INKOGNITO: Börsenmakler Jon Cryer als Undercover-Schüler

Uncategorized / 31. August 2014

Unglaublich, wie sich INKOGNITO abplagt, um zu seiner eigentlichen Geschichte zu kommen: Ein 29jähriger Börsenmakler namens Andrew Morenski geht als Schüler verkleidet auf die Highschool seines jungen Cousins. Das macht er, weil er in zwielichtige Geschäfte mit der Mafia verwickelt war und nun von Killern gejagt wird, die sicherstellen wollen, daß er bei einem anstehenden Prozeß nicht aussagen kann. Und weil er sich nicht ausreichend beschützt fühlt vom FBI, taucht er unter falschem Namen an besagter Schule unter.

Daß sich Andrew in der Gegenwart des FBI nicht sicher fühlt, liegt nicht ausschließlich an denen. Nach einiger Zeit in einem bewachten Versteck wird unser Zeuge nämlich quengelig und will aus dem Haus. Er überredet die beiden für ihn abgestellten Agenten, mit ihm in ein Diner essen zu gehen. Dort sitzt auch prompt ein fieser Attentäter, der einen der FBI-Leute erschießt und den anderen verwundet – Andrew kann mit knapper Not entkommen. Wahrscheinlich hat die Mafia in jedem Diner Amerikas sicherheitshalber einen Killer postiert, der etwaige wichtige Zeugen abpassen kann, wenn sie mit ihren Bodyguards mal nicht nur vom Pizzalieferanten verköstigt werden wollen.

„Ich glaube, da hinten kommt unsere Story.“

Ganz so, wie man sich Amerika immer vorstellt, stört es auch hier niemanden so richtig, daß der Killer zusammen mit einem Kollegen auf offener Straße und am Bahnhof mit großer Wumme auf Andrew ballert, weshalb niemand den Vorfall der Polizei meldet. Andrew kann mit dem Zug entkommen, die Killer ziehen sich wahrscheinlich wieder ins Kaffeehaus zurück.

Andrew rasiert sich flugs den Vollbart weg und schaut nun aus wie Jon Cryer. Die Haare färbt er sich zur Hälfte blond, das Yuppie-Hemd tauscht er gegen ein weißes T-Shirt mit tanzenden Skeletten darauf aus. Um unterzutauchen, ruft Andrew seine Tante an, die als Schulschwester arbeitet, und vereinbart ein Treffen bei ihr im Büro. Schon im Sekretariat wird er aber für einen Schüler gehalten. Andrew spielt mit, denkt sich einen neuen Namen aus („Maxwell Hauser“) und geht ab sofort in dieselbe Klasse wie sein 17jähriger Cousin Patrick. Warum macht er das? Warum redet er nicht mit der Tante und versteckt sich dann einfach irgendwo? Profi-Tip für angehende Autoren: Es weist auf Probleme hin, wenn ein Film über 20 Minuten lang mühsam eine Erklärung zu seiner eigentlichen Prämisse bauen muß und die dann trotzdem überhaupt keinen Sinn ergibt.

Andrew (Jon Cryer) bemüht sich, an seiner neuen Schule nicht aufzufallen.

Ab sofort wird die Angelegenheit aber um einiges vergnüglicher. Andrews Tante muß weiter im Dunkeln tappen, weil „Max“ nun beim Cousin wohnt – der ihn im Zweifelsfall einfach mal unter einem Berg an Schmutzwäsche versteckt, weil die liebe Mama gigantische Haufen an ungewaschenen Klamotten in Patricks Zimmer ganz normal findet. Wobei Patrick ganz eigene Probleme hat und Andrew/Max nur bedingt helfen kann: Er ist nämlich gerade bei der Führerscheinprüfung durchgefallen, weil er in einen Bus voller Nonnen gerast ist.

Im Unterricht kann Max natürlich auftrumpfen. Er legt sich mit einer misanthropen alten Lehrerin an, die den Kindern erklärt, daß Richard Nixon ein großartiger Präsident war und nur hereingelegt wurde. Sein Kontra macht ihn zum sofortigen Helden der gesamten Schule – vor allem das junge Mädchen Ryan verliebt sich prompt in ihn, weil sie nämlich einen kritischen Essay über Nixon geschrieben hatte. Wahrscheinlich schreibt sie sowas schon seit der ersten Klasse und wurde bislang nie verteidigt. Wer also darüber nachdenkt, nochmal zur Schule zu gehen, kann jetzt schon einplanen, seine Popularität am ersten Tag z.B. mit einer scharfen Debatte über Kurt Waldheim aufzubessern.

