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[Musiknews] Nachruf: Michael Jackson (1958-2009)

Im ersten Blog, den ich heute gelesen habe, habe ich über die Nachricht von Michael Jacksons Tod irgendwie noch drübergelesen – ich hätte mich ja schon wundern sollen, daß der da auf seinem Screenwriter-Blog ein Video von „Ben“ postet, aber irgendwie nahm ich an, daß irgendwer anderes in Verbindung damit gestorben sei. Erst im Twitter-Feed von Boris Schneider hab‘ ich’s dann geschnallt: Der König of Pop ist tot. (Daß das irgendwie für alle unglaublich ist, merkt man daran, daß die Nachricht im 140-Zeichen-Update eines Computerspieleveteranen auftaucht, der sonst „Habe mir gerade Vancouver mit Heinrich Lenhardt angesehen“ schreibt.)

Was für ein trauriges Ende eines tragischen Absturzes. Ich hab‘ ja nicht viel Bezug zu den Jackson 5, weil ich singende Kinder und Teenager gruselig finde (und bei gewissen Größenordnungen dann auch problematisch); aber Jacksons Solowerk hat ja wohl jeden begleitet, der in den Achtzigern nicht völlig autistisch oder der Zwölftonkomposition verschrieben war. Ein Schulkamerad in der fünften Klasse, Robert Scheurer (der nun leider auch schon lange Zeit nicht mehr unter uns weilt!), hatte mir damals Mixtapes zusammengestellt, auf denen – querbeet durch den Plattenschrank seines älteren Bruders – neben der EAV, Emerson Lake & Palmer, den Ärzten, Kraftwerk, Helloween, den Cro-Mags und anderen gar nicht zusammenpassenden Acts auch immer die Hits von Michael Jackson draufwaren. Die wir natürlich auch immens gut fanden: Wen interessierte schon, daß der Bursche Pop war? Die Songs waren mitreißend, hatten einen satten Groove, schlängelten sich mit ganz cleveren und nicht immer so ganz offensichtlichen Hooks ins Ohr, waren perfekt produziert von Quincy Jones, der eine Armee der besten Studiomusiker von L.A. daran setzte, und hatten – das allerwichtigste! – einen ganz eigenen Sound, der Jackson unverwechselbar machte. Jackson schwitzte sich durch Tracks, die R&B mit Rock verknüpften, er schrie und jauchzte und sang und keuchte rhythmisch; seine Stimme hatte immer eine ziemlich aggressive Kante, die uns sagte: Das bin ich, das ist mein Terrain, und um dieses Terrain kämpfe ich mit allem, was ich habe.

Die tatsächlichen Alben habe ich dann erst später nach und nach gekauft; aber natürlich kannte man schon das meiste davon, weil es allgegenwärtig war. 7 von 10 Songs auf THRILLER waren Singles. Und die waren nicht nur Hits, sondern sie haben die Popkultur der Achtziger nachhaltig geformt: Jackson hat den Äther für sich deklariert, hat zusammen mit Quincy die Blaupause für eine Armee von weitaus weniger talentierten R&B-Acts geliefert, hat getanzt, daß man nur staunen konnte, und sich selbst so überlebensgroß inszeniert, daß es später immer mehr in den bombastischen Kitsch ausartete. Die tanzenden Zombies aus dem „Thriller“-Video, inszeniert von John Landis, hatten Pfiff; Martin Scorsese strickte um „Bad“ eine kleine Geschichte um Jugendgangs; ab den Neunzigern dann rollten plötzlich Panzer über die Bühne und große Kinderchöre begleiteten Jackson, der auf einmal wie eine Heilsfigur mit transzendentem Lächeln eine Mischung aus Klindlichkeit und Größenwahn inszenierte.

