PSYCHO, ein Film von Gus Van Sant – oder: Wieviel Remake soll ein Remake enthalten?

Uncategorized / 17. Oktober 2013

Auch wenn uns Hollywood derzeit mit Remakes zuschüttet, daß es einer kreativen Bankrotterklärung gleichkommt – das Konzept, Geschichten nochmal zu erzählen, ist an und für sich nichts Ungewöhnliches oder Ungehöriges. Schon Jahrhunderte, bevor es den Film gab, wurden Heldengeschichten und Folklore weitererzählt und umgesponnen; nur ein Beispiel dafür wäre die Artus-Sage, die in unzählbaren Varianten wiedergegeben und festgehalten wurde und selbst heute noch neue Erzählweisen findet. Aber auch im strengeren Rahmen des Mediums „Film“ betrachtet muß das Remake-Konzept nicht generell etwas Verwerfliches sein: Mitunter erlaubt es die Neuerzählung, eine Geschichte in einen neuen gesellschaftlichen Kontext zu stellen, ihr neue Betrachtungsweisen abzugewinnen oder sie an eine andere Kultur anzupassen.

Und doch trägt fast jede Ankündigung eines weiteren Remakes einen faden Beigeschmack. Daß hinter dem kreativ völlig legitimen Ansatz der „Nacherzählung“ zumeist eine primär finanziell orientierte Motivation steht, ist aber gar nicht mal der Grund für die Skepsis: Es ist vielmehr zunächst einmal die Tatsache, daß kaum ein Remake die oben genannten Möglichkeiten irgendwie ausschöpft. Und schlimmer: Daß man sich für solche zweiten Aufgüsse desselben Teebeutels so ignorant die Meisterwerke der Filmgeschichte vorknöpft, anstatt sich Geschichten zu suchen, bei denen eine Aktualisierung einen tatsächlichen Gewinn bringen könnte. Ein Meisterwerk ist etwas, das die perfekte Form gefunden hat, sagte Alfred Hitchcock einst – ein Gedanke, der als Motto über dem vielleicht überflüssigsten und zugleich für die theoretische Betrachtung wertvollsten Beitrag zur Diskussion über die Natur des Remakes stehen könnte: Der Neuverfilmung von PSYCHO, die Gus Van Sant 1998 gewissermaßen als 1:1-Kopie maßschneiderte.

Dieser PSYCHO ist, wenn man so will, ein großangelegtes Filmexperiment: Van Sant übernahm beinahe komplett die Einstellungen von Hitchcock, den Dialog, die Szenenführung, die Musik, den Schnittrhythmus. Die größten Unterschiede: Der Film ist mit anderen Schauspielern besetzt und in Farbe gedreht. Ansonsten ging der Mimikry-Versuch so weit, daß der Regisseur mit DVD-Player am Set Hitchcocks Szenen studierte, um möglichst nah an das Originalwerk heranzukommen.

Das ruft zunächst exakt jene Reaktion hervor, die die meisten Ankündigungen von Remakes nach sich ziehen: Die Frage nach dem Warum. Warum sollte man exakt dasselbe noch einmal drehen wollen? (Van Sant kokettierte in einem Interview mit einer schönen Gegenfrage: „Why are they asking why?“) Wenn wir in der Realität von Hollywood bleiben, ist die Antwort zunächst auch immer dieselbe: Weil es Gewinn verspricht. Das Remake greift etwas Bekanntes auf und zieht es in die Jetztzeit – meistens für Generationen, die die alte Version nie gesehen haben. Und wie wir mittlerweile alle wissen, ist eine namhafte Marke ein guter Grundbaustein für jedes Marketing: Die Kunde von einem neuen PSYCHO-Film verbreitet sich eben schneller und einfacher als die über einen Film, von dem bislang noch nie jemand etwas gehört hat.

Wichtig für den theoretischen Diskurs ist letztlich natürlich auch die Wahl von Van Sants Studienobjekt: Ausgerechnet an einem der großen Klassiker hat er sich zu schaffen gemacht, ausgerechnet am Werk eines stilistisch so ausgeprägten Regisseurs! Aber genau diese Entscheidung – gleichermaßen mutig wie auch wahnwitzig, kann man im Vergleich mit Meister und Klassiker doch eigentlich nur verlieren! – bezieht uns als Zuseher so stark in das Remake-Experiment mit ein: Kaum jemand würde mit der Wimper zucken, wenn Van Sant einen längst vergessenen Film aus der Vergangenheit in die Gegenwart geholt hätte – im Gegenteil, manche hätten es vielleicht sogar begrüßt, wenn eine vergessene Perle wieder Aufmerksamkeit erhält. Daß sich der Regisseur aber an einen Film heranwagt, der sich so tief in das Gedächtnis jedes Kinogängers gegraben hat, stellt sicher, daß wir gar nicht anders können, als über das Verhältnis von Original und Kopie nachzudenken.

