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DEF BY TEMPTATION: Von Dämonen und wichtigen Lebensentscheidungen

„Ich kann allem widerstehen, nur nicht der Versuchung“, schrieb Oscar Wilde im Jahr 1892. Diese Versuchung tritt natürlich in allen möglichen Gestalten auf: Es ist immer das, was man nicht tun sollte oder darf – und das reizt natürlich besonders. In dem Horrorfilm DEF BY TEMPTATION aus dem Jahr 1990 ist die Versuchung Person und Dämon zugleich: Ein im wahrsten Sinne des Wortes männermordendes Ungeheuer zieht hier als unwiderstehlicher Vamp durch die Bars von New York und nährt sich an der Lebenskraft der willigen Männer, die nur zu gerne mit der schönen Frau nach Hause gehen.

Für den jungen Theologiestudenten Joel taucht diese Verführerin an einem schwierigen Zeitpunkt in seinem Leben auf: Er ist aus der Kleinstadt, wo er noch bei der Großmutter lebte, nach New York gekommen, um über die weitere Richtung seines Lebens nachzudenken. Sein Jugendfreund „K“, der früher mit ihm zusammen studierte, aber dann das weltliche Leben als Schauspieler vorzog, berichtet ihm von einer aufregenden Frau, die er gerade erst kennengelernt hat – exakt jener Vamp, der nun plötzlich „K“ gar nicht mehr kennt und sich stattdessen bemüht, Joel von seinen Moralvorstellungen abzubringen …

Auch wenn DEF BY TEMPTATION von dem für grobe Geschmacklosigkeiten und hemmungslosen Trash bekannten New Yorker Undergroundstudio Troma vertrieben wird, stellt der gering budgetierte Horrorstreifen eine gewisse Anomalie in deren Programm dar: Der Film wirkt fast so, als hätte sich der junge Spike Lee an einer Vampirgeschichte versucht. Der Vergleich kommt nicht von ungefähr: Regisseur, Autor, Produzent und Hauptdarsteller James Bond III (kein Pseudonym!) war einer der Darsteller in Lees SCHOOL DAZE, ebenso wie die Nebendarsteller Kadeem Hardison (bei uns hauptsächlich aus der Cosby-Spinoff-Serie COLLEGE-FIEBER bekannt), Bill Nunn (später in SISTER ACT und SPIDER-MAN) und Samuel L. Jackson (noch einige Jahre vor seinem Durchbruch mit PULP FICTION). Daß Lees Kameramann Ernest Dickerson auch die Bilder für DEF BY TEMPTATION einfing, verdichtet die Verbindung zum Ende der Achtziger aufblühenden jungen schwarzen US-Kino natürlich umso mehr.

Diese stimmungsvolle Kameraarbeit, die den Film trotz seines offensichtlichen Minimalbudgets weitaus besser aussehen läßt als andere Horrorstreifen, ist dabei aber nicht das einzige, was DEF BY TEMPTATION auszeichnet. Bond III nimmt seine Geschichte durchaus ernster, als es das Genre erfordern würde: Seine Story von der naiven Unschuld, die durch die Verführung verdorben zu werden droht, hat eine gewisse Resonanz, weil der Glaube der Hauptfigur als persönliche Wertvorstellung und nicht als weltfremdes Dogma gezeichnet wird. In den Gesprächen zwischen Joel und „K“ klingt eine Authentizität durch, die beide Figuren stärkt und uns in das Geschehen hineinzieht – da ist beispielsweise Platz für die Anmerkung, daß Joel als Prediger seine Augen nicht vor der Realität der Straße verschließen darf, und daß diese Realität ein Resultat der „Reaganomics“ ist, also der Wirtschaftspolitik von Präsident Ronald Regan. Nicht nur die Tatsache, daß Bond III den Film seinem verstorbenen Vater und seinem verstorbenem Großvater widmet und im Film selber die Hauptfigur als letzter seiner Familienlinie fungiert (Joels toter Vater erschient ihm mehrfach im Traum), läßt erahnen, daß Bond III die Horrorstory als Vehikel nimmt, um über Dinge zu reden, die ihm wichtig sind.

„When you are just one step away from reaching your goal – that actually is a crossroad, and it’s up to you to look both ways.“

Vielleicht kann der Film sogar als AIDS-Allegorie gelesen werden. An einer Stelle entdeckt ein Opfer von Temptation, dem unwiderstehlichen Vamp, schwere Kratzspuren am Rücken – interessanterweise läßt sie den Mann leben, der als Ehebrecher gezeigt wird, sagt ihm aber: „Those marks are nothing compared to what you’re going to get later. Honey, I’ve given you something there’s no cure for. It’s gonna grow and grow until it consumes you.“ Natürlich redet sie eigentlich von der Schuld – aber die Tatsache, daß der Mann in einer späteren Sequenz mit körperlichem Verfall gezeigt wird, läßt den Gedanken an die schreckliche Immunkrankheit, die in den Achtzigern aufkam, nicht abwegig erscheinen.

Bei allen ernsten Anklängen macht DEF BY TEMPTATION aber auch durchaus Spaß. Der Film nimmt ganz beiläufig männliche Verhaltensmuster aufs Korn – mal recht zynisch, wenn das erste Opfer des verführerischen Dämons zuvor noch einem One-Night-Stand am Telefon schulterzuckend erläutert, sie solle halt einfach abtreiben; dann wieder eher augenzwinkernd, wenn ein hoffnungsfroher Aufreißer in der Bar mit immer blöderen Sprüchen regelmäßig bei den Damen abblitzt. Und nicht zuletzt bleibt der Film ja primär mal ein sparsam budgetierter Horrorstreifen, bei dem ein wenig Blut spritzen darf, preiswerte Dämonenmasken eingesetzt werden und ein armes Opfer in einer clever gemachten Sequenz von seinem eigenen Fernseher vernascht wird.

Eigentlich hätte der Film dem ehemaligen Kinderdarsteller James Bond III die Türen zu weiteren Projekten öffnen sollen – bei aller B-Horror-Verpackung zeigt DEF BY TEMPTATION genug Ambition, daß man neugierig wäre, was uns der Filmemacher noch zu sagen hätte. Tatsächlich aber verschwand Bond III danach von der Bildfläche – sowohl als Filmemacher als auch als Schauspieler. Erst seit ein paar Jahren ist er zumindest als Produzent wieder aufgetaucht. Auch die Darstellerin der Temptation, Cynthia Bond (vielleicht verwandt?), ward nie wieder gesehen – obwohl sie hier eine großartige, attraktive Verführerin mit einer prächtigen Mischung aus gespielter Unschuld und durchblitzender Boshaftigkeit spielt.

Aber so ist das im Leben: Die wenigsten Biographien verlaufen auf einer vorhersehbaren geraden Linie von A nach B. Und das paßt ja auch wieder ein bißchen zu den angeschnittenen Themen des Films.



Def by Temptation (USA 1990)
Regie: James Bond III
Buch: James Bond III
Produktion: James Bond III
Kamera: Ernest R. Dickerson
Darsteller: James Bond III, Kadeem Hardison, Bill Nunn, Samuel L. Jackson, Minnie Gentry, Rony Clanton, Cynthia Bond, Najee, Freddie Jackson, Melba Moore, Michael Michele

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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