SCHULMÄDCHEN-REPORT, 3. TEIL – WAS ELTERN NICHT MAL AHNEN: Der aufklärerische Weg ins Verderben

Film / Wühlkiste / 10. August 2010

Da steht er wieder, der gute Friedrich von Thun, vor einem gigantisch aufgepusteten Plakat von DER NEUE SCHULMÄDCHEN-REPORT, 2. TEIL, und schaut unglaublich seriös in die Kamera. „Meine Damen und Herren, Sie werden mich vielleicht kennen, wenn Sie zu den zehn Millionen Zuschauern gehören, die die ersten beiden Teile des SCHULMÄDCHEN-REPORTs gesehen haben.“ Report without a cause, I’m going platinum! Und weil im zweiten Teil ja auch so schön gerechtfertigt wurde, warum es eine Fortsetzung geben musste, wird auch diesmal erläutert, warum die Leute für denselben Schmonses schon wieder Geld ausgeben sollten: „Sie werden sich mit Recht fragen: Was können die uns in einem dritten Teil noch bieten? Nun, Sie werden sehen, dass die gezeigten Tatsachen neu und noch schockierender sind. Bitte urteilen Sie selbst.“ Na hallo, die fahren ja das ganz große Programm auf.

Auch im dritten Teil des Dauerreports – keine sechs Monate nach Teil 2 mit dem Untertitel WAS ELTERN NICHT MAL AHNEN veröffentlicht – gibt es wieder eine erzählerische Klammer, die die einzelnen Episoden zusammenhält. Hier ist es ein Ausflug einer Schulklasse in ein CVJM, wo die Jungs und Mädchen zunächst mal allesamt forsch nackt im See baden (die alte Rosl Mayr kommt vorbei und wettert einen Burschen an: „Sie Saubär! So nackert war ich ja ned amoi in da Hochzeitsnocht!“), bevor sie nachts bei gemischtgeschlechtlicher Bettteilung erwischt werden. In der Früh sitzen also die Mädchen beisammen und sprechen über Sex. Und weil die Geschichten ja wie versprochen „neu und noch schockierender“ sein sollen, legt der dritte Teil des Reports auch prompt ein paar Gänge zu, was Härtegrad und Fragwürdigkeit des Erzählten angeht.

Auch die hübsche Ingeborg Steinbach kann dem unerfahrenen Jüngling Michael Schreiner nicht helfen.

Gleich in der ersten Vignette wird also ein 14-jähriges Mädchen auf der Schultoilette von drei älteren Schülern vergewaltigt. Der Hausmeister droht ihr, dass ihr Leben für immer verpfuscht sei, wenn die Tat auffliegen würde, und lässt sich sein Schweigen damit erkaufen, dass sie sich von ihm mit diversen älteren Herren gegen Geld verkuppeln lässt. Es stellt sich heraus, dass besagter Hausmeister die drei Jungs angeheuert hatte, um sie in die Prostitution treiben zu können. Während sich da also ein beamteter Freier über das halbnackte Mädchen hermacht, ermahnt uns die Erzählstimme, dass das Gezeigte wahr sei und hier „ein Schulmädchen, ein halbes Kind noch“ zum begehrten Sexualobjekt wird. Der Sprecher klagt an: „So abscheulich der Fall ist, er ist auch durch die Zeit verschuldet. Eine Zeit, in der selbst seriöse Lokalzeitungen als Aktphotomodelle vorwiegend minderjährige Schulmädchen benutzen“. Und natürlich eine Zeit, in der weniger seriöse Aufklärungsproduzenten voyeuristische Filmchen rund um minderjährige Schulmädchen stricken (bzw. um volljährige Frauen, die minderjährige Schulmädchen darstellen). „Das Schulmädchen ist längst das Sexsymbol unserer Zeit“, tönt der Sprecher noch aufgeregt hinterher, während man zusehen darf, wie immer neue ältere Herren das junge Ding begrapschen. Das Statement könnten wir noch eingehender kommentieren, aber das würde freilich bedeuten, dass man den reißerischen Unfug ernster nimmt, als er es verdient.

Auch die nächste Geschichte ist sozusagen ein Knüller: Da wird von dem netten 30-jährigen Lehrer erzählt, der im Unterricht und in Privatsitzungen ausgiebigen Körperkontakt mit seinen Schülerinnen pflegt. Weil er gleich in der gezeigten Unterrichtsstunde einer Schülerin die Hand auf die Brust legt, einer anderen übers Bein streicht und eine dritte dazu bringt, ihm das Höschen zu zeigen (das sie dann auch noch anhebt, damit er das darin befindliche Schild mit der Waschinfo lesen kann!), hält auch diese Episode nicht wirklich lange die Glaubwürdigkeit eines dokumentarischen Reports aufrecht – auch wenn sich der Sprecher schwer bemüht, indem er uns mit Erkenntnissen eindeckt, für die man anderswo wahrscheinlich die Berechtigung für ein Psychologiestudium verlieren würde: „… längst erklären Psychologen, dass junge Mädchen ihre ersten Liebeserlebnisse am liebsten mit einem Mann haben möchten, der sie an ihren Vater erinnert – ist das bei einem Lehrer nicht der Fall?“

Dieser Lehrer nimmt sich viel Zeit für seine Schüler (und hat in der Ausbildung womöglich die eine oder andere Ethikvorlesung ausgelassen).