Nun ist Van Sants Ansatz ja aber bewußt so gewählt, daß die Geschichte eben nicht aus einem anderen Blickwinkel erzählt wird oder in einen anderen Kontext gestellt wird: Es ist exakt dieselbe Story, auf exakt dieselbe Weise erzählt. Gewiß, es gibt einige dezente Modernisierungsmaßnahmen – aus den im 1960er PSYCHO gestohlenen $40,000 werden hier inflationsangepaßte $400,000 – aber das sind vernachlässigbare Details. Zumal die Story auf keine andere Weise in die Gegenwart geholt wird: Sam wird mit Schallplatten in der Hand gesehen, die Mode wirkt wie aus längst vergangenen Tagen, niemand hat ein Handy, und Marion Crane muß sich noch mit ihrem Lover in einem anonymen Hotelzimmer treffen, um Klatsch zu vermeiden.

Auf gewisse Weise ist Van Sants Film wie ein Exponat aus der Fabrik Andy Warhols: Eine Reflektion über die endlose Reproduzierbarkeit von Kunst. Warhol kopierte Bilder in zigfachen Ausführungen und immer anderen Farben, Van Sant stellt die bekannten Filmbilder für uns nach. Seine Farbgebung folgt dabei auch einem Warholschen Prinzip der Künstlichkeit: Überall leuchten grelle Orange- und Grüntöne, der Nagellack von Marion sticht ebenso wie die Motel-Reklame von Bates in auffälligem Rot ins Auge, der Anzug von Detektiv Arbogast schillert in Dunkelblau. Ganz prinzipiell mal davon abgesehen, daß Hitchcock selber die Künstlichkeit der Bilder nie scheute, wirkt der Film damit wie ein Werk aus der alten Technicolor-Zeit.

Jetzt wird es trickreich, aber umso interessanter: Wenn ein Meisterwerk etwas ist, das seine perfekte Form gefunden hat, wäre dann nicht die Nachstellung dieses Meisterwerks auch eines? Wenn also die Brillanz von PSYCHO in den Bildkompositionen, dem Schnitt, dem Dialog, der Musik usw. liegt – oder vielmehr in ihrem Zusammenspiel – müßte dann nicht auch eine werkgetreue Kopie dieser Elemente ebenso brillant wirken? Ignorieren wir dazu auch mal die Frage der Originalität – ob also im Nachstellen auch ein Schaffensakt inbegriffen sein kann.

Van Sants PSYCHO ist leider keinesfalls brillant. Nicht einmal, wenn man ihn als „eigenständiges“ Werk betrachtet (die Anführungszeichen deuten schon an: Es ist ohnehin fast unmöglich, den Film zu sehen, ohne dabei Hitchcocks Film ebenso wahrzunehmen). Es hilft, wenn man den Original-PSYCHO lange nicht gesehen hat und deswegen nicht allzu penibelst jede Sekunde vergleichen kann: Mit etwas Abstand ist PSYCHO ein pfiffiger Thriller und ein makabres Psychogramm – Qualitäten, die er natürlich dem Originalskript verdankt. Rein als Film ist er aber kaum bemerkenswert.

Größtes Problem ist wohl die Besetzung von Vince Vaughn als Psychopath Norman Bates. Man kommt auch hier erstmal nicht um den Vergleich herum: Anthony Perkins war merkwürdig und unheimlich, aber eigentlich tat er einem leid. Man ging nicht davon aus, daß dieser schüchterne, nervöse Junge zu irgendwelchen Untaten fähig wäre. Vaughn dagegen ist schon von der Statur her imposanter, und seine sonderbaren Anflüge signalisieren schon sehr früh, daß mit Bates etwas Gravierendes nicht stimmt. Und das führt zu einem Problem, das auch ohne die Gegenüberstellung beider Filmvarianten existiert: In der Neuverfilmung wirkt es bizarr, daß Marion überhaupt die Nacht im Motel verbringt – Vaughn ist einfach zu creepy, und das nimmt dem Film als Gesamtes die Überraschung, daß Bates sich als Mörder entpuppt.

