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EMMANUELLE 4: Neuer Körper, altes Glück

Mia Nygren als Emmanuelle

Sylvia (Sylvia Kristel) fühlt sich durch die Beziehung zu Marc (Patrick Bauchau) eingeengt: Es erschreckt sie, wie stark ihre Gefühle füreinander sind. Um ihre Freiheit wiederzugewinnen, reist sie nach Brasilien zu dem Chirurgen Dr. Santano, der ihr einen komplett neuen Körper verpaßt: Aus Sylvia wird Emmanuelle (Mia Nygren). Die begibt sich mit ihrem jungfräulichen neuen Ich auf eine ausgiebige sexuelle Entdeckungsreise durch das Land – und kann doch den Gedanken an Marc nie wirklich verdrängen …

Nach dem dritten EMMANUELLE-Film, GOOD-BYE EMMANUELLE von François Leterrier aus dem Jahr 1977, hielt Produzent Yves Rousset-Rouard die Reihe für ausgereizt. Er verkaufte die Rechte an Alain Siritzky, der schon zuvor mit seiner Vertriebsfirma Parafrance mit der Serie zu tun hatte und den zweiten Teil, EMANUELA – GARTEN DER LIEBE, mitproduziert hatte. Siritzky fand, daß noch allerlei Möglichkeiten mit dem Namen „Emmanuelle“ bestanden, und produzierte ab den Achtzigern diverse Kinofortsetzungen und unzählige TV-Ableger. Sein erster Streich war EMMANUELLE 4 aus dem Jahr 1984 – im dem die Ur-Emmanuelle kurzerhand gegen ein jüngeres Model ausgetauscht wird.

Die "alte" Emmanuelle Sylvia Kristel in einer Traumsequenz
Die „alte“ Emmanuelle (Sylvia Kristel, links) taucht in ein paar surrealen Traumsequenzen auf –
hier mit der späteren Kult-Scream-Queen Brinke Stevens.

Keine Frage, der Plot ist mehr als nur absurd: Da verschafft der Künstlerdoktor (der Sylvia Kristel anfangs noch warnt: „Schöner als Sie sind, kann ich Sie nicht machen“) der Frau ein komplett neues Aussehen, das nicht nur mit eigener Stimme und Verjüngungseffekt daherkommt, sondern Emmanuelle tatsächlich auch ein neues Jungfernhäutchen verpaßt. Zur Sicherheit bekommt sie die Psychotherapeutin Dona an ihre Seite gestellt, damit sie mit der Veränderung besser klarkommt – aber niemand käme hier auf die Idee, eine Frau, die aus Flucht vor einer innigen Liebe eine komplett neue Identität sucht, vielleicht vor der Verwandlung zu dem einen oder anderen hilfreichen Gespräch einzuladen.

Daß der neue Körper Emmanuelle innerlich nicht von ihrer Liebe zu Marc löst, dürfte die bisherigen Erkenntnisse der Psychologie wohl auch nicht auf den Kopf stellen. Ein zarter Hinweis, daß die Dame gefühlsmäßig noch an ihm hängt, dürfte eine Sequenz sein, wo sie ihn auf einer Party erspäht, ihn anspricht – und sich prompt von ihm entkleiden läßt. Er erkennt sie freilich nicht, was sie zu der verblüfften Beobachtung führt, „dass der Mann, den ich liebe, mich eines Tages betrügt – mit mir“. Bitte, Fräulein Emmanuelle, machen Sie es sich bequem auf der Couch.

Emmanuelle und ihre Therapeutin Dona
Die neue Emmanuelle (Mia Nygren, links) und ihre Therapeutin Dona (Deborah Power).

Gerade in der Absurdität der Geschichte liegt zugegebenermaßen aber auch ein gewisser Reiz. Natürlich ist das, was hier erzählt wird, völliger Unfug – aber es wird ohnehin nie als realistisch verkauft: Nach der Operation wird die neue Emmanuelle aus einem milchig-weißen Ganzkörperkokon geschält, als würde da ein Schmetterling zur Welt kommen. Interessant wird die Transformation auch durch die Tatsache, daß Sylvia erst durch die Verwandlung zu Emmanuelle wird – Kristel spielt sich laut Vorspann und Rollenname gewissermaßen selbst, was freilich die Vorgängerfilme ignoriert, aber zur Initiationsgeschichte der ersten Romanvorlage ebenso paßt wie zu der Erkenntnis ihrer viel später publizierten Autobiographie, daß sie mit der Figur keinesfalls identisch war.

Wenn man sich also auf das irrwitzige Konstrukt einläßt, kann EMMANUELLE 4 zu einem unterhaltsamen Spiel der Identitäten werden. Es ist quasi die Geschichte einer Frau, die durch neue körperliche Erfahrungen etwas über die Sexualität und über die Liebe lernt – was durchaus im Sinne von Arsan gelesen werden kann.

Therapeutin Dona (Deborah Power) entwickelt ein reges Interesse am Leben ihrer Patientin.

Inszeniert wurde EMMANUELLE 4 wohl hauptsächlich vom französischen Hardcore-Pionier Francis Leroi – obwohl offenbar auch andere Personen ihre Spuren hinterlassen haben. Im Vorspann heißt es „a film by Francis Giacobetti“ – jener Modephotograph, der den zweiten Teil inszenierte und die Erfahrung vom ersten Tag an derart schrecklich fand, daß er damals schon sagte, es wäre sein erster und letzter Film. Auch Iris Letans, die mit Leroi das Skript schrieb, wird eine Teil-Regie zugeschrieben. „It was all put together very casually“, erinnert sich Schauspieler Patrick Bauchau in der Dokumentation EMMANUELLE: A HARD LOOK. „You never knew who was going to direct the next day. The ten days that I worked I must have gone through four different directors … but there obviously were a lot more.“

Ungeachtet der unklaren Situation hinter den Kulissen (die sich auch bei EMMANUELLE 5 und EMMANUELLE 6 fortsetzen sollte) und des aberwitzigen Konstrukts funktioniert EMMANUELLE 4 als prächtig bebilderte Phantasie. Immer wieder werden die schönen Körper in kunstvoll stilisierte Szenarien geworfen, als wären es bewegte Photostrecken. Neben Mia Nygren, die das Geheimnisvolle, Elegante von Kristel weitertragen kann, ist vor allem Deborah Power als Therapeutin Dona ansprechend, die nach und nach eine Beziehung zu Emmanuelle aufbaut. Leider war EMMANUELLE 4 sowohl für Nygren als auch für Power kein richtiger Karriereschub: Beide drehten danach jeweils nur noch einen weiteren Film. Oder sie haben sich Dr. Santano anvertraut …

 

Emmanuelle 4 (Frankreich 1984)
Originaltitel: Emmanuelle IV
Regie: Francis Leroi
Buch: Francis Leroi, Iris Letans
Kamera: Jean-Francis Gondre
Musik: Michel Magne
Darsteller: Sylvia Kristel, Mia Nygren, Patrick Bauchau, Deborah Power, Sophie Berger, Sonia Martin, Dominique Troyes, Brinke Stevens

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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