview erschien zuerst am 13. März 2004 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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