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[Buch] William Shatner: Shatner Rules (2011)

William Shatner umarmt die Weltkugel und lächelt dabei zufrieden. Mit seinen 80 Jahren, die man ihm nicht ansieht, scheint der einstige Raumschiffkapitän rühriger zu sein als je zuvor: Er spielt, er schreibt, er dreht, er moderiert, musiziert, sammelt im Vorbeigehen Preise und Anerkennungen ein, und er schreckt nie vor neuen Unterfangen zurück. So bleibt man jung. Und weil nach den beiden Bänden STAR TREK MEMORIES (1993) und STAR TREK MOVIE MEMORIES (1994) sowie seiner Autobiographie UP TILL NOW (2008) eigentlich wenig Bedarf besteht, sein Leben und seinen Werdegang erneut detailliert nachzuzeichnen, ist Shatners neues Buch ganz einfach eine lose Anekdotensammlung, in der ein älterer Herr mit buntem Leben erzählt, was ihm gerade so in den Sinn kommt.

Der Titel SHATNER RULES ist natürlich mehrdeutig: Oh ja, Shatner ist klasse – he rules! – und er regiert die Welt, die er da so schelmisch umklammert. „It’s Shatner’s world. We just live in it“, heißt es ganz vorne und ganz hinten im Buch. Aber aufgezogen ist die lockere Erzählform an humoristischen Regeln, die uns helfen sollen, Shatners Welt zu verstehen und wie er sein zu können. Shatner’s Rules, sozusagen. Und die reichen von hilfreichen Hinweisen („Take some stuff off your résumé“) zu Lernerfahrungen („Don’t punch Lee Van Cleef!“) hin zu Tips im Umgang mit dem hohen Alter („Just smile. You’re lucky you made it“).

Natürlich sind diese „Regeln“ weder ernstgemeint noch ein wirklich tragender Bestandteil des Buches, das sich einfach nur anhand dieser „Lebensweisheiten“ von Geschichte zu Geschichte bewegt. Letzten Endes erzählt Shatner ganz einfach kreuz und quer aus seinem Leben, wobei nur gelegentlich Episoden auftauchen, die man schon aus UP TILL NOW kennt: SHATNER RULES ist primär so etwas wie ein Update zur Autobiographie, ein heiterer Rückblick auf alles, was der gute Mann in den letzten drei Jahren so gemacht hat, und als Bonus gibt es ein paar witzige Begebenheiten, die vielleicht im vorigen Buch keinen Platz fanden oder ihm erst kürzlich wieder eingefallen sind.

Weil Shatner so hochaktiv an allen Fronten ist und mit der ihm eigenen Selbstironie und Nonchalance plaudert, ist diese Ansammlung von Anekdoten keine Sekunde langweilig und stets vergnüglich zu lesen. Shatner berichtet von seiner Teilnahme am Comedy Central Roast (über den ich hier geschrieben habe) und schießt ein paar augenzwinkernde Worte zu den Boshaftigkeiten zurück, die er sich dort anhören mußte; er erzählt von seiner neuerlichen Fehde mit Sulu-Darsteller George Takei und erklärt nach viel Spott über die Vorwürfe, die ihm seine ehemaligen STAR-TREK-Kollegen immer wieder gemacht haben, daß er sich nun schon oft genug entschuldigt hätte, und daß sie alle doch mittlerweile schon so alt seien, daß sie gar nicht mehr viel Zeit hätten, sich noch zu versöhnen; und er redet über die Aufnahmen zu seinem neuen Album SEEKING MAJOR TOM, auf dem er mit veritabler Allstar-Besetzung Rocksongs covert und für das er einen Honorary Headbanger Award bekam. Sein Platzreservierungsschild bei dem dazugehörigen Event (Aufschrift: „Reserved for Metallica & William Shatner“) hat seine Frau als Andenken mitgenommen – die abgeleitete Regel: „Settle for second billing only if the top-billed act can beat you up“.

Und was der Mann nicht alles macht und gemacht hat! Zwei Talkshows, Auftritte hier mit Soloprogramm, Auftritte dort bei Conventions, Ehrendoktor an seiner alten Universität, eine Sitcom, eine Doku über die Schauspieler, die als STAR-TREK-Kapitän fungierten, und und und. Die Erzählungen darüber sind deshalb nie Angeberei, weil er gerne mit seinem großen Ego kokettiert (das ihm ja gerne vorgeworfen wird) und gleichzeitig beständig Einschübe macht, wo er darauf hinweist, daß ihn seine Kinder und Enkelkinder über alles aufklären mußten – zum Beispiel über die Tatsache, daß sein Gesangspartner auf „Common People“, Joe Jackson, keinesfalls der Vater der Jackson 5 ist.

Zwischen all der Plauderei und den Witzeleien tauchen auch einige ernste Gedanken auf. Zum Beispiel über die Tatsache, daß sich Shatner mit seinen 80 Jahren durchaus im Klaren darüber ist, daß er nicht mehr unendlich viel Zeit auf unserem Planeten hat. In einem Kapitel macht er sich Gedanken über den Tod und gibt auch zu, daß er Angst davor hat. Sein Ratschlag? „Get out of bed.“ Aktiv bleiben. An anderer Stelle erzählt der begeisterte Hobbyreiter Shatner davon, warum er Pferde so gerne mag. Er läßt auch immer wieder einfließen, wie sehr er seine Familie und seine Freunde liebt. Und selbst in den heiteren Anekdoten kann man zwischen all der Ironie und den Seitenhieben herauslesen, daß er durchaus stolz ist auf seine Arbeit: seine Schauspielerei, seine Talkshows, und auch sein seinerzeit so vielfach verspottetes Album THE TRANSFORMED MAN.

Eine von Shatners Regeln – wohl nicht umsonst gleich die in Kapitel 1 genannte – ist dann doch eine echte Regel, und Shatners Erzählungen machen klar, wie sehr für ihn diese Regel eine Lebensphilosophie ist und wie sehr sie sich immer wieder bezahlt macht: „Say ‚Yes'“. „Ja“ sagen zum Unbekannten, zum Abenteuer, zur Herausforderung. „Ja“ sagen dazu, ein Konzeptalbum mit Spoken-Word-Versionen von Popsongs aufzunehmen. „Ja“ sagen dazu, nochmal den täglichen Trott einer Fernsehserie mitzumachen. „Ja“ sagen dazu, sich bei einem Roast ins Kreuzfeuer zu stellen. Shatner erzählt immer wieder, was ihm all diese Unterfangen Positives beschert haben: Neue Sichtweisen, neue Freunde, neue Möglichkeiten. Selbst wenn er, wie im Fall von TRANSFORMED MAN, über 30 Jahre darauf warten mußte.

Und das ist vielleicht auch der Grund dafür, daß sich SHATNER RULES gar nicht so sehr wie ein Rückblick anfühlt oder wie die Erinnerungen eines betagten Schauspielers: Shatner blickt weiter nach vorn, auf zukünftige Abenteuer, und alles, wovon er berichtet, scheint nur der Auftakt für seine kommenden Unternehmungen zu sein. Wieviele 80-jährige gehen denn ihr Leben noch immer mit so viel Entdeckungsfreude und Tatendrang an?

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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