[Buch] Thomas Mann: Mario und der Zauberer – Ein tragisches Reiseerlebnis (1930)

Buch / Uncategorized / 20. Februar 2013

Weiter geht’s mit dem Kulturprogramm! Nach Theodor Fontanes UNTERM BIRNBAUM springen wir frohen Mutes ins 20. Jahrhundert und widmen uns Thomas Mann – ohne damit aber gleich in die Vollen zu gehen: Bevor man sich am 1008-seitigen Epos DER ZAUBERBERG oder am 759-seitigen Familiendrama BUDDENBROOKS womöglich die Zähne ausbeißt, ist es doch sinnvoller, sich mittels eines überschaubareren Werkes heranzutasten. Wie zum Beispiel Manns Novelle MARIO UND DER ZAUBERER, die nicht zuletzt durch ihre politischen Implikationen zu seinen bekanntesten Büchern zählt und offenbar als eine Art Bindeglied zwischen Manns realistisch gehaltenen Texten vor 1930 und den mystischeren Spätwerken gesehen werden kann.

Das „tragische Reiseerlebnis“, wie es der Untertitel des Buches ankündigt, spielt in Italien, wo sich der Erzähler mit seiner Familie im Urlaub befindet. Schon von Anfang an trüben diverse Unannehmlichkeiten das Vergnügen – er muß das Hotel wechseln, bekommt wegen seiner nacktbadenden 8-jährigen Tochter ein polizeiliches Bußgeld auferlegt, und fühlt sich auch sonst zunehmend von den Inländern diskriminiert. Anstatt aber abzureisen, fügt man sich – und besucht eines Abends die groß angekündigte Zaubershow eines Magiers namens Cipolla, den vor allem die Kinder gerne sehen möchten. Dessen Darbietung konzentriert sich hauptsächlich auf Hypnose: Den ganzen Abend lang entwürdigt der bucklige Zauberer vor allem das „einfache“ Publikum, indem er es mit seinen Späßen bloßstellt.

Als Zauberer erweist sich in dieser Novelle primär auch Thomas Mann selbst – wenn auch natürlich nicht als ein solch herablassender Widerling wie seine Figur. Aber dennoch hat er sein Publikum mit seinem sprachlichen und erzählerischen Geschick voll im Griff: Zwei Drittel des Buches werden von Cipollas Show eingenommen, auf die der Leser ebenso neugierig gemacht wird wie der Erzähler – nicht zuletzt dank diverser unheilvoller Ankündigungen: „… zum Schluß kam dann der Choc mit diesem schrecklichen Cipolla, in dessen Person sich das eigentümlich Bösartige der Stimmung auf verhängnishafte und übrigens menschlich sehr eindrucksvolle Weise zu verkörpern und bedrohlich zusammenzudrängen schien“, heißt es schon im allerersten Absatz. Mann zelebriert den Fortlauf der Vorführung und beherrscht mit seinen Ausführungen die Erzählzeit auf höchst souveräne Weise: Den Beginn zögert er ebenso lang heraus wie Cipolla selbst, und trotz der knappen Länge der Erzählung – nur 107 Seiten! – wirkt er nicht eine Sekunde lang hastig, um zum beständig angekündigten tragischen Höhepunkt zu kommen.


„Parla benissimo“, stellte man in unserer Nähe fest. Der Mann hatte noch nichts geleistet, aber sein Sprechen allein ward als Leistung gewürdigt, er hatte damit zu imponieren gewußt. Unter Südländern ist die Sprache ein Ingredienz der Lebensfreude, dem man weit lebhaftere gesellschaftliche Schätzung entgegenbringt, als der Norden sie kennt. Es sind vorbildliche Ehren, in denen das nationale Bindemittel der Muttersprache bei diesen Völkern steht, und etwas heiter Vorbildliches hat die genußreiche Ehrfurcht, mit der man ihre Formen und Lautgesetze betreut. Man spricht mit Vergnügen, man hört mit Vergnügen – und man hört mit Urteil. Denn es gilt als Maßstab für den persönlichen Rang, wie einer spricht; Nachlässigkeit, Stümperei erregen Verachtung, Eleganz und Meisterschaft verschaffen menschliches Ansehen, weshalb auch der kleine Mann, sobald es ihm um seine Wirkung zu tun ist, sich in gewählten Wendungen versucht und sie mit Sorgfalt gestaltet. In dieser Hinsicht also wenigstens hatte Cipolla sichtlich für sich eingenommen, obgleich er keineswegs dem Menschenschlag angehörte, den der Italiener, in eigentümlicher Mischung moralischen und ästhetischen Urteils, als „Simpatico“ anspricht.

Trotz des dramatischen Inhaltes steckt ein gewisser Witz in Manns Erzählung. Das fängt schon bei den Beschreibungen des unerfreulichen Urlaubsortes an – die übrigen Badegäste werden vom Erzähler als „bürgerliches Kroppzeug“ beschimpft, anderswo trieft der Sarkasmus aus den Kommentaren („Wir hatten dies und das auf der Zunge, zum Beispiel, daß nicht alle Umstände zusammenträfen, um das Wort Gastfreundschaft nach seiner reinsten Bedeutung ganz am Platze erscheinen zu lassen“). Wie im oberen Zitat hat auch Mann Vergnügen an der Sprache selbst: „Das schlaffe, entfärbte Meer, in dessen Flachheit träge Quallen trieben, war immerhin eine Neuigkeit; es wäre albern gewesen, nach einer Sonne zurückzuverlangen, der, als sie übermütig waltete, so mancher Seufzer gegolten hatte“, berichtet der Erzähler über den Fortlauf des Urlaubs. Ein gewisser Humor liegt auch die Tatsache, daß die Willensfreiheit, die Cippola in seiner Vorführung verpuffen läßt, den Erzähler offenbar schon von Anfang an verlassen hat – immer wieder rechtfertigt er sich halbherzig, warum die Familie nicht abgereist ist oder die Show verlassen hat. Und vielleicht ist es auch als Witz zu verstehen, daß der titelgebende Mario so beiläufig eingeführt wird und bis zu den letzten paar Seiten so gar nicht Teil der Geschichte ist, daß man als Leser unweigerlich stetig nach Spuren sucht, wie diese Figur wohl relevant sein könnte.

Und doch ist MARIO UND DER ZAUBERER eine absolut ernste Angelegenheit: Wie da ein zwielichtiger Geselle mit schöner Sprache und tiefer Verachtung für die Menschen sein Publikum manipuliert, ist durchaus faszinierend – aber vor allem durch die Ankündigung eines tragischen Ausgangs stets beklemmend. Eine gängige und durchaus sinnvolle Lesart ist es, Cippola als Bild des seinerzeit aufblühenden Faschismus zu verstehen – nicht umsonst wird in der Taschenbuchausgabe von Fischer der Dramatiker und Kritiker Julius Bab zitiert: „Wenn Mussolini etwas von Kunst verstände, müßte er diese Novelle in Italien verbieten lassen“. Mann selbst stritt diese politische Dimension zunächst ab, räumte aber später ein, daß gewisse Anspielungen vorhanden sein könnten.

Aber gerade weil die Parallelen zwar unverkennbar, aber nie explizit sind, funktioniert MARIO UND DER ZAUBERER auch unabhängig vom zeitlichen und politischen Kontext: Es ist letzten Endes einfach eine Geschichte über Verführung und Willensunterwerfung. Und es ist eine virtuose Erzählung, die den Leser gekonnt an der Hand nimmt und ihm dann doch selbst überläßt, wie er die Geschichte deuten mag. So oder so: Ein bemerkenswertes Buch.



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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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