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BRUCE LEE – SEIN TÖDLICHES ERBE: Solider Kampfsport ganz ohne Bruce Lee

Was macht man, wenn einem Bruce Lee für einen schmissigen Kung-Fu-Film nicht zur Verfügung steht? Ganz klar, man heuert einen seiner vielen Doppelgänger wie Bruce Le, Bruce Lai oder Bruce Li an. Und was macht man, wenn einem die auch nicht zur Verfügung stehen? Gar kein Problem: Der Verleih wird’s schon richten. Da nennt man den Film in der deutschen Version ganz einfach BRUCE LEE – SEIN TÖDLICHES ERBE und synchronisiert den Spaß so, als wäre die Hauptfigur der Vetter von Bruce Lee. Der amerikanische Verleiher geht’s anders an: Weil dort 1974 die Blaxploitation-Welle in vollem Gange war, packte man den schwarzen Nebendarsteller Ron Van Clief auf das Poster und nannte das Ganze THE BLACK DRAGON. Wo kommt man sich veralberter vor – wenn der Hauptdarsteller ein paar Mal über den sonst nicht auftauchenden Titelhelden Bruce Lee schwadroniert, oder wenn der Mann auf dem Plakat nur ungefähr 15 Minuten lang im Film zu sehen ist?

Dabei hätte BRUCE LEE – SEIN TÖDLICHES ERBE solche Marketingtricks gar nicht unbedingt nötig – beziehungsweise: Der Film hat die Tricks nur nötig, weil seinerzeit hunderte von Martial-Arts-Streifen die Kinos stürmten und man sich irgendwie, irgendwie!, hervorheben mußte. Das ist beim Kung-Fu-Film genauso wie beim Italowestern, beim Sandalenfilm oder bei jedem anderen Pulp-Genre, wo in Fließbandgeschwindigkeit neue Ware produziert wurde – es gibt besser und schlechter ausgeführte Produktionen, aber abseits der handwerklichen Qualität unterscheiden sie sich nicht gewaltig.

Der vermeintliche Vetter von Bruce Lee heißt Tai-Lin und arbeitet auf einer Farm. Als sein Bruder als reicher Mann von den Philippinen zurückkehrt, will Tai-Lin ebenfalls dorthin aufbrechen, um sein Glück zu machen. Er heuert dort als Dockarbeiter an und wird aufgrund seiner Kampfsportkünste schnell zum Aufseher befördert – beziehungsweise auch als Wachposten, weil beständig eine Bande von Kämpfern die Verladungsarbeiten stören will. Irgendwann wird Tai-Lin aber darauf gestoßen, daß hier Rauschgift geschmuggelt wird und er für einen Verbrecher arbeitet. Er verbündet sich mit den Störenfrieden, um den Drogenhandel zu stoppen – und muß zuletzt gegen seinen eigenen Bruder kämpfen, den der Syndikatschef wieder als Leibwächter kommen läßt.

Auch ohne den deutschen Titel wäre der Bruce-Lee-Bezug der Geschichte ziemlich klar: Auch im Lee-Klassiker DIE TODESFAUST DES CHENG LI kam unser Held darauf, daß die Firma, für die er arbeitet (dort war es eine Eisfabrik), Rauschgiftgeschäfte betreibt, und machte sich daran, für Recht und Ordnung zu sorgen. Interessant ist hier, daß die Drogenthematik kurzfristig mit einem gewissen realistischen Blick eingeführt wird: Einer der ersten Eindrücke, die Tai-Lin vom Leben auf den Philippinen erhält, ist ein Mann, der sich in elendiger Sucht auf der Straße krümmt, während die Menschen einfach an ihm vorbeigehen.

Sehr viel mehr gibt es aber inhaltlich nicht festzuhalten. BRUCE LEE – SEIN TÖDLICHES ERBE lebt, wie so viele Filme seiner Art, vom Kampfsport, und da weiß er zu gefallen: Die Kämpfe sind hart und realistisch gehalten, die Inszenierung ist schnörkellos, aber sauber. Die Athleten – in diesen Filmen sind die Darsteller ja immer eher Sportler als Schauspieler – machen eine gute Figur, und die Geschichte wird mit einer gewissen Sorgfalt und Ernsthaftigkeit erzählt. Das alles macht den Film nicht bemerkenswert genug, um wirklich aus der Fülle an vergleichbaren Streifen herauszuragen – aber er bietet gut gemachte Unterhaltung in einem Genre, mit dem man sich ohnehin nicht wegen seiner unbedingten Originalität beschäftigt.



Bruce Lee – Sein tödliches Erbe (Hong Kong/Philippinen 1974)
Originaltitel: Tough Guy / The Black Dragon
Regie: Tommy Loo Chung
Drehbuch: Tommy Loo Chung
Darsteller: Jason Pai Pow, Ron Van Clief, Jorge Estraga, Nancy Veronica, Meng Fu, Thomson Kao Kang, Chang Lau Chu

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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