PORTS OF CALL: Navigation ist, wenn man trotzdem ankommt

Games / 11. Januar 2017

Ein leises Funken ertönt noch, dann sinkt die MS Scholle in einer herzallerliebsten Animation auf den Meeresboden, während ein Schwarm Fische sich über den kaputten Kahn wundert. Vielleicht hätte man mit einem Schiff, dessen Zustand schon auf 52% gefallen ist, nicht mehr probieren sollen, durch einen schweren Sturm zu schippern. Jetzt werden unsere Handelspartner in Karachi wohl sehr lange auf die versprochenen Textilien warten – während wir erstmal für teures Geld ein neues Schiff anschaffen müssen.

Die Amiga-Handelssimulation PORTS OF CALL versetzt den Spieler in die Rolle eines Reedereibesitzers, der seine Schiffe auf verschiedenen Handelsrouten rund um die Welt schickt. Man transportiert Waren wie Elektronik, Chemikalien, Agrarprodukte oder sogar Waffen und bringt diese für eine vorab angebotene Summe in andere Häfen – manchmal mit Termindruck, der bei Überschreiten einer Deadline zu empfindlichen Konventionalstrafen führen kann.

In Rio soll mein Schiff noch etwas Schmuggelware aufnehmen.

Damit man als Reeder keine allzu ruhige Kugel schieben kann, gibt es vor allem anfangs einige Probleme zu bewältigen. Für das Startkapital kann man nur vergleichsweise kleine Gebrauchtschiffe kaufen, die weniger Ladung transportieren können und schon reparaturbedürftig sind. Nicht jeder Auftrag spült immenses Geld in die Kassen: Wenn man die Kosten für Wartung, Sprit und etwaige Gebühren für die Passage durch einen Kanal abzieht, bleibt so mancher Nichteisenmetalltransport eine wenig ertragreiche Angelegenheit. Und während Waffenlieferungen in Krisengebiete einträglicher sind, läuft man dort stärker Gefahr, von Piraten ausgeraubt oder gar im Kriegsgeschehen beschossen zu werden. Andererseits besteht in solchen Gegenden eine größere Chance, daß man für ein kleines Extra-Taschengeld Schmuggelware mitnehmen kann – die dann hoffentlich nicht vom Zoll entdeckt wird.

Selbst, wenn die Handelsrouten gut laufen und das Firmenvermögen anwächst, ist man als Reeder aber doch mehr in das tägliche Geschehen involviert, als der Laie meinen könnte. Immer wieder scheinen die angeheuerten Kapitäne mit ihren Aufgaben überfordert zu sein, weshalb der Chef persönlich eingreifen muß: Manchmal soll man sein Schiff zwischen plötzlich auftauchenden Eisbergen hindurchlenken, an anderen Tagen streiken die Hafenarbeiter, weshalb man seinen unhandlichen Frachter von Hand ein- oder ausparken darf. In diesen Fällen steuert man aus der Vogelperspektive das Ruder, gibt Schub voraus bzw. nach hinten und hofft, daß das sich träge drehende Schiff irgendwie um die wahnwitzigen Ecken herumkommt, die die Hafenkonstrukteure wohl als purem Sadismus gebaut haben.

I’m king of the world!

Zu den größten Herausforderungen zählt es, wenn man unterwegs einem Schiffbrüchigen begegnet. Hier gilt es, Kurs und Geschwindigkeit seines Kahns an jene des Rettungsbootes anzupassen – ansonsten treibt der Überlebende hinfort oder wird beim Zusammenstoß der Schiffe versenkt. Die Störrigkeit, mit der manche Schiffbrüchige sich geradezu weigern, aufgelesen zu werden, ist enervierend: Bis der eigene Frachter mal in Position gebracht ist, ist der Überlebende schon fast weg – und weil offensichtlich der Ozean am Bildschirmrand aufhört und es völlig außer Frage steht, dem Boot länger zu folgen, wird man vom Programm einmal mehr ausgelacht („Seamanship does not seem to be one of your qualities“) und erhält Punktabzug beim Statuslevel.

PORTS OF CALL bleibt eine ganze Zeitlang spannend: Wenn ein Schiff auf Terminfahrt im Zielhafen erstmal für einige Tage in Quarantäne geschickt wird, kann man bei finanzschwacher Lage ganz schön mitfiebern. Das Jonglieren mit den auf- und niederschnellenden Kosten für Schiffsreparaturen und Treibstoff erfordert etwas taktisches Geschick – vor allem, wenn man auf hoher See Stürmen ausweichen will, um größere Schäden zu vermeiden, und aber vor dem Aufbruch aufgrund der hohen Preise nicht vollgetankt hat, passiert es gerne, daß man seine Firma schneller in den Ruin treibt, als einem lieb ist. Umgekehrt ist man relativ abgesichert, sobald man den Dreh einmal heraus hat – und ab einem bestimmten Vermögen kann man auf die mühsamen Transporte ganz verzichten und lieber mit dem An- und Verkauf von Schiffen den Kontostand aufpolieren.

Meine Firma (grün) hat ein paar Schiffe mehr als die schlaffe Konkurrenz (rot).

Irgendwann fangen die Abläufe aber dann doch an, sich zu sehr zu ähneln und keine neuen Herausforderungen zu bieten. Das passiert vor allem, wenn man alleine spielt, weil es keine wirklichen Ziele gibt. Mit mehreren Personen (es können bis zu vier Spieler antreten) bleibt die Angelegenheit über einen längeren Zeitraum aufregend, aber auch hier tritt nach einiger Zeit das Gefühl ein, daß man nur noch alles wiederholt, um halt noch mehr Millionen zu scheffeln oder der Reederei noch eine weitere Frachtgondel zu spendieren. Wenn man im Spiel gegeneinander kein festes Ende angibt, zum Beispiel nach Ablauf von drei Spieljahren, läuft das Geschäft tatsächlich bis in alle Unendlichkeit weiter. Zugegebenermaßen ist das aber ein Abstrich, der bei so ziemlich jeder Handelssimulation gemacht werden muß.

Bis der „Abnutzungseffekt“ eintritt, verbringt man aber doch eine vergnügliche Zeit mit dem liebevoll gestalteten Spiel. Freunde des Genres können daher bedenkenlos den Anker lichten. Übrigens: Rolf-Dieter Klein, einer der Programmierer des originalen Amiga-Spiels, hat PORTS OF CALL mittlerweile auch eine „XXL“-Version für moderne PCs (inklusive 3D-Einparken) und eine Variante für Handys und Tablets spendiert. Mehr darüber auf seiner Website.

Noch eine Amiga-Handelssimulation auf Wilsons Dachboden:
WINZER: Eiswein oder Ausguß?



Besten Dank an Erhard Furtner für die Screenshots.
 






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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