Das Schlitzohr vom Highway 101 (1982) / Ein Halleluja für Camposanto (1971)

Uncategorized / 29. August 2005

Truckerfilm und Pferdeoper

Zurück nach Italien! Der Ausflug ins Land der Holzfäller war ja ganz nett (hüstel), aber eigentlich fühlen wir uns doch nur auf den Pfaden südeuropäischen Schmalspurfilmschaffens so richtig wohl. Wie passend, daß da gestern das VHS-Tape von DAS SCHLITZOHR VOM HIGHWAY 101 eintrudelte und sich so gleich der Begutachtung anbot.

Holen wir ganz kurz aus: Der in Kuba geborene Tomas Milian war in Italien mal ein Superstar, und das auch wegen einer Filmreihe um den unkonventionellen Hüter des Gesetzes Nico Giraldi. Wer enttäuscht war, daß es nur 7 Teile der POLICE ACADEMY gibt und daß HALLOWEEN 9 so lange auf sich warten läßt, darf sich bei Nico geborgen fühlen: Auf schlappe 11 Teile brachte es die Serie, besagter HIGHWAY ist Nummero 9. Immer drin: Tomas Milian (der später zum Charakterdarsteller in Filmen wie TRAFFIC avancierte) als zerzauster, verfilzter, eyeliner-tragende Bulle aus dem Arbeitermilieu (deshalb immer der Blaumann und der Rosenkohl). Konstanter Nebeneumel: Bombolo, den sicherlich sehr viele Menschen in Italien sehr komisch gefunden haben. Und inszeniert hat die komplette Serie Bruno Corbucci, der nicht nur der Bruder von Sergio ist, sondern auch für den Brüller WENN FRAUEN DING DONG SPIELEN verantwortlich zeichnet.

Diesmal treibt eine Bande von Highway-Banditen ihr Unwesen. „Geradezu genial“, wie uns eine Stimme aus dem Off erklärt, überfallen sie Trucker und klauen deren Vehikel. In der Tat lassen sich die Burschen was einfallen: Skimasken, Pistolen, durchdachter Einsatz von Gewalt. Und das am hellichten Tag! Schwupps, schon befindet sich Giraldi als Undercover-Trucker auf der Landstraße (ebenso ungewaschen, gekleidet und rüpelhaft wie vorher, versteht sich) und genießt das Leben. „Vollmachen, aber nicht reinpinkeln,“ weist der flippige Spaßvogel einen Tankwart an und freundet sich im Nu mit einer Truppe Trucker an, denen er dann ein lokales Pornokino empfiehlt. Er selbst reißt die Ticketverkäuferin mit seinem herbem Charme auf, aber mit nach oben will er dann doch nicht, weil sie Ravioli mit der Hand zubereitet.

Erwähnt werden sollte vielleicht noch, daß Giraldi verheiratet und stolz auf seinen Sohnemann ist, der im Alter von ganz geringen Jahren schon „blödes Arschloch“ sagen kann. Aber so ein trautes Familienleben verblaßt natürlich im Vergleich zum aufregenden Leben auf der Landstraße! Die nächste Trulle, die er anschleppt, freut sich so sehr darüber, vor ihrem ohrfeigenverteilenden Besteiger gerettet zu werden, daß sie Giraldi gleich zum nächsten Song-Contest einlädt („Du singst? So richtig aus dem Mund?“). Dort schmettert sich das Mädel mit einer bombastischen Disco-Ballade in Giraldis Herz, der jetzt darüber jammert, daß er ja noch Ballast zu Hause hat. Überhaupt stellen wir fest, daß das Leben eines Undercover-Ermittlers Tage voller Action und Spannung bietet: Neben dem Song-Contest geht Giraldi mit Schnepfe zum Tanzen, adoptiert einen streunenden Hund, dann besuchen sie einen Truckerfreund und dessen Frau und sitzen am Pool. Irgendwann tauchen die bösen Buben dann ganz von alleine auf, und in einer traditionsreichen Prügelorgie (klatsch, zack, ka-peng, zonk!) gibt’s ordentlich was auf die Zwölf.

Bevor ich mir die anderen 10 Teile der aufregenden Serie ansehe (zugegeben: mir bleiben nur mehr 8, weil ich 2 andere schon kenne), bewege ich mich chronologisch rückwärts und lande im Jahre 1971, wo die Welle der Spaghettiwestern schon am Ausklingen war. Das bedeutet übersetzt, daß nur noch fünfzig statt fünfhundert entsprechende Filme pro Jahr produziert werden. Einer davon ist EIN HALLELUJA FÜR CAMPOSANTO, regissiert von „Anthony Ascott“ (= Giuliano Carnimeo), geschrieben von „E.B. Clucher“, alias Enzo Barboni, der auch diverse Hill/Spencer-Werke betreut hat.

Wie zum Bleistift den wunderbaren VERFLUCHT, VERDAMMT UND HALLELUJA. Und das dort angewandte Prinzip (pazifistisches Greenhorn landet im wilden Westen und muß lernen, sich zur Wehr zu setzen) funktioniert hier auch, aber mit Doppelungsprinzip: Es sind zwei Greenhorns, praktischerweise Brüder, die beide nicht schießen können, aber zum Glück zwei Gehilfen haben, die sehr gut mit Messern umgehen können. Durch die Stadt streifen zwei mysteriöse Revolverhelden, die sich immer duellieren wollen und dann doch ablassen. Aber konzentrieren wir uns doch auf Pistolero Nummero Uno, der so begabt am Colt ist, daß er einem Banditen die Bartspitzen wegschießen kann und auf mehrere Meter Entfernung mit nur einem Schuß ein Streichholz zu entzünden vermag. Weil begabte Revolverhelden in Italowestern immer namenlos sind, nennt man den Burschen „Camposanto“ – das bedeutet Friedhof, und zwar für Ganoven.

Ehrlich, der hat Spaß gemacht! Wir durften bestaunen: Ein Kind, das Munition statt Schnuller zum Lutschen bekommt. Frozzelnde Pistolenhelden. Eine sich eine halbe Minute lang drehende Münze, die groß im Bildvordergrund beim Fallen ein Duell einleiten soll. Oh, und eine Egoshooter-Einstellung, lange vor WOLFENSTEIN 3D. So lob‘ ich mir das.

„Hört der Italientrip denn irgendwann mal wieder auf?“ Sicher. Zumindest lege ich sicher bald mal wieder eine Pause ein. Dann wende ich mich dem Kung-Fu-Film zu!

Das Schlitzohr vom Highway 101 (Italien 1982)
Originaltitel: Delitto sull’autostrada
Regie: Bruno Corbucci
Darsteller: Tomas Milian, Viola Valentino, Bombolo, Giorgio Trestini, Adriana Russo

Ein Halleluja für Camposanto (Italien 1971)
Originaltitel: Gli fumavano le Colt… lo chiamavano Camposanto
Regie: „Anthony Ascott“ (= Giuliano Carnimeo)
Drehbuch: „E.B. Clucher“ (= Enzo Barboni)
Darsteller: Gianni Garko, William Berger, Chris Chittell, Franco Ressel, Nello Pazzafini

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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