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[Musiknews] Nachruf: Pete Namlook (1960-2012)

Ganz frisch ist die Nachricht nicht, aber ich habe erst am Wochenende zufällig davon erfahren: Der deutsche Elektronik-Musiker Pete Namlook ist am 8. November 2012 im Alter von nur 51 Jahren gestorben. Nähere Details scheinen aber auch jetzt noch nicht bekanntgegeben worden zu sein.

Was kann ich sagen – ich bin schockiert über die Nachricht. Nicht nur, weil ich ein großer Fan von Namlooks Musik bin. Und nicht nur, weil 51 nun wirklich kein Alter ist. Sondern auch, weil Pete immer in höchster Produktivität und mit Begeisterung neue Musik generiert hat, neue Musiker gefördert hat und generell stets in die Zukunft zu blicken schien – nicht umsonst haben die meisten seiner Aufnahme einen sehr futuristischen Charakter, so als wäre die Zukunft das größte und spannendste Abenteuer, auf das wir uns einlassen können. Namlook schien sich immer auf diese Zukunft zu freuen.

Der Output dieses Mannes ist fast unüberschaubar groß und dabei doch oft von sehr hoher Qualität. Namlook (der mit bürgerlichem Namen Peter Kuhlmann hieß – „Namlook“ kommt heraus, wenn man seinen Nachnamen rückwärts und auf Englisch ausspricht) startete Anfang der Neunziger sein eigenes Label, auf dem er zunächst hauptsächlich 12″-Singles von sich und anderen Musikern herausbrachte. Dieses Label hatte eigentlich keinen Namen – weshalb schnell das Mißverständnis aufkam, daß die aufgedruckte Faxnummer FAX +49-69/450464 der Labelname sei. Und das hat Namlook dann bald übernommen, während das kurz Fax genannte Label weiter anwuchs.

Bald folgten ganze CD-Alben, und das zu Namlooks produktivster Zeit tatsächlich im 14-Tages-Rhythmus: Das ganze Jahr über brachte er neue Musik heraus, mal Soloalben, mal Zusammenarbeiten mit Kollegen, mal nur von ihm veröffentlichte Aufnahmen von Newcomern und Musikern, die er mochte. Und es ist nach wie vor erstaunlich, wie gut so viele dieser Unmengen an Platten sind: Insgesamt müssen es über 330 Alben sein, die Namlook über die Jahre herausgebracht hat, und viele davon sind fantastische und keinesfalls hingeklatschte Trips, die so bildstark sind, daß sie wie Soundtracks zu nicht existierenden Filmen funktionieren.

Auch wenn sich Namlooks Musik unter „Elektronik“ subsummieren läßt, reicht sein Horizont in diesem Bereich doch sehr weit: Vom reinen Ambient über Chill-Out-Elektro und Techno hin zu allen möglichen Unterarten und Variationen des Genres hat er alles gemacht, teilweise mit Jazz verknüpft (wie auf POLYTIME, seinem Album mit Vibraphonspieler Karl Berger) und teilweise mit Weltmusik verwoben (wie auf SULTAN OSMAN, einer Zusammenarbeit mit Burhan Öçal); manches ist federleichter Entspannungssound, anderes epische und düstere Breitleinwand – aber es klang immer so, als hätte er große Lust, sich auf eine neue musikalische Reise zu begeben. So hat er denn auch mit zahlreichen renommierten und spannenden Musikern zusammengearbeitet, von Synthpionier Klaus Schulze (THE DARK SIDE OF THE MOOG) über Atom Heart, Bill Laswell, Tetsu Inoue, David Moufang hin zu Jonah Sharp und sogar Trautonium-Erfinder Oskar Sala. Wie schon angedeutet, zog sich ein futuristisches Thema durch die meisten seiner Alben: Vieles klingt nach Science-Fiction-Film, nach der Unendlichkeit des Weltalls, nach wundersamen Entdeckungen und nach der Pionierleistung der Raumfahrt.

Erwähnenswert ist auch das Layout der Fax-Alben: Schon von Beginn an überlegte sich Namlook nämlich ein System, wie man die einzelnen Releases identifizieren konnte. Anfangs sorgten Farben für Genrezuordnungen, später gab es bestimmte Logos, um z.B. zu zeigen, ob ein Album eine internationale Zusammenarbeit war. Die frühen Veröffentlichungen hatten allesamt ein Coverartwork in einem Kreis; aber auch später, als sich die Frontmotive etwas änderten, war hinten immer dasselbe Design zu sehen: Ein Kreis, in dem die Tracktitel standen, und rund um den Kreis die Aufnahmeinfo. Auf den CDs selber gab es sogar eine eigene Schrift, in der die Infos festgehalten waren. Namlook sorgte mit diesem Look dafür, daß man die Fax-Alben sofort erkennen konnte.

Jede Fax-Veröffentlichung war limitiert – anfangs meist auf 1000 oder 2000 Stück, später dann auch mal nur auf 500 oder 300, vor allem, nachdem in den 2000er-Jahren die CD-Verkäufe zurückgingen. Dementsprechend selten sind viele seiner früheren Releases: Für manche seiner CDs darf man auf eBay dreistellige Summen hinlegen. Namlook schaffte selber Abhilfe, indem er das Ambient-World-Unterlabel für Wiederveröffentlichungen der beliebtesten Alben gründete – und mittlerweile sind sogar manche dieser Titel teure Raritäten.

Ich selber habe ca. 35 von Namlooks Alben – die Fax-Veröffentlichungen, die er selber nur produzierte, mal mitgerechnet. Angesichts des enormen Outputs ist das nicht wahnsinnig viel – aber es ist doch eine reichhaltige Auswahl an verschiedenen Stimmungen, Bildern, und Ansätzen. Zu meinen Favoriten zählt PLANETARIUM 2 – eine Zusammenarbeit mit den russischen New Composers, die zwischen Ambient und Techno das Leben auf einer Raumstation evoziert – und S.H.A.D.O, ein mit der Gruppe Higher Intelligence Agency (was für ein steiler Name!) aufgenommes Sci-Fi-Gebräu aus Klicken, Piepsen, Weltraumflächen und Roboterstimmen. Wundervoll auch der entspannt kosmische Groove von THE RETRO ROCKET, der dritten Kollaboration zwischen Namlook und Move D.

Mit Pete Namlook ist ein großartiger Musiker und ein viel zu wenig beachteter Pionier gestorben. Ich hoffe, daß er jetzt irgendwo ist, wo er sich immer noch auf die Zukunft freuen kann – und sie klanglich mitgestaltet.

Zum Abschluß noch ein Stück, das vielleicht mein liebster Namlook-Track ist: „Go No Go“ vom Soloalbum SOLARIZED. Ein grandioser Aufbruch ins Unbekannte. Das Video wurde von einem treuen Fan gestaltet und ist durchaus nett gemacht – aber die Musik produziert selber so starke Bilder, daß es die Untermalung hier gar nicht bräuchte:



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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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