Die Stewardessen (1971)

Uncategorized / 7. September 2007

Man stelle sich das mal vor: Dutzende von leicht bis wenig bekleideten Frauen räkeln sich in meiner Wohnung herum und harren meiner Aufmerksamkeit, und ich Lustbremse widme mich ihnen überhaupt nicht. Die Rede ist dabei natürlich nicht von etwaigen Besucherinnen, die sich spaßeshalber malerisch auf meinem Sofa drapieren, sondern von der „Ingrid Steeger Gold Collection“, einer DVD-Box, die acht Steeger-Filme versammelt, die man – falls einen die geballte Wollust des Boxsets erschreckt – auch alle einzeln kaufen kann (so man dazu geneigt ist). Um den Filmen die gebührliche Aufmerksamkeit zu schenken, entsteht in der kommenden Zeit also hier eine Ingrid-Steeger-Retrospektive von bislang ungesehenen Ausmaßen, und wer sich bis zum Ende durchwühlt und immer noch kein Kleenex braucht, darf in der nächsten Videothek die Pornos nach Filmlänge sortieren. Viel Vergnügen.

Eventuell sollten wir ein paar Worte darüber verlieren, wer Ingrid Steeger ist, da sich unter den Lesern ja durchaus Menschen mit Geschmack befinden, denen die Namen konservierter Siebziger-Jahre-Nackedeisternchen womöglich gar nichts sagen. Der Grund, warum Steeger als Name zieht und die vielen anderen Mädchen, die sich durch die deutsche Sexfilmwelle durchgefroren haben, völlig in Vergessenheit geraten sind, liegt wahrscheinlich daran, daß Ingrid irgendwann die schlüpfrigen Begegnungsfilme hinter sich ließ, eine Hitserie namens KLIMBIM drehte und danach zur (quasi) ernsthaften Schauspielerin avancierte. Freilich konzentriert sich die Steeger-Kollektion auf die frühen Filme der guten Frau, die allesamt vom Schweizer Sexkaufmann Erwin C. Dietrich gedreht wurden.

Ganz wahllos greifen wir in die Box und ziehen den ersten Film heraus: Eine schwungvolle Sause mit dem harmlosen Titel DIE STEWARDESSEN. Wie uns der Vorspann informiert, hiess der Film auch mal ALLE STEWARDESSEN KOMMEN IN DEN HIMMEL, aber wenn man das heutzutage auf eine DVD-Hülle draufdruckt, glauben vermutlich die Hälfte der Videothekenkunden, daß Patrick Swayze jetzt als Saftschubse anheuert. Ebenfalls verrät uns der Vorspann – während dem eine rothaarige Stewardess keck auf dem Piloten einer Verkehrsmaschine hockt (Notiz an mich selbst: cleveren Wortwitz mit dem Begriff „Verkehrsmaschine“ ausknobeln) – daß der Film keinesfalls als Report gedacht sein soll, und daß die Produzenten auch nicht der Ansicht seien, daß Stewardessen sich tatsächlich so verhalten, wie in dem Film dargestellt. Ja, wie jetzt? Soll ich jetzt gleich ausmachen, oder was?

Na gut, bleiben wir bei der Stange. Apropos Stange: Nachdem man sich mal so zwanzig, dreißig Aufnahmen mit steil zum Himmel emporsteigenden Flugzeugen angesehen hat, merkt man eigentlich erst, wie phallisch die komplette Luftfahrt doch ausgerichtet ist. Jedenfalls lernen wir die rothaarige Stewardess jetzt etwas näher kennen: Sie heißt Jenny und läßt sich prompt von einem älteren Passagier aufreißen, der sie nach der Landung mit ins Hotel nimmt. Weil ihre Mama aus Argentinien kommt, mag sie auch gar nicht lange mit ihm reden, aber trotzdem muß sich der gute Mann erstmal alleine ins Bett verkriechen, während sie ausgiebig duscht. Er macht sich ein paar warme Gedanken und schläft darüber ein. Ganz ehrlich: Wenn ich mal 60 bin, will ich auch mal in so einem grauen Anzug und einem Ungetüm von Kassengestell auf der Nase als Lustgreis durch so einen nackten Blödsinn geifern. Vorher allerdings nicht.

