BEZIEHUNGEN UND ANDERE KATASTROPHEN: Partydrama und Geschrei

Film / Neuer als alt / 8. August 2014
Noch sind Joe (Alan Cummings) und Sally (Jennifer Jason Leigh) glücklich …

Der Schriftsteller Joe und die Schauspielerin Sally laden zu ihrer sechsjährigen Hochzeitsfeier ein. Im Kreis diverser Freunde und Bekannter aus dem Showbusiness verbringen sie eine ausschweifende Nacht in ihrem mondänen Hollywood-Anwesen – aber so unbekümmert, wie es den Anschein hat, ist der Abend nicht: Joe und Sally haben nach einer Trennung jetzt erst wieder zueinander gefunden und kämpfen noch mit Spannungen. Mit den höflichkeitshalber eingeladenen Nachbarn gab es über die Jahre hinweg immer wieder Zoff, Sally ist als Schauspielerin ausgebrannt, ihr Regisseur verzweifelt, und Joe hat für die Verfilmung seines autobiographischen Bestsellers, bei dem er selber Regie führen darf, nicht etwa Sally als Hauptrolle angeheuert, sondern einen weitaus jüngeren Shooting Star. Im Alkohol- und Drogenrausch kochen in der Gesellschaft nach und nach die Emotionen über …

Die prominente Partygesellschaft: Jennifer Jason Leigh, Alan Cumming,
Phoebe Cates, Jennifer Beals, Gwyneth Paltrow, John C. Reilly und andere.

BEZIEHUNGEN UND ANDERE KATASTROPHEN – im Original schlicht THE ANNIVERSARY PARTY – nennt sich dieser schmal budgetierte, digital gedrehte Independent-Streifen aus dem Jahr 2001, den die Hauptdarsteller Alan Cummings (Joe) und Jennifer Jason Leigh (Sally) auch gemeinsam geschrieben, produziert und inszeniert haben. Dazu konnten sie eine durchaus beeindruckende Gästeliste zusammentrommeln: Leighs langjährige Freundin Phoebe Cates (mit der sie zusammen in ICH GLAUB‘ ICH STEH IM WALD spielte) ist ebenso wie deren Ehemann Kevin Kline dabei; Gwyneth Paltrow spielt das junge Starlet, John C. Reilly den frustrierten Regisseur, Parker Posey dessen Ehefrau, und Jennifer Beals ist als beste Freundin von Joe dabei. Auch die Familien sind involviert: Leighs Halbschwester Mina Badie spielt die nervöse Nachbarin, die beiden Kinder von Kline und Cates tauchen auch auf. Für die Musik war Songwriter Michael Penn zuständig, als „musical archivist“ wirkte Eels-Chef E mit.

Bei soviel gesammeltem Talent und offenkundigem Herzblut ist es umso enttäuschender, wie wenig Cumming und Leigh mit ihrer Geschichte dann doch erreichen. Das Grundprinzip der Partygesellschaft, in der nach und nach die Wahrheiten ans Tageslicht kommen, ist ebenso altvertraut wie verläßlich, aber hier wird das Muster nur sehr mühsam gefüllt. In der ersten Filmhälfte werden die Figuren eingeführt, während die Party ihren Gang nimmt, und die Probleme zwischen ihnen werden ersichtlich. Leider bleiben diese Menschen nur sehr oberflächlich gezeichnet – ihre Schwierigkeiten sind weder besonders interessant, noch entwickeln sie sich irgendwohin. Als inszenatorisches Prinzip dient dabei stets die Verlegenheit: Die Leute plagen sich mit Smalltalk ab, unangenehme Pausen entstehen, das relevante Problem wird sofort deutlich und gibt dann auch schon nicht mehr viel her. Man fühlt sich selber wie auf einer Party, bei der manche Leute sympathisch sind und manches banale Gespräch ganz amüsant ist, aber wenn man nach dem Höflichkeitsbesuch bald wieder heim darf, ist man auch nicht böse.

Die Party wird zum Drama: Michael Panes, Jennifer Jason Leigh,
Gwyneth Paltrow und Alan Cumming (v.l.n.r.).

Dafür wird dann in der zweiten Hälfte Drama aufgefahren, als gäbe es kein Morgen mehr. Eine Abtreibung wird ins Spiel geworfen, ein Gast kommt beinahe im Pool um, die Nerven liegen blank, eine Überdosis kommt auch noch dazu, und Leigh und Cumming wetteifern darum, wer am hysterischsten und nachhaltigsten schreien kann. Die Probleme werden durch die plötzlichen Abgründe nicht interessanter, nur ärger: Zwischenmenschliche Komplexitäten sind kaum vorhanden, die meisten Figuren bleiben eindimensional – nur Joe und Sally kriegen mehr Färbung, aber ihre Enthüllungen haben Seifenopern-Flair, und etwaige Zwischentöne gehen im Gebrüll unter.

Man fühlt sich ausgelaugt und etwas verkatert nach dieser ANNIVERSARY PARTY. Wenn es eine tatsächliche Feier wäre, würde man nächstes Jahr eine gute Ausrede finden, warum man nicht teilnehmen kann.

 

Beziehungen und andere Katastrophen (USA 2001)
Regie: Alan Cumming & Jennifer Jason Leigh
Buch: Alan Cumming & Jennifer Jason Leigh
Kamera: John Bailey
Musik: Michael Penn
Darsteller: Alan Cumming, Jennifer Jason Leigh, Jane Adams, Jennifer Beals, Phoebe Cates, Kevin Kline, Gwyneth Paltrow, Parker Posey, John C. Reilly, John Benjamin Hickey, Denis O’Hare, Mina Badie, Michael Panes, Mary-Lynn Rajskub

Die Screenshots stammen von der DVD von Warner Bros., (C) 2003 New Line Home Entertainment.






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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