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THE HYENA: Ein Erotikthriller ohne den geringsten Streß

Von 1994 an kümmerte sich der italienische Vielfilmer Aristide Massaccesi, besser bekannt unter seinem oft verwendeten Pseudonym „Joe D’Amato“, fast ausschließlich um die Erwachsenenunterhaltung: Bis zu Massaccesis Tod im Jahr 1999 entstanden über 100 Hardcore-Titel, in denen sich die Protagonisten quer durch geschichtliche, literarische und mythologische Szenarien – Verzeihung: – vögelten. Nur ganze vier Mal entstanden noch Streifen, die nichts mit dem XXX-Genre zu tun haben – und doch ganz zum Gesamtwerk dieses Regisseurs passen, der einst im Interview mit Splatting Image sagte: „Ja, ich mag nackte Körper, weil die sehr kommerziell sind.“ Rein professionelles Interesse also.

LA IENA, auf Englisch THE HYENA („Die Hyäne“, aber bis zu uns kam der Film nie) ist einer dieser vier Streifen, bei denen man auf kommerzielle Körper aber nicht verzichten muß. Auch wenn D’Amato einer der letzten war, die Pornos noch auf Zelluloid drehten, hat die gewöhnlich schnelle und schludrige Arbeitsweise in diesem Bereich seinen Inszenierungen kaum gut getan: Auch frühere Streifen von ihm waren gerne mal billig und flott heruntergekurbelt, aber bei LA IENA merkt man selbst gegenüber seinen Erotik-Quickies der späten Achtziger und frühen Neunziger einen Qualitätsabfall. Die Bildarbeit hier ist beinahe auf Amateurniveau, das Licht ist flach, die Einstellungen sind reizlos.

… naja, reizlos im relativen Sinne.

Der Streifen dreht sich um die blonde Emy, die von ihrem Mann Max zuhause alleinegelassen wird. Max begibt sich angeblich auf Geschäftsreise – tatsächlich trifft er sich aber mit einer anderen Frau und wird den restlichen Film über fummelnd auf der Couch liegen, ohne je wieder mit der Haupthandlung in Berührung zu kommen. Derweil bricht bei Emy ein Wüstling namens Roy ein, der die Haushälterin erschießt und Emy gefangenhält. Roy hat Emys Schwester Francesca gekidnappt und droht, ihr etwas anzutun, wenn Emy ihm nicht 500.000 Dollar zahlt. Da leider Wochenende ist und die Banken erst Montag wieder aufmachen, müssen es sich Roy und Emy einige Tage lang bequem in der Hütte machen …

Man sieht: Ein wirklich durchdachter Plan, den Hyäne Roy da ausführt. Aber so ganz in der Wirklichkeit spielt LA IENA ohnehin nicht: Roy zeigt Emy Photos ihres untreuen Ehegatten mit seiner Geliebten und bandelt daraufhin selber mit Emy an; später kommen Gäste ins Haus, die dann von Roy und Emy unterhalten werden – nur daß Roy mit der feschen Dana nach oben verschwindet und Emy etwas eifersüchtig wird. Emy darf sogar losziehen und einkaufen, um für den Alkoholnachschub zu sorgen – die gelegentliche Beteuerung, daß Emy wegen Francescas Wohlergehen keine Hilfe holen darf und sich nichts anmerken lassen soll, reicht hier völlig aus, um ein fast entspanntes Wochenende zu verbringen.

Frauen und Photographie: Massaccesi führt zusammen,
was bei Antonioni noch getrennt war.

Weil die Story nicht gar so üppig ausfällt wie die Oberweiten, läßt sich D’Amato viel Zeit – mit allem. Am Anfang baden Max und Emy ausführlich zusammen. Nachdem sich Max dann anderswo mit seiner Geliebten trifft, schießt eine ominöse Frau im Hintergrund Photos, dann knipst sie noch ein paar Bilder, dann macht sie noch ein paar Aufnahmen zur Sicherheit, und dann photographiert sie das Liebespaar mal so richtig ausführlich … bevor sie noch ein paar Photos macht. Später rennt eine Freundin von Emy, Linda, mit einem männlichen Model am Strand herum und knipst den; sie geht auch noch zu einer Wahrsagerin und lauscht einem Straßenmusikanten. Der bemerkenswert geringe Streßlevel dieses Films hat schon beinahe etwas Meditatives an sich.

Ein paar Twists gibt’s dann auch noch – angefangen mit der Tatsache, daß die ominöse Photographin tatsächlich Francesca ist, die mit Roy gemeinsame Sache macht und von ihm aber leider mit dem Küchenmesser abgemurkst wird. Da verdient sich LA IENA dann beinahe das Label „Erotikthriller“ – sofern man sich unter Thriller halt nichts vorstellt, was unglaublich thrillt.

Trotz Geiselsituation werden Hausgäste freundlich begrüßt.

Wobei man gar nicht so unfair sein muß zu diesem kleinen Filmchen: Vielleicht bin ich durch übermäßigen Massaccesi-Konsum schon lustig im Kopf geworden, aber irgendwie entwickelt selbst LA IENA immer wieder diesen hübschen D’Amato-Schmuddelreiz. Ein bißchen Sex zu entspannter Synthmusik, ein paar Schlenker in der Handlung, und plötzlich ist es irgendwie interessant, wie Emy beim Liebesspiel mit Roy nach seiner Waffe greift (die der ohnehin nicht sehr kompetente Verbrecher gleich am Nachtkasten liegen läßt) und sie dann doch wieder losläßt – und nein, trotz der Tatsache, daß hier primär Männerphantasien bebildert werden, bedeutet das nicht automatisch, daß sie mit dem Kerl jetzt verträumte Blicke austauschen wird.

Eine Anmerkung zum Schluß: Während Roy sich Zutritt zu Emys Haus verschafft, sitzt sie auf der Couch und schaut sich einen Horrorfilm an. Der hat zwar einen neuen Synthscore verpaßt gekriegt, bleibt aber doch für Kenner von Massaccesis Ouevre unverkennbar: Emy schaut sich tatsächlich den berühmt-berüchtigten MAN-EATER an! Augenzwinkerndes Selbstzitat oder schlichtweg nur der einfachste Weg, Geld zu sparen? Bei Joe D’Amato weiß man das nie so genau …

Ach ja, und habe ich erwähnt, daß Roy mitten während des Films auf eine Leiter klettert und an einem Aktgemälde an der Wand herumleckt?

 

The Hyena (Italien 1997)
Originaltitel: La iena
Regie: „Joe D’Amato“ (= Aristide Massaccesi)
Drehbuch: „Harry J. Ball“ (= Remo Angioli) (Story), „Dennis J. Ball“ (= Andrea Angioli), David M. D’Ingeo, „Roxanna Cooper“ (= Rosanna Coggiola)
Kamera: „Federico Slonisco“ (= Aristide Massaccesi)
Musik: Max Magagni
Darsteller: Cinzia Roccaforte, David D’Ingeo, Anna Maria Petrova, Jason Saucier, Lisa Comshaw, Fonda Rosing, Nevena Boris

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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