Yo, bust a move, man, like ‚dem kids on TV, knowwhatimsayin?

Das kurze Meinungsgefecht mit der Lehrerin macht Max derart beliebt, daß unverzüglich Bestrebungen ins Leben gerufen werden, ihn zum Schulsprecher zu wählen. Eine Gruppe schwarzer Kids zieht ihn beiseite und führt ihm die dazugehörige Werbekampagne inklusive Flyer und selbstgetextetem Rapsong vor. Diese Truppe ist exakt so gekleidet und spricht genau so, wie sich weiße Filmproduzenten die Hip-Hopper immer vorgestellt haben. Der Anführer fuchelt mit den Händen herum, als gäb’s einen MTV-Award dafür, und sagt gerne „bust a move“. Young MC hat sich da sicherlich eifrig Textnotizen für eine spätere Hitsingle gemacht.

Max will eigentlich gar nicht so recht Schulsprecher werden, aber richtig effektiv wehren tut er sich auch nicht. Das macht er auch nicht, als Ryan ein Date mit ihm einfädelt, auf das er dann brav mit ihr geht: Sie ist vielleicht minderjährig, aber auch total nett und von Annabeth Gish gespielt, und da will Max mal nicht so sein. Nachdem Max Ryans Vater noch ein paar flotte Tips für die Steuererklärung gegeben hat, gehen die beiden in eine Rollschuhdisco und verlieben sich zu den beinahe gar nicht kitschigen Klängen von Roy Orbison und k.d. lang.

Andrew (Jon Cryer) und Ryan (Annabeth Gish).

Patrick kämpft sich wenig später durch ein eigenes Rendezvous: Dem Mädchen hat der Kinobesuch in TANZ DER TEUFEL 2 nicht gefallen, aber ein bißchen Herumschmusen nach dem Film würde ihr schon zusagen. Dummerweise hat er ja keinen Führerschein und ist mit dem Fahrrad da – aber sie hat selber einen Jeep dabei, den sie heimlich von ihrem Vater geliehen hat. Sie eröffnet ihm dann aber, daß sie durch die Führerscheinprüfung gefallen ist, und daß er deswegen fahren muß. Wie ist sie hergekommen? Hat sie das Auto mit dem Abschleppwagen vor dem Kino parken lassen?

Leider ist mittlerweile das FBI schon wieder auf Max‘ bzw. Andrews Spur: Zuhause bei Tantchen stehen die Staatsbeamten und fragen nach ihm. Wer hätte auch gedacht, daß die anfangen, die Verwandschaft abzuklappern! Die Mafia macht das anders: Der Killer besucht nämlich Andrews Großmutter und findet dort eine Geburtstagskarte von Andrew. Die hatte er noch beim FBI ausgefüllt und frankiert, dann eingesteckt und in einem Diner in seinem jetzigen Zufluchtsort verloren, woraufhin sie von der Bedienung gefunden und abgeschickt wurde. Somit steht auf dem Poststempel der Name des Ortes, wo er sich jetzt aufhält. Mal ehrlich: Das ist nicht konstruiert, das ist blümerant fantasiert.

„Hallo, ich bin Ihr gewerkschaftlich zugesicherter Killer,
der Sie die ganze Komödie über begleiten wird.“

Zum Glück kann Max im Keller der Schule unterkommen, weil Patrick den Schlüssel seiner Mama stibitzt. Somit verbringt Max nun die Nächte auf dem Schulgelände und übt dort das Rollschuhfahren, bis er von einem alten Hausmeister entdeckt wird. Der will wie jeder Pedell eigentlich nur in Ruhe seinen Scotch trinken und ist deswegen über die Gesellschaft gar nicht böse, und weil er schwarz ist und außerdem Ex-Boxer, darf er Max bzw. Andrew anregen, ernsthaft über seine Zukunft nachzudenken.