Denn auch das gehört zu Jackson: Das Bizarre. Schon in den Achtzigern, wo er noch „heiß“ war, wurde ihm jeder nur erdenkliche Spleen angedichtet – von denen er auch sicherlich viele gehabt haben dürfte: Schließlich baut sich nicht jeder Popstar ein eigenes Neverland, in dem er nie erwachsen werden muß. Unter der Exzentrik schwang auch immer etwas Tragisches mit – schließlich war Jackson, wie seine Geschwister ja auch, vom Vater seinerzeit teils mit körperlicher Gewalt zum Proben, Singen und Tanzen gezwungen worden. Wenn ein Kind mit 6 Jahren schon von Abertausenden von Fans bejubelt wird und für seine Showkarriere arbeiten muß, dann ist es irgendwie nachvollziehbar, daß sich dieser Mensch als Erwachsener die verlorengegangene Kindheit zwanghaft zurückholen will: Er hat sie nie selbst erfahren. Ebensowenig kann in diesem Leben ein Gespür für ein „normales“ Leben entstehen, in dem Geld eine Rolle spielt und in der menschliche Beziehungen nicht immer aus der geblendeten Bewunderung heraus entstehen – kein Wunder also, daß Jackson sich irgendwann in einen großen Schuldenberg hineinwirtschaftete und trotzdem keine Ahnung davon hatte, wie er damit umgehen sollte.

In den Neunzigern gab’s den ersten Prozeß um seine angebliche Pädophilie, der noch außergerichtlich geregelt wurde. Sein Album HISTORY von 1995, das er danach aufnahm, ist voll nur oberflächlich unterdrückter Wut und in seiner Mischung aus leichten Popmelodien und harten Anklagen, der Heile-Welt-Naivität und Jacksons beißender Stimme fast schizophren – und vielleicht gerade deswegen sehr spannend. Da faucht Jackson, mit hämmernden Synthesizern und dissonanten Störgeräuschen im Hintergrund, daß man ihn in Ruhe lassen soll, daß man seine Geschichte kennen soll, bevor man ihn verurteilt; er widmet ein ganzes Lied dem Staatsanwalt, der die Ermittlungen leitete – und singt dann von Frieden und Liebe und Brüderlichkeit wie ein besessener Cat Stevens. Der Größenwahn hatte ihn da schon völlig gepackt: Auf dem Album ist er als Goldstatue zu sehen, im 3-Millionen-Seiten-Booklet sind Dutzende von Photos von kreischenden Fans, die „King of Pop“-Schilder hochhalten, und er beschwört Martin Luther King und andere historische Figuren, bis klar wird, daß er sich selbst in einer Reihe mit ihnen sieht. Es mag nicht Jacksons bestes Album sein, aber es ist sein spannendstes.

Danach brach die Welt dann nur noch über ihm zusammen: Es hagelte Skandale, noch mehr Skandale, sein Album INVINCIBLE von 2001 verkaufte sich enttäuschend und versank dann – viel schlimmer – ganz ohne nachhaltige Resonanz. Ein ewigwährender zweiter Prozeß wegen Kindesmißbrauchs, der daraus entstand, daß er in einer Doku erklärte, daß er Kinder bei sich übernachten ließe (wobei er dann auf dem Boden schlief), ließ uns fast vergessen, warum er mal so groß war. Es half natürlich auch nichts, daß sein Erscheinungsbild immer bizarrer wurde, sein Verhalten immer entrückter (im Zeugenstand vor Gericht saß er mit seligem Lächeln und winkte den Leuten zu: „I love you“). Der Fall von ganz oben kann tief und schmerzlich sein. Immer wieder gab es Gerüchte, daß ein neues Album in der Mache sei, und dann kam irgendwann die Ankündigung, daß er eine Reihe von Comeback-Konzerten geben würde, die auch prompt innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren. Ich dachte mir da noch: Schön, daß er trotz allem noch für seine Musik geliebt wird. Vielleicht kriegt er nochmal zumindest einen Fuß auf die Erde.

Und jetzt ist er tot. Es kommt keine Wendung in seinem Sturz. Ein unglaublicher begabter Künstler ist gleichzeitig auch eine unglaublich tragische Figur – wie ja eigentlich so oft, nur daß bei Jackson die Größenordnungen immer ganz andere waren. Vielleicht legen die Leute jetzt wieder mal die Hitsongs von ihm auf und erinnern sich daran, warum er uns damals so mitriß und begeisterte, warum er überhaupt zum „King of Pop“ wurde. Der folgende Satz mag hochgegriffen sein, aber ich glaube daran: Michael Jackson war ein großer Künstler. Alles andere ist unwichtig.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    1 Comment

    1. ja bumm, da hab ich jetzt auch grad blöd geschaut beim nachrichten lesen. Jackson war auf alle fälle ein großer künstler, das glaub ich mittlerweile auch.

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