Jenny ist ein wenig enttäuscht und brät unverflugs den dahergelaufenen Zimmerdienst an, der ihr aber erklärt: „Ich nix Vorstellung von Frau. Ich Gastarbeiter“. Bevor ich aber noch stutzig werden kann – haben andere Länder nicht eine viel höhere Geburtenrate als unsereins? – lacht sich Jenny, die sich – wenn überhaupt – vorzugsweise in Signalfarben kleidet, einen Jüngling am Pool an und besichtigt mit ihm die Stadt. Nach ausgiebigster Postkarteneinstellungsbeschau landen sie dann doch noch zusammen im Bett. Gott sei Dank.

Nachdem Jenny also zum Zug gekommen ist – wenn der Film etwas alberner wäre, würde ich glatt einen gekonnten Kalauer zum Thema „Zug“ und „Stewardessen“ abliefern – lernen wir ihre Kolleginnen kennen: Frances guckt sich Rom zusammen mit einem Piloten an, der sich nach endloser touristischer Beschaulichkeit als wahre Verkehrsmaschine entpuppt. Hey, was erwartet ihr? Nicht jeder Wortwitz kann richtig zünden. So oder so stellen wir fest: Das einzige, was fader ist als ein Sexfilm, in dem dauernd unmotiviert gepoppt wird, ist einer, in dem überhaupt nicht andauernd unmotiviert gepoppt wird. Das Schönste an der Rom-Episode? Zum Schluß wird geheiratet.

Weiter geht’s mit Evelyne, die nach Kopenhagen reist und dort in einer WG landet, wo zwei echte Steher namens Olaf und Sven zusammen mit Ingrid leben – ganz genau, Ingrid Steeger, die nach nur 42 Minuten in diesem Film auftaucht und sich auch schon in ihrer ersten Szene die Brüste einseifen läßt. Olaf zeigt Evelyne diverse Sexshops in der Stadt und führt ihr dann einen Pornofilm vor, den die gute Frau als „langweilig und dumm“ empfindet – da komm‘ noch mal jemand und behaupte, der Film wäre unrealistisch!

Machen wir’s kurz: In der letzten Episode reist eine Blondine, deren Namen mir aus irgendeinem Grunde entfallen ist, nach München, sieht sich das Oktoberfest an und geht dann mit einem extrem studentisch aussehenden Linken schwofen, der beständig von der Revolution und der Arbeiterklasse redet. Der nette Revoluzzer lebt denn auch in einer Kommune, wo ein nackter Mann Sitar spielt, während sich aufgeklärte Körper befreit aneinanderreiben.

Ja, und das war’s dann auch schon. Ingrid selber tritt nur am Rande in Erscheinung, aber daß der Film so prickelnd ist wie Zahnpastawerbung, liegt weniger an ihrer mangelnden Präsenz. Unschlagbar ist der Streifen freilich als Zeitdokument: Er führt uns eine Zeit vor, in der ein nackter Körper Menschen dazu verführte, Geld für Kinokarten auszugeben, obwohl jenseits der blanken Busen und Hintern überhaupt nichts zu sehen ist. Er zeigt uns eine Zeit, in der das Reisen noch als so aufregend empfunden wurde, daß man einen ganzen Film mit beliebigen Aufnahmen diverser europäischer Städte zukleistern konnte und damit tatsächlich Schauwerte bot. Er zeigt uns eine Epoche, in der sich Deutschland (nicht nur – immerhin ist der Film eine Schweizer Produktion) so zwanghaft vom prüden Mief der Vorgeneration befreien wollte, daß die Menschen in unsäglich erfolgreichen Filmen nichts besseres zu tun hatten, als permanent nackt und notgeil zu sein.

Die Stewardessen (Schweiz 1971)
Alternativtitel: Alle Stewardessen kommen in den Himmel / The Swingin‘ Stewardesses
Regie: „Michael Thomas“ (= Erwin C. Dietrich)
Drehbuch: „Manfred Gregor“ (= Erwin C. Dietrich)
Musik: Walter Baumgartner
Produktion: Elite
Darsteller: Evelyne Traeger, Ingrid Steeger, Margrit Siegel, Kathrin Eberle, Raffael Britten
Länge: 81 Minuten
FSK: 16

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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