Andrew trifft übrigens beinahe in einem Diner auf die beiden Mafia-Killer, die dann auf seine Fährte kommen, weil sie aufgrund seines liegengelassenen Wall Street Journals hellhörig werden. Wenn wir nur eine Sache aus diesem Film lernen, dann die Warnung, wie gefährlich es ist, so oft ins Diner zu gehen. Es kommt zu einem Showdown, bei dem Andrew und der Killer über der Sporthalle der Schule herumklettern. Patrick blendet den Killer mit einem Scheinwerfer, woraufhin dieser in den Tod stürzt. Kommt das zur Prüfung?

Ich will auch so eine Gitarre wie Patrick (Keith Coogan).

Es ist die Unart zahlloser Hollywood-Produktionen, vor allem im Komödienbereich, daß die Geschichten in völlig witzlose Rahmenhandlungen rund um Gangster, Geld und Geballer gepackt werden (siehe zum Beispiel auch: SISTER ACT). Spannend sind die selten, weil sie so austauschbar gestrickt sind, und interessant sind sie ebensowenig, weil sie ja nur die Prämisse einfädeln müssen. Dabei wäre es gerade im Fall von INKOGNITO so einfach gewesen: Wie bei der FEUERZANGENBOWLE hätte Andrew einfach aufgrund von einer Wette zur Schule zurückkehren können. Oder er hätte es machen können, um seinem überforderten Cousin Patrick zu helfen – der vielleicht anfangs auf seine gutgemeinten Ratschläge sagen würde: „Du hast ja keine Ahnung, du bist ja nicht auf meiner Schule“, was dann zu der Inkognito-Pseudoschüler-Aktion führt. Stattdessen kriegen wir löchrigen Pseudothrill.

Die Story um den Erwachsenen, der nochmal die Schulbankt drückt, ist eine so reizvolle Phantasie, daß sie quasi immer funktioniert und selbst hier von diesem mühsamen Konstrukt nicht vernichtet wird: Die Sequenzen rund um Max an der Schule sind zwar nicht tiefschürfend, aber amüsant. Jon Cryer, damals noch als unglücklich verliebter Duckie aus PRETTY IN PINK bekannt und 16 Jahre vom Start seiner Hit-Sitcom (Hitcom?) TWO AND A HALF MEN entfernt, trägt den Film mit lockerem Witz, während Keith Coogan als unsicherer Teenager Patrick der eigentliche Held des Streifens ist. Wenn der ganze Film aus dem Hin und Her der beiden bestanden hätte, wäre er wundervoll geworden – ihr Zusammenspiel ist das Highlight von INKOGNITO (bzw. HIDING OUT, wie der Film im Original heißt).

„Kleines, wußtest du, daß Paul McCartney vor den Wings
noch eine andere Band hatte?“

Bleibt also ein zur Hälfte witziger Film, der mitunter ganz amüsanten Schaum bietet. Inwieweit man sich an einer Romanze zwischen einem 29jährigen und einer 17jährigen, also einer Minderjährigen, stört, darf man mit sich selber ausmachen – es sei aber angemerkt, daß abgesehen von einem Kuß wenig passiert und das Paar erst richtig zusammenfindet, nachdem sie ihren 18. hinter sich gebracht hat (was im Klartext bedeutet, daß sich auch die Autoren der Problematik halbwegs bewußt waren). Ich persönlich finde die Geschichte mit den beiden so, wie sie hier abläuft, unproblematisch und ganz charmant, aber daß aus ihrer Schwärmerei für jemanden, mit dem sie wenig gemeinsam hat (außer daß sie sich gerne Schwäne ansehen), etwas Dauer- und Ernsthaftes wird, halte ich für dezent unwahrscheinlich.

Merkzettel für eigene Drehbücher: Ganoven und Krimiplots streichen. Unnötige Verfolgungsjagden und Schießereien vermeiden. Auf die tatsächliche Geschichte konzentrieren. Wahrscheinlich hilft es schon, wenn einfach nie jemand in irgendein Diner geht.



Inkognito (USA 1987)
Originaltitel: Hiding Out
Regie: Bob Giraldi
Drehbuch: Joe Menosky, Jeff Rothberg
Kamera: Daniel Pearl
Musik: Anne Dudley
Darsteller: Jon Cryer, Keith Coogan, Annabeth Gish, Oliver Cotton, Claude Brooks, Tim Quill, John Spencer, Nancy Fish






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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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