Die Tatsache, daß die Schauspieler im Remake – darunter interessante Schauspieler wie Julianne Moore, Viggo Mortensen und William H. Macy – ihren Figuren so eine eigene Färbung geben, führt uns aber wieder zur Frage der Kopie. Beziehungsweise zu der Erkenntnis: Natürlich ist PSYCHO keine wirkliche Kopie des Originalfilms, sondern gewissermaßen eine Rekonstruktion. Und weil die so nah am ursprünglichen Werk dran ist, fallen die Unterschiede umso stärker auf – die Liste der Detailabweichungen reicht von Musik, die ein paar Frames früher oder später einsetzt, über eine kleine Handvoll hinzugefügter Shots hin zu dem umdesignten Haus von Bates (das aber natürlich in Einstellungen gezeigt wird, die dem Original entsprechen).

Auf gewisse Weise – vielleicht absichtlich, vielleicht aus Versehen – zeigt Van Sant mit seiner PSYCHO-Variante also, daß es unmöglich ist, Filme wirklich zu kopieren: Es fließen so unendlich viele Variablen und Entscheidungen und Zufälle in jeden Moment eines Films ein, daß die Nachahmung nur eine Annäherung sein kann. Gewissermaßen ist Van Sants Experiment also dadurch geglückt, daß es gescheitert ist. Es zeigt gleichzeitig, daß ein Film wahrscheinlich mehr ist als die Summe seiner Einzelteile: Wenn es so einfach wäre, die Brillanz voriger Werke herüberzuretten, würde es wohl jeder machen. Letztlich liegt die Relevanz eines Kunstwerks ja auch in einem zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext – so penibel Van Sant auch den Film selbst rekonstruiert, er kann nie das Jahr 1960 drumherum bauen, in dem Hitchcocks PSYCHO als bahnbrechend und immens furchteinflößend wahrgenommen wurde.

„Don’t fix it if it’s not broken“, lautet ein schönes englisches Sprichwort. Eigentlich ist Van Sants PSYCHO das Eingeständnis, daß an dem Originalfilm nichts verkehrt war, daß die Geschichte gar keine andere Perspektive braucht. Das macht das Remake als Film natürlich umso sinnloser. Bestenfalls kann man ihn mit einer Theaterdarbietung vergleichen, in der neue Schauspieler die altbekannten Rollen füllen – nur daß wir im Medium Film ja, im Gegensatz zum Theater, die alte Darstellung auf ewige Zeiten abrufbar haben; die Story muß also eigentlich nicht durch weitere Aufführungen „am Leben gehalten“ werden.

Aber es wäre wenig ertragreich, Van Sants Versuch einfach in den Giftschrank zu packen und zu vergessen. Das Interessante an Experimenten ist ja oft weniger das konkrete Resultat als die unterwegs aufgeworfenen Fragen – und das, was man letztlich nicht nur über das Versuchsobjekt, sondern auch über sich selbst erfährt. Wir wissen nicht zuletzt aufgrund der Reaktionen auf zahllose Remakes, wie schwierig der Balanceakt zwischen Originaltreue und kreativem Spiel mit der Vorlage ist. Ich selber fühle mich durch das PSYCHO-Remake letztlich in einer meiner Grundphilosophien zum kreativen Schaffen bestärkt: Ich bevorzuge es, wenn ein Werk die Frage nach seinem „Warum“ aus sich selbst heraus beantworten kann.



Psycho (USA 1998)
Regie: Gus Van Sant
Buch: Joseph Stefano
Kamera: Christopher Doyle
Musik: Bernhard Herrmann
Darsteller: Vince Vaughn, Anne Heche, Julianne Moore, Viggo Mortensen, William H. Macy, Robert Forster, Philip Baker Hall, Chad Everett, Rance Howard, Rita Wilson, James Remar, James LeGros

——————
4 8 15 16 23 42






Avatar-Foto
Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, handelte von einem Schriftsteller, der eine junge Frau entführt, weil er sie als Inspiration für sein Buch braucht. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, unter anderem für Film & TV Kamera, Celluloid, GMX, den All-Music Guide, 35 Millimeter, Neon Zombie und Salzburger Nachrichten. Er hält Vorträge zu Filmthemen und kuratierte 2014 an der Universität Salzburg eine Filmreihe zum Thema "Erster Weltkrieg".





You might also like