So werden also Schülerinnen befragt und müssen ihre sexuellen Begegnungen mit dem Lehrkörper wiedergeben. Von einer Schülerin beispielsweise holt sich besagter Lehrer sexuelle Gefälligkeiten, damit sie nicht durchfällt. Eine andere zieht er im Lehrmittelzimmer aus und lobt sie: „Du bist ja eine richtige kleine Frau!“ Es sollte nicht verschwiegen werden, dass sämtliche Mädchen in der Klasse sehr gerne von diesem Lehrer begrapscht und benutzt wurden und ihn unglaublich charmant und attraktiv finden – und deswegen gegen seine Bestrafung sind! Ein auf der Straße befragtes Mädchen findet zu der Thematik dann noch schlaue Worte: „Wenn ein Mädchen anständig ist, kann es vieles vermeiden.“

Damit der Käse, der den lechzenden männlichen Zusehern ja immer irgendwie verklickert, dass die jungen Mädchen nicht nur dauernd Sex wollen, sondern auch sehr gerne belästigt werden und im Zweifelsfall dann auch noch selber schuld sind, auch gebührend journalistisch aufbereitet werden kann, führt hier neben der mahnenden Erzählstimme – zum letzten Mal – auch wieder Friedrich von Thun Befragungen auf der Straße durch. Er muss geahnt haben, dass sich seine Zeit in der Serie dem Ende naht, weil er diesmal im peinlichen Anquatschen von Frauen weniger Enthusiasmus an den Tag legt als noch in den beiden ersten Teilen. Dafür sorgt er mit dieser kniffligen Frage für hochgradige Verwirrung: „Sind Sie als Schulmädchen schon mal mit sexuellen Dingen in Berührung gekommen, die Sie uns verschweigen wollen?“ Ob er sich da ausführliche Antworten erhofft hat?

Renate (Karin Götz) rettet die Ehe ihres Vaters (Dieter Groest).

Derweil geht der Sleaze-Reigen munter weiter: Bei einer 14-Jährigen blüht die Sexualität auf, also veranstaltet sie mit ihrem 10-jährigen Cousin Doktorspiele. „Mensch“, zeigt sich der Junge beim Anblick ihres Busens verblüfft, „das sind ja dieselben Dinger wie bei meiner Mami. Da kommt Milch raus, oder?“ Sie ist derweil etwas enttäuscht ob der mangelhaften Größe seines Penis, und noch viel mehr darüber, dass er offenbar nicht größer wird. Als die beiden dann nackt auf dem Bett rangeln, kommt der Vater herein, der dann seiner nackten Tochter den Hintern versohlt (während er sie durchs Zimmer jagt). „Schläge sind noch keine Erziehung: Dieser Vater handelt falsch“, verkündet die Stimme aus dem Off. Und weil’s so schön ist und uns ja „neu und noch schockierender“ versprochen wurde, sehen wir auch gleich noch eine Tochter, die über das Fremdgehen ihres Vaters schockiert ist und sich dann selbst dem Papa an den Hals wirft, damit sich die Eltern nicht scheiden lassen müssen (wogegen Vati zwei- bis dreimal protestiert und dann eine mehrwöchige Beziehung mit dem Töchterlein eingeht). Aber nunja, dass die Mädels gerne den Papi heiraten möchten, haben wir ja vorhin schon gelernt.

Es folgt eine, räusper, schöne Episode um eine Lolita, die den Vater eines Schulkameraden verführt (gibt es eigentlich auch noch gleichaltrige Menschen, die miteinander schlafen?) und mit ihm dann Dauersex im Wald auf der Motorhaube des Autos, im Pool und in der Hollywoodschaukel hat. Besagter Vater wird übrigens von Dietrich Kerky gespielt, der im 2. Teil auch schon den armen Dr. Mallinger verkörperte, der nach der Affäre mit einer Schülerin Selbstmord beging. Hier wird der gute Mann der Vergewaltigung bezichtigt, nachdem die Eltern des Mädchens erbost hinter das Verhältnis gekommen sind und die nette Lolita ihnen erzählt hat, dass er sie mit Gewalt genommen habe. Herr Doktor kommt vor Gericht, und der Sprecher listet eifrig Statistiken auf, wie viele junge Mädchen ihre sexuellen Verhältnisse mit älteren Herren aktiv provoziert haben. Und was haben wir gelernt bei dieser Vignette? „Über tausend Männer müssen Jahr für Jahr in Deutschland ins Gefängnis. Das Gericht wirft ihnen Verführung Minderjähriger vor. Wie viele Männer verurteilt werden, die in Wirklichkeit unschuldig sind, zeigt keine Statistik.“ Es ist die pure Anbiederung an das reifere Publikum, das vermutlich recht gerne hört, dass es ja nun wirklich gar nichts dafür kann, wenn es sich mit Minderjährigen einlässt.

