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EMMANUELLE 6: Eine Verführerin in Bedrängnis

Natalie Uher als Emmanuelle

Seit den Achtzigern war die Figur Emmanuelle einem ständigen Wandel unterzogen: Unter der Obhut von Produzent Alain Siritzky ließ sie sich 1984 in EMMANUELLE 4 zunächst operativ ein neues Aussehen verpassen, um einen Liebhaber loszuwerden – und schon änderte sich von Film zu Film ihre Identität. Aus Sylvia Kristel wurde Mia Nygren, 1986 folgte Penthouse-Pet Monique Gabrielle in EMMANUELLE 5, wo die Titelfigur ein Filmstar mit Skandalstreifen in Cannes war. Auch das hielt nicht lange: In EMMANUELLE 6 spielt das österreichische Playmate Natalie Uher die freigeistige Göttin der Verführung – die, es mußte angesichts solcher Wechsel ja fast so kommen, ihr Gedächtnis verloren hat und sich nicht mehr daran erinnert, wer sie ist.

In der Klinik von Dr. Simon soll ihrer Erinnerung auf die Sprünge geholfen werden. Nach und nach fügen sich die Ereignisse der letzten Zeit wieder zusammen: Sie war zusammen mit einigen anderen Models auf einem Kreuzfahrtschiff Richtung Amazonas unterwegs. Dann wurden die Mädchen aber vom Kapitän des Schiffes entführt und sollten auf einem örtlichen Sklavenmarkt verkauft werden. Zum Glück kann Emmanuelle mit der Hilfe des Indianermädchens Uma rechnen, das den Sklavenhändlern entkommen war und sich in ihrer Schiffskabine versteckt hatte …

Emmanuelle (Natalie Uher) unter einem Wasserfall
Gibt ja doch ein paar schöne Erinnerungen!

Schon mit Walerian Borowczyks Vorgängerfilm EMMANUELLE 5 war die Softsex-Reihe um die schöne Frau, die nach ihrer sexuellen Befreiung im ersten Teil gewissermaßen als Aufklärungsinstrument durch die Welt zieht, in die Gefilde ihrer vielen Imitate gekommen: Vor allem in der von Roger Corman umkonstruierten US-Action-Fassung klangen plötzlich die Schmuddelabenteuer der italienischen Varianten an, wo die Protagonistin von Schurken und anderen Gefahren bedroht wurde – mal Mädchenhändler, mal Kannibalen, mal Knastinsassen. EMMANUELLE 6 könnte mit seiner Verschleppungs- und Zwangsprostitutionsgeschichte nun tatsächlich von Joe D’Amato oder Bruno Mattei inszeniert worden sein.

Tatsächlich führte Bruno Zincone Regie, der zuvor für Alain Siritzky die Comicverfilmung GROS DÉGUEULASSE gedreht hatte und sonst als Cutter für Bahnhofskino wie DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER oder SABINE S. – DURCH LIEBE WEG VOM STOFF arbeitete. Das Skript stammte tatsächlich von einem versierten Schmuddelprofi: Jean Rollin, der in seinen eigenen Filmen wie DIE NACKTEN VAMPIRE gern Erotik und Horror vermischte. Offenbar sprang er zur Fertigstellung auch als ungenannter Regisseur ein – wobei das Ausmaß seiner Tätigkeit unbekannt ist.

Tamira in EMMANUELLE 6
Das Indianermädchen Uma (Tamira) paßt sich den Gepflogenheiten von Emmanuelles Welt an.

So schlagen zwei Filme im Herzen dieser Fortsetzung, die mit Emmanuelle Arsan kaum mehr etwas zu tun hat: Da ist das Abenteuer der sexuellen Freiheit, für das schöne Körper in ausführlichen Montagen abgelichtet werden – mal im Maschinenraum des Schiffes, wo sich Emmanuelle einen der Arbeiter als Liebhaber sucht (während der Kapitän als Voyeur zusieht), mal im Dschungel an einem Wasserfall, unter dem die Models baden. Auf der anderen Seite steht die reißerische Story, die mit ihren leicht bis gar nicht bekleideten Damen in Bedrängnis an alte Groschenheftprinzipien anknüpft – wobei der Exploitation-Reigen hier freilich, im Gegensatz zu den Italienern, nie wirklich drastisch oder explizit inszeniert wird. (Allerdings existiert wie bei EMMANUELLE 5 eine französische VHS-Version, in die extra gedrehte Hardcore-Sexszenen in den Film hineingeschnitten wurden.)

Gerade diese Plot-Elemente sorgen aber auch für unfreiwillige Komik. Ob da nun ein völlig unglaubwürdiger Psychiater unter herrischem Befehlston eigens eine sexuelle Begegnung im Pferdestall organisiert, damit Emmanuelles Gedächtnis zurückkehrt, oder die Sklavenhändler bei ihrer Auktion aufgebracht agieren, während sie von den Giftpfeilen von Umas Indianerstamm niedergestreckt werden: Was hier aufregend sein soll, ist doch eher zum Schmunzeln geeignet.

Zum Schluß erinnert sich Emmanuelle durch das Drängen des Doktors wieder an alles und findet damit auch die Freude an der Sexualität wieder. Viel passender erscheint freilich die Tatsache, daß die wiedergefundene Identität auch einen sich schließenden Kreis einleiten wird: Im siebten und letzten Film der Reihe sollte Sylvia Kristel die Rolle noch ein letztes Mal übernehmen.

Emmanuelle 6 (Frankreich 1988)
Alternativtitel: Emmanuelle – Amazone des Dschungels
Regie: Bruno Zincone
Buch: Jean Rollin
Kamera: Serge Godet, Max Monteillet
Musik: Olivier Day
Darsteller: Natalie Uher, Jean-René Gossart, Thomass Obermuller, Gustavo Rodriguez, Hassan Guerrar, Morales, Luis Carlos Mendes, Tamira

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2016 Castle View Film/Alive.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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