Heart: Jupiters Darling (2004)

Uncategorized / 28. Juli 2004

Altes Herz

Auch das Herz der Band Heart schlägt noch: eine Dekade nach ihrem letzten Studioalbum legen die Wilson-Schwestern mit JUPITERS DARLING nach.

„Wie, Heart?“, fragt mein guter Freund C2 bei der Erwähnung meiner neuen Rezension. „DIE Heart?“ schiebt er mit hochgezogener Augenbraue hinterher, und als ich mit einem knappen „Nancy Wilson“ nicke, sehe ich hinter seinem jetzt hellwachen Auge Cameron-Crowe-Filme ablaufen. Schließlich hat Wilson, die Ehefrau von Crowe, die Soundtracks zu dessen Filmen beigesteuert (darunter die wunderbarste Liebeserklärung an die Musik, ALMOST FAMOUS). Hauptberuflich aber spielt Nancy schon seit den 70ern zusammen mit ihrer Schwester Ann in der Band Heart, die besonders in den (musikalisch gern belächelten) 80ern mehr Alben verkauft haben als ich Fanpost kriege.

In den letzten Jahren hat man wenig von Heart gehört, das letzte Studioalbum liegt schon elf Jahre zurück. So richtig weg waren die Wilson-Schwestern natürlich nie, aber jetzt, wo sie uns wieder einmal Musik präsentieren, macht sich sofort der schale Geschmack des Achtziger-Jahre-Rückblicks im Mund bemerkbar, der uns ja auch ein Wiedersehen mit Blondie (gut) und den Bangles (gut gemeint) beschert hat. Völlig zu Unrecht, wie der wohlwollende Rezensent schnell feststellt: Die Wilson-Schwestern verstehen es nach wie vor, feine Soft-Rock-Songs zu schreiben, die sich schnell im Ohr festhaken.

Dabei wird durchaus experimentiert: Mandolinen dominieren „I Need the Rain“, ein Dulcimer („Hackbrett“ sagt der Oberförster dazu) erklingt auf „Enough“, während „Things“ schwer mit Country flirtet. Das alles ist aber eingebettet in einen gefälligen Pop-Sound, den auch die Grunge-Gäste Mike McCready und Jerry Cantrell nicht zum sägenden Schrammelspektakel hinbiegen. Meist singt Ann, hin und wieder aber ist auch Nancy zu hören, und diese Songs sind die heimlichen Höhepunkte des Albums. Aber auch die radiokompatiblen Rocker sind erfreulich: „The Oldest Story in the World“ etwa, oder der Ohrwurm „The Perfect Goodbye“.

Was missfällt also? Das Album ist schlichtweg zu lang. 16 Songs, dazu zwei Bonustracks, und schon sitzt man 70 Minuten bei einer Songkollektion, die die Aufmerksamkeit nur für eine Dreiviertelstunde fesselt. Auch hinten finden sich feine Stücke – etwa die Akusikversion von „Fallen Ones“ – aber als geballte Ladung beißt man sich doch eher durch. Und – wir sind heute mal wieder besonders mäkelig – daß das Booklet superdick ist, freut das Liebhaberherz natürlich, aber warum darin viel Platz für computergenerierte Mandelbrotmengen vergeudet wird, wissen wohl nur die Götter. So gesehen befinden wir uns dann doch wieder in den 80ern, als Apfelmännchen am C64 „in“ waren.

„Und, was ist das Résumé des Ganzen?“, fragt C2 nach kurzem Durchskippen des Albums. „Fein,“ sage ich. „Gute Songs.“ Er nickt, wartet ein paar Sekunden, ob noch etwas hinterherkommt. Dann zuckt er mit den Schultern, dreht den CD-Player etwas leiser, und wir reden wieder über ALMOST FAMOUS. Da ist auch Nancy Wilson gut aufgehoben.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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