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Pet Shop Boys: A Life in Pop (2006)

Ein Leben voller Pop

Die Pet Shop Boys halten Rückblick auf ihre Karriere: 20 Jahre in 140 Minuten.

Entweder trudeln in letzter Zeit – immerhin ist Weihnachten, die Zeit des wohlwollenden Zurückblickens – verstärkt Retrospektiven in die FRITZ-Redaktion ein, oder aber der Pop wird mit der Zeit immer nostalgischer. Letzterer Gedanke ist gar nicht so abwegig, weil die Musik – und damit ihre Macher – ja auch immer älter werden. Im Zuge der allumfassenden Pop-Exegesen, der Special-isierung seiner Protagonisten und der dank digitaler Medien immer umfassender werdenden Archivierung seiner einzelnen Ausdrucksformen kann mittlerweile detailliert auf alles geblickt werden, was die 15-Jahres-Grenze überschritten hat – eine Zeitspanne, die im kurzlebigen Pop-Kontext geradezu historisch wirkt.

Schön eingeleitet, oder? Unter einer solchen Betrachtung gewinnt die Dokumentation A LIFE IN POP der Pet Shop Boys, die uns auch immerhin schon seit 20 Jahren beehren, doch gleich eine gewisse Gewichtung. 1986 landete das – jetzt kommt eines dieser Wörter, das findige Journalisten sehr gerne mögen: – enigmatische Duo ihren ersten Hit mit dem Song „West End Girls“, der den Gesamtkosmos der Gruppe schon perfekt einfing: weicher Post-New-Romantics-Synth-Pop, von Theatralik und Melancholie durchzogen; tanzbar, aber nicht notwendigerweise auf der Tanzfläche zu hören, und über all den synthetischen Klängen schwebt Neil Tennants beinahe knabenhafte Stimme, hoch, naiv und glasklar. Die Aufgabenverteilung der beiden Tierhandlungsjungs war auch schon klar: Tennant steht als Dandy-esker Frontmann vorne und singt, sein Partner Chris Lowe bedient im Hintergrund beinahe regungslos die Keyboards und Computer.

In den zwanzig Jahren seit ihrem Erscheinen haben die Pet Shop Boys eine lange, facettenreiche Karriere aufbauen können, die weitere Hits hervorbrachte – darunter „What Have I Done to Deserve This“ und die überlebensgroße Hymne „Go West“ – und in ihrer theaterhaften Inszenierung ein für die Momentaufnahme Pop ungewöhnlich eigenständiges Gesamtwerk aufbauen konnte. Nicht alles war erfolgreich – im künstlerischen wie im kommerziellen Sinne – aber einen wirklichen Einbruch haben Tennant und Lowe nie erlebt.

Weil die Geschichte der Engländer skandal- und enthüllungsarm blieb, kann auch Regisseur George Scott in seiner 140-Minuten-Dokumentation keinen Hasen aus dem Hut zaubern. Er zeichnet die Entwicklung der Band nach und läßt sie dabei größtenteils von Tennant und Lowe selbst erzählen – in langen Interviews, die von Clips aus ihren visuell experimentierfreudigen Musikvideos und den immer prätentiöser dargebotenen Liveshows umrahmt werden, und zu denen sich Statements einiger berühmter Zeitgenossen gesellen. Robbie Williams sitzt im Sportdress auf einem Hausdach und redet primär von sich selbst in Bezug auf diejenigen, um die es eigentlich gehen soll. Jake Shears – Sänger der Scissor Sisters – zeigt sich als ebenso großer Fan des Duos wie Killers-Sänger Brandon Flowers. Welche genaue Verbindung einige dieser Interviewpartner zu den Pet Shop Boys aufweisen können, läßt sich zwar teils recherchieren, bleibt aber im Rahmen der Doku leider verborgen.

Der Großteil des Films gehört ohnehin den Pet Shop Boys selbst. Im gemeinsamen Interview redet nur Tennant, während Chris Lowe daneben mit Sonnenbrille und Baseballcap vermummt die Arme verschränkt. Erst in seinen Einzelinterviews – in denen er beispielsweise die Stätten seiner Jugend wiederbesucht – spricht Lowe, der den eloquenten Ausführungen des Sängers aber wenig hinzuzufügen hat. Die Dokumentation zeigt viel von den Anfängen der Gruppe, handelt dafür spätere Ereignisse – der relative Mißerfolg der Latin-Pop-Exkursion BILINGUAL beispielsweise – eher nebensächlich ab.

Viel Zeit wird dem Musical gewidmet, daß die Pet Shop Boys 2001 auf die Bühne brachten – eine den Clips nach zu urteilen grotesk verzerrte Travestie, die nicht ohne Grund gnadenlos gefloppt ist. Der Regisseur der Doku sieht das offenbar anders und läßt verschiedene Kritiker und nicht zuletzt Tennant selbst über den Niedergang des Unterfangens rätseln, bevor er uns sogar noch eine komplett ausgespielte Pianoballade aus dem Werk zeigt. Wesentlich interessanter ist die Live-Begleitung des russichen Stummfilms PANZERKREUZER POTEMKIN, das die Gruppe zuletzt auf dem Trafalgar Square darbot: Auf einer überdimensionalen Leinwand wurde der Film gezeigt, während die Band darunter zusammen mit dem Dresdener Sinfonieorchester einen eigens dafür komponierten Soundtrack spielte.

Nun mag die beinahe zweieinhalbstündige Doku für Fans der Gruppe ein Genuß sein, aber für Außenstehende kratzt sie trotz der Lauflänge doch nur an der Oberfläche. Selten wird das Tun der Gruppe in einen Kontext gebettet, noch seltener wird es kritisch beäugt: die Eigengratulation überwiegt. Auf der DVD befinden sich als Bonus noch einige jüngere Musikvideos der Gruppe – visuell durchgehend interessant gestaltet – und ein paar Liveauftritte, die eher die Komplettisten ansprechen dürften: der erste TV-Auftritt der Gruppe (1984!) ist gelinde gesagt unspektakulär, die Live-Darbietung von „What Have I Done to Deserve This“ schauderhaft pathetisch – Gastsängerin Dusty Springfield wirkt wie eine schrille Transe – und über den „Go West“-Zirkus, zu dem zwei walisische Minenarbeiterchöre (!) inbrünstig singen, sollte man gnädigerweise den Mantel des Schweigens legen.

So oder so dürfte die DVD wenig Zweitseh-Wert aufweisen – ob man sich der Angelegenheit nun als Fan oder als Fremder nähert. Die Doku ist interessant, aber weder essentiell noch wirklich erleuchtend. Um sich mit der Musik der Gruppe auseinanderzusetzen, kauft man sich dann vielleicht doch lieber einfach ein paar CDs und gestaltet sich seine eigene Retrospektive.

Dieser Text erschien zuerst am 23.12.2006 bei Fritz!/Salzburger Nachrichten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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