Startup (2001)

Uncategorized / 20. November 2008

Technik ist den Menschen ja ganz selten geheuer. Ominöse Kästen arbeiten auf simplen Knopfdruck wie mit Hexenmagie und geben dabei verstörende Geräusche und manchmal sogar Worte von sich. Urplötzlich klingelt das Telefon und Computerstimmen betteln um Kontoinformationen. Das eigene Auto weiß auf einmal besser, wo man langfahren sollte, als man selbst. Wenn schon die Technik stets furchteinflößend ist, dann sind es deren Hersteller natürlich umso mehr: Wie umtriebige Schwarzmagier basteln die an Geräten, die uns vermeintlich helfen sollen, aber vielleicht wollen die ja etwas ganz anderes? Meine Dateien öffnen? Mein Haus leerfuttern? Die Katze per Fernsteuerung entführen und Lösegeld erpressen?

Das Mißtrauen gegenüber moderner Technik nährt seit längerer Zeit ein schönes cineastisches Subgenre: Den Techno-Thriller. Hier ist der futuristischen Technik nicht nur alles zuzutrauen, sie ist auch tatsächlich zu all diesen schlimmen Dingen fähig, und von Verschwörungsgedanken angefeuert entspinnen sich feine, paranoide Geschichten, in denen der Mensch ganz ohne Strom dann doch wieder am besten auf dem Planeten aufgehoben wäre. Manchmal resultiert ein solcher Techno-Thriller in einer meisterlichen und stets aktuell bleibenden Utopie der Machtlosigkeit (WARGAMES von 1983), manchmal greift ein solcher Film einfach die endlos scheinenden Möglichkeiten aktueller Entwicklungen auf (TRON von 1982). Mitunter kommt aber auch leidlich unterhaltsames Fastfood-Kino wie STARTUP (Original: ANTITRUST) heraus, bei dem man einfach möglichst wenig über den tatsächlichen Inhalt nachdenken sollte.

Von allen Momenten, die Handlung von STARTUP wiederzugeben, ist dieser hier wohl der geeignetste. Also: Der blitzgescheite Computerprofi Milo will mit ein paar Freunden eine kleine Firma gründen, wo sie Software für freie Verwendung (also: OpenSource) entwickeln und somit das Monopol des Microsoft nicht ganz unähnlichen Giganten NURV und dessen Chefs Gary Winston (Tim Robbins) bekämpfen wollen. Winston wirbt Milo (Ryan Phillippe) mitsamt seiner Freundin (Claire Forlani) aber per jovialer Demonstration seiner progressiven Firma ab, damit der an einem neuen Kommunikationssystem namens Synapse arbeitet, für das NURV zwar schon ein Release-Date, aber noch keinen rechten Plan hat. Dummerweise stolpert Milo recht flott über finstere Machenschaften bei NURV, mit denen deren Vormachtstellung am Markt gesichert wird: Die Firma überwacht Computerhacker, klaut dann deren Code und beseitigt die Hacker dann unauffällig. Also mal ganz knapp: Gute gegen böse Hacker. Jaja.

Gleich von Anfang an trüben ein paar Details die Glaubwürdigkeit des Films. Schwergeniale Computergeeks sehen selten aus, als wären sie Mitglieder der UCLA-Volleyballmannschaft. Schwergeniale Computergeeks haben auch keine Freundinnen. Und selbst wenn sie welche haben, sehen die nicht so aus wie Claire Forlani.

Vergessen wir einmal für einen Augenblick die Tatsache, daß es unsagbar schwer ist, Codebrocken von verschiedenen Programmierern einfach aneinanderzustückeln und zu einem lauffähigen Programm zu machen, oder daß der NURV-Mensch, der den Code klaut, so brillant sein muß, auf einen schnellen Blick einen genialen Code zu erkennen, der ein bislang ungelöstes technisches Problem überbrückt, aber gleichzeitig nicht in der Lage ist, diesen Code auch nur annähernd selber zu schreiben. Wenn die Programmierer, von denen NURV den Code klaut, an die Open-Source-Philosophie glauben, warum muß man ihnen den Code dann überhaupt klauen und diese Programmierer ermorden? Es wäre legal, den Code zu verwenden! Und warum werden diese Morde eigentlich in eigenen Videoclips irgendwo auf dem Server gespeichert? Schaut der Firmenchef sich die einmal im Jahr als Jahresretrospektive an?

Nicht ganz einsichtig auch das Synapse-System, an dem gearbeitet wird, und das angeblich alle Kommunikationsgeräte auf der Welt verbindet – PCs, Handys, Fernseher. Man kann dann Audio- und Videodaten über diese Geräte verschicken – na schön, vielleicht hat das 2000 noch aufregend geklungen, als noch nicht jedes Null-Euro-Handy eine eingebaute Videokamera hatte. Aber potzblitz: Synapse ermöglicht es tatsächlich, daß alle Geräte auch zu diesem Zwecke verwendet werden können – wer also noch so ein klobiges 90’er-Jahre-Handy hat, das keine mp3s abspielen kann und bei kleinen Pixelanimationen grausam scheppert, kriegt offenbar per Synapse das Hardwareupdate gleich mitgefunkt.

Nachdem Milo nun auf die Mordbeweise gestossen ist, heckt er einen Plan aus, wie er diese Videos der ganzen Welt auf einmal zugänglich machen kann. Total genial: Er stellt das Synapse-System fertig und schickt über den NURV-Satelliten das Video um die Welt. Er hätte das Video natürlich auch einfach ins Internet stellen können, aber dann hätten ihn die brutalen NURV-Schläger nicht so nervenaufreibend verfolgen können. Apropos nervenaufreibend: Die Inszenierung ist der festen Ansicht, daß Spannung deutlich gemacht werden muß, und so resultiert ein Schlüsselsatz von Winston, anhand dessen Milo erkennt, daß er in die Hackermorde verwickelt ist, in einer tripähnlichen Sequenz, in der Flashbacks und Farben und ein Vertigo-Effekt in Stakkatogeschwindigkeit zusammeneditiert werden. Man hätte das „aha“-Erlebnis der 10 Minuten auseinanderliegenden Sätze ja sonst vielleicht verpassen können.

Aber gut, seien wir mal nicht allzu miesepetrig. STARTUP kann schon durchaus Spaß machen (wenn man, wie man es bei allen Filmen tun sollte, sämtliche Computerkenntnisse mal einfach ignoriert). Es gibt ein paar hübsche Wendungen im Plot, der oberflächlich gesehen auch durchaus unterhaltsam und spannend ist. Ebenso angenehm ist es ja, daß die Computerwelt nur aus schönen, ansehnlichen Menschen besteht, und Tim Robbins hat sichtlich Spaß in seiner Bill-Gates-Rolle. Oh, schade, jetzt ist das Popcorn alle.

Startup (USA 2001)
Originaltitel: Antitrust
Regie: Peter Howitt
Drehbuch: Howard Franklin
Kamera: John Bailey
Filmmusik: Don Davis
Darsteller: Ryan Phillippe, Claire Forlani, Rachael Leigh Cook, Tim Robbins, Richard Roundtree
FSK: 12

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





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