Noch hat Dietrich Kerky Freude an seiner Lolita (Carmen Jäckel).

Es folgt eine Geschichte über sexuelle Hörigkeit: Die junge Margot erklärt emanzipatorisch, dass sie selbst bestimmt, wann sie Sex haben will, und gabelt flugs im Schwimmbad einen Kerl auf. Der Sprecher führt zur Geschlechterfrage Valerie Solanas´ Buch MANIFEST ZUR VERNICHTUNG DER MÄNNER und Esther Vilars DER DRESSIERTE MANN als Gegenpole an: „Interessante Perspektiven in unserer toleranten Welt. Aber wohin führen sie, wenn ein halbinformiertes Schulmädchen sie zu ihrem Ideal macht?“ Bei unserem Fallbeispiel führt es dazu, dass Margots charmanter Bursche („Ich bin geil, zieh dich aus!“, und: „Bück dich!“) sie fortlaufend benutzt und sie nicht von ihm loskommt („Er kann sehr nett sein!“). Wir lernen durch den Sprecher: „Nicht selten enden zu selbstsichere junge Mädchen nach der Schulentlassung auf dem Strich“. Ah ja.

Einen lustigen Beitrag gibt es auch – schon wieder mit Michael Schreiner, dem Kerl mit der zuckenden Unterlippe, der diesmal mit der hübschen Ingeborg Steinbach des Nachts im Büro des Direktors Unfug anstellen will, aber leider kommen den beiden der Leistungsdruck (auf seiner Seite) und der parallel fremdgehende Herr Direx (nackt mit Lehrerin im Schrank versteckt) dazwischen. Und dann hat der unnachgiebige Report noch eine echte Räuberpistole anzubieten: Eine 14-Jährige vergnügt sich mit ihrem Freund in einem dunklen Eck auf dem Oktoberfest, aber dann kommt ein Triebtäter vorbei, erschießt den Burschen (!) und zerrt das Mädchen zu sich nach Hause in den Keller, wo er sich über sie hermacht. Nun mag die Aussage des Sprechers, Eltern sollten 14-Jährige nicht nachts alleine auf das Oktoberfest gehen lassen, ein durchaus sinnvoller Hinweis sein – aber freilich ist es vornehmlich nur Anzeichen der starken Doppelmoral der Serie, die die „Warnung“ in (angeblich) aufreizende Szenen packt, das Publikum mit „schockierenden“ Sensationen locken will, und darüber hinaus der vermeintlich aufgeklärten „Freiheit“ zum Trotz immer wieder sexuelle Aktivität mit Verbotenem und Unglückbringendem gleichsetzt.

Aber zum Schluss wird alles gut. In der letzten Episode geht es um eine Schülerin (Claudia Höll, schon im ersten Teil als Lilo dabei, die in der letzten Episode ihr erstes Mal erlebte), die mit ihrem Freund zusammengekommen ist, obwohl die beiden Väter verfeindet sind – und dann werfen sie zu lieblichen Streichern ihren hochdramatischen Selbstmordplan über Bord, weil das Leben viel zu schön ist. „Wir suchen doch alle nur einen netten Jungen, den wir liebhaben können“, erklärt das Mädchen, das die Story erzählt hat. Ich zücke ein Taschentuch und sehe mir gleich im Anschluss an den REPORT noch einen beliebigen Heimatfilm an, der dieselben Moralvorstellungen sozusagen ehrlicher darbietet: Mädels, sucht euch einen netten Kerl und bleibt mit dem zusammen, alles andere führt nur ins Verderben.

Schulmädchen-Report, 3. Teil – Was Eltern nicht mal ahnen (Deutschland 1971)
Regie: Ernst Hofbauer und Walter Boos
Buch: Günther Heller
Kamera: Klaus Werner
Musik: Siegfried Franz
Produktion: Wolf C. Hartwig
Darsteller: Friedrich von Thun
Länge: 93 Minuten
FSK: 18

Die Screenshots stammen von der Kinowelt-DVD.

Mehr über den SCHULMÄDCHEN-REPORT

Zwischen Schmuddelgeschichten und Zeitgeist-Millionenerfolg: In meinem Buch DER SCHULMÄDCHEN-REPORT: VON AUFKLÄRUNG UND ANDEREN RÄUBERPISTOLEN, erschienen in der Edition Popkultur, berichte ich ausführlich über alle 13 Teile der Aufklärungsreihe. Es ist ein ebenso heiter wie kritischer Streifzug durch alles, was Schulmädchen und Filmproduzenten wirklich treiben.

Bei Amazon als Taschenbuch kaufen

Bei Amazon als eBook kaufen

Homepage der Edition Popkultur






Avatar-Foto
Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





You might also like