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HILFE – DIE VERWANDTEN KOMMEN – Ein echter Gammel-Bammel-Dingeding

Was haben die folgenden Dinge gemeinsam: Ein Hammer, ein Aktenordner, ein Staubwedel, eine defekte Parkuhr, ein offener Luftpolsterumschlag, eine schwarze Krawatte, drei Dutzend Eier, das Anlageformular N bei der Einkommenssteuererklärung, ein Laternenpfahl, die späten Texte von Thomas Bernhard, vier Staubsaugerbeutel, eine Baustelle, ein Eimer Sand und ein Inkassoverfahren? Völlig richtig: Sie sind allesamt lustiger als der Film HILFE – DIE VERWANDTEN KOMMEN.

Das wäre nicht gar so schlimm, wenn es sich nicht um eine Komödie handeln würde – zumindest der Intention nach. Dabei liegen die Erwartungen ja gar nicht unendlich hoch, wenn ein Film von Franz Josef Gottlieb inszeniert wurde – demselben Tausendsassa, der kleinprächtiges Material wie WENN DIE TOLLEN TANTEN KOMMEN, HURRA – DIE SCHWEDINNEN SIND DA, ZÄRTLICHE CHAOTEN, DAS HAUT DEN STÄRKSTEN ZWILLING UM sowie mehrere Folgen von EIN SCHLOSS AM WÖRTHERSEE auf dem cineastischen Kerbholz hat. Wie müde der Streifen HILFE – DIE VERWANDTEN KOMMEN ausfällt, erkennt man schon daran, daß diesmal überhaupt niemand zum Wörthersee fahren will.

Stattdessen suchen unsere zwei Protagonisten Ingrid (Uschi Glas) und Helmut (Horst Janson) eine Wohnung in einer Stadt, wo man offenbar nur bei älteren Damen hausen kann, die auch nur an verheiratete Paare vermieten. München vielleicht? Helmut versucht schon zu Beginn, einer Hauswirtin seine Cousine als Ehefrau unterzujubeln, aber das geht schief. Bei Frau Schwalbe (Erni Singerl) hat er mehr Glück, zumal er ja Absichten gegenüber seiner Ingrid hegt – dafür ist diese Wohnung aber unmöbliert, und beide haben kein Geld für eine Kompletteinrichtung. Sie planen, ihre verschiedenen Onkels um Bares anzubetteln, aber bevor sie es sich noch anders überlegen können, schickt ihr Kumpel Peter (Ilja Richter) auch schon heimlich die Telegramme ab. Die sind etwas mißverständlich formuliert, weshalb der wohnungssuchende Onkel Theo (Theo Lingen) sogleich mit kompletter Einrichtung anrückt und selber im Haus wohnen will. Außerdem rückt Onkel Beppo (Beppo Brem) an, der mit Theo spinnefeind ist, und Horsts Onkel (Eddie Arent) samt Tante und Cousine kommen auch – und weil Theo Peter für Ingrids Mann hält, während anderswo Helmuts Cousinchen für Helmuts Frau gehalten wird, entsteht originellerweise ein Verwechslungsreigen, wie ihn das deutsche Kino selten gesehen hat (sofern man die anderen 58472635 Verwechslungskomödien ignoriert, die sich über die Jahre angesammelt haben).

Man merkt es schon an der bemühten Zusammenfassung: Dieser Plot ist nicht künstlich konstruiert, er ist vollständig im Delirium zusammenfabuliert. Skript und Schauspieler sind permanent damit beschäftigt, ja niemanden auch nur ansatzweise zu Wort kommen zu lassen, weil ja sonst alle Mißverständnisse innerhalb weniger Sekunden aus dem Weg geräumt wären – also plappern alle Figuren wie unter Strom und purzeln beständig übereinander, damit die Story ja bitteschön aufrechterhalten werden kann.

Der Humor ist dabei, wie man es von einem deutschen Film dieses Baujahrs mit solcher Besetzung erwartet, vom absolut Feinsten. Da heißen die Figuren „Taube“, „Schwalbe“ und „Bussard“, Onkel Beppo nennt seine drei Hunde „Piff“, „Paff“ und „Puff“, und wenn gar nichts mehr hilft, darf Eddi Arent auf den Tisch hauen, woraufhin jedem das üppige Essen ins Gesicht fliegt. Beppo reist mit dem Fahrrad an und frohlockt, als er endlich eine „Tankstelle“ sieht: Ein Wirtshaus, in dem er flugs ein Bier zischen kann. Ilja Richters Figur arbeitet im Supermarkt und preist sich beständig den Kundinnen selber als „Sonderangebot“ an, bevor er ihnen hampelnd den „Gammel-Bammel-Dingeding“ vortanzt und dabei auf einer anderen Kundin landet. Schreckliche Terrorkinder unter Leitung von Tommi Ohrner lassen Farbstoffe in der Wohnung explodieren und sperren Menschen im Schrank ein. Und zu jeder Gelegenheit pustet Komponist Gerhard Heinz ins Orchester, als wär’s schon richtig spät auf dem Oktoberfest.

Die FSK-Freigabe von 6 Jahren sollte als Maximalgrenze verstanden werden.

Hilfe – die Verwandten kommen (Deutschland 1971)
Regie: F.J. Gottlieb (= Franz Josef Gottlieb)
Buch: J.Ch. Aurive
Kamera: Ernst Wild
Musik: Gerhard Heinz
Darsteller: Uschi Glas, Horst Janson, Theo Lingen, Monika John, Ilja Richter, Beppo Brem, Erni Singerl, Ursula Reit, Thomas Ohrner, Claudia Höll, Eddi